Название: Selbstgespräche
Автор: Charles Fernyhough
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783831269525
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So viel zur Funktion der privaten Sprache. Und was ist mit ihrer Form? Wygotski glaubte nicht, dass die Verinnerlichung von Sprache einfach darin besteht, dass die selbstregulierende Sprache immer leiser und leiser wird, bis sie ganz stumm beziehungsweise stimmlos wird (diese Ansicht vertrat zum Beispiel sein Zeitgenosse, der Behaviorist John B. Watson). Wygotski ging vielmehr davon aus, dass die Sprache durch den Verinnerlichungsprozess grundlegend verändert wird. Eine besonders wichtige Transformation besteht darin, dass die Sprache verkürzt wird. Kinder benötigen keine ganzen Sätze, um ihr Verhalten zu steuern. Athena sagt nicht zu sich: »Ich brauche für meine Fahrstrecke zwei Autos.« Sie fasst sich kurz: »Zwei Autos.« Im Gegensatz zu Piaget, dessen Theorie besagt, dass die Sprache von Kindern verständlicher werden sollte, wenn sie sich dem Zuhörer anpasst, sagt Wygotskis Theorie voraus, dass die private Sprache nach und nach zusammengezogener und verkürzter wird – was sie für einen externen Zuhörer nicht verständlicher, sondern unverständlicher macht.53 Diese Transformationen der Sprache sind besonders wichtig, wenn es um Athenas spätere innere Sprache geht, die sich nach Meinung Wygotskis aus ihren laut ausgesprochenen selbstregulierenden Äußerungen entwickelt.
Zugleich behält die private Sprache wichtige Eigenschaften der sozialen Rede, aus der sie hervorgeht. Wenn die private Sprache eine zum Teil verinnerlichte Form des sozialen Dialogs ist, müsste man erwarten, dass sie einige Qualitäten des Hin und Her von Gesprächen besitzt. Insbesondere würde man davon ausgehen, dass Kinder sich selbst Fragen stellen und sie beantworten. Das scheint bei Athenas Selbstgespräch mit Blick auf die Fahrstrecke der Fall zu sein. »Was mache ich?«, fragt sie sich. »Ich baue eine Fahrstrecke und stelle Autos darauf.«
Genau wie das Selbstgespräch von Erwachsenen häufig eine Unterhaltung mit dem Selbst wiederzugeben scheint, so ist die dialogische Qualität54 bei der privaten Sprache von Kindern vorherrschend. Während die Kinder zuvor möglicherweise die Frage an eine Betreuungsperson gestellt und auf eine Antwort gewartet haben, liefern sie in der privaten Sprache die Antworten häufig selbst.
Die Forscher haben in der Regel ziemlich gute Belege für diese verschiedenen Aspekte von Wygotskis Theorie gefunden. Aber es bleiben zahlreiche Lücken, und ein paar Stellen in seinen Schriften über die private Sprache vermitteln einen etwas falschen Eindruck. Zwar behauptete Wygotski, dass die private Sprache in der späteren Kindheit schließlich »im Verborgenen stattfindet« und die innere Sprache bildet, doch es ist klar (nicht zuletzt aufgrund der Selbstgespräche von Sportlern), dass die Menschen auch als Erwachsene mit sich selbst sprechen.55
Die private Sprache – das laut ausgesprochene Gegenstück zur inneren Sprache – scheint eine Vielzahl zusätzlicher Funktionen zu besitzen, die über die Selbstregulierung hinausreichen, wie zum Beispiel das Erlernen einer zweiten Sprache, das Verknüpfen autobiografischer Erinnerungen und die Schaffung von Fantasiewelten. Wenn Kinder viel Zeit damit verbringen, laut mit sich selbst zu sprechen, dann nicht nur deshalb, weil es ihnen hilft, Probleme zu lösen.
Gehen wir einmal davon aus, dass Wygotski bei seiner Analyse der privaten Sprache im Großen und Ganzen richtig lag. Sollten wir dann annehmen, dass er auch bei der Version, die stumm im Inneren abläuft, recht hatte – mit anderen Worten bei dem, was wir als innere Sprache bezeichnet haben? Das ist nicht notwendigerweise der Fall. Wygotski könnte sich getäuscht haben, als er behauptete, die innere Sprache entwickle sich aus der privaten Sprache. Wie immer führt die Tatsache, dass das stumme Selbstgespräch nicht beobachtbar ist und sich folglich empirischen Studien entzieht, dazu, dass diese Frage schwer zu beantworten ist.
Und dies nicht zuletzt deshalb, weil wir es mit einigen Konzepten zu tun haben, die der Intuition widersprechen. Falls Wygotski recht hatte, sollte es eine gewisse Zeit dauern, bis sich die private Sprache entwickelt (tatsächlich legen Beweise nahe, dass sie zwischen dem Alter von etwa drei und acht Jahren am häufigsten verwendet wird). Die innere Sprache sollte noch weiter hinterherhinken. Bedeutet das, dass kleine Kinder den Strom der Selbstgespräche nicht erleben, der die wachen Stunden vieler Erwachsener beherrscht? Ein großer Teil unseres Denkens scheint in Wörtern zu erfolgen. Sollten wir deshalb schlussfolgern, dass das Denken kleiner Kinder sich davon stark unterscheidet?
Wenn wir uns dieser Frage zuwenden, gelangen wir direkt ins Zentrum dessen, was an Wygotskis Theorie so besonders ist. Das Denken kleiner Kinder unterscheidet sich wahrscheinlich in vielerlei Hinsicht von dem Erwachsener. Aber liegt etwas Spezifisches im Wortreichtum ihrer Gedanken? Ein Hinweis liefert die Untersuchung des Arbeitsgedächtnisses.56 Die Funktion dieses kognitiven Systems besteht darin, Informationen gerade lange genug im Bewusstsein zu halten – es geht um eine Frage von Sekunden –, um für die Planung unserer Handlungen oder die Ausführung anderer geistiger Operationen genutzt zu werden.
Das vorherrschende Modell des Arbeitsgedächtnisses, das aus dem Werk der britischen Psychologen Alan Baddeley und Graham Hitch hervorgegangen ist, besagt, dass die phonologische Schleife ein entscheidender Teil dieses Systems ist, eine Komponente, die sich darauf spezialisiert, geräuschbezogene Informationen zu speichern. Es überrascht vielleicht nicht, dass es sich auch um ein System handelt, das funktionieren muss, damit innere und äußere Sprache gebildet werden kann. Mit anderen Worten: Es ist eine entscheidende Voraussetzung für das verbale Denken.
Und es gibt eine weitere separate Komponente, die für die Verarbeitung visueller und räumlicher Informationen verantwortlich ist, aber es ist diese phonologische Schleife, auf die wir uns bei den meisten kurzfristigen Aufgaben verlassen. Wenn Erwachsene sich eine Menge Dinge merken müssen, neigen sie dazu, die Informationen verbal zu wiederholen, bis die Zeit gekommen ist, sie abzurufen. Das ist eine effektive Strategie, und Sie werden sie ebenfalls genutzt haben, wenn
Sie je durch einen Supermarkt gegangen sind und die letzten Artikel auf Ihrer Einkaufsliste vor sich hin gemurmelt haben.
Weil diese Art der Wiederholung von Wörtern abhängig ist, ist sie gegenüber bestimmten Merkmalen dieser Wörter besonders empfänglich, zum Beispiel, ob sie ähnlich klingen oder nicht. Ähnlich klingende Wörter (wie zum Beispiel Masse, Mappe oder Matte) werden leichter verwechselt, wenn man sie sich verbal einprägt. Und wir machen erwiesenermaßen mehr Fehler, wenn wir uns an Listen solcher Wörter erinnern müssen, als wir es tun, wenn wir uns Wörter einprägen müssen, die unterschiedlich klingen, auch wenn diese Wörter visuell dargestellt werden.
Dieses Phänomen wurde mit dem Begriff Effekt der phonologischen Ähnlichkeit57 versehen, weil es die Tatsache wiedergibt, dass wir einen phonologischen (beziehungsweise geräuschbasierenden) Code nutzen, um uns die Informationen einzuprägen. Wenn Kinder Zeit brauchen, bis sie beginnen, für ihr Denken Wörter zu verwenden, dann sollten Kinder auch Zeit benötigen, bis sich dieser Effekt zeigt.
Und das ist genau das, was die Forschung belegt.58 Kinder im Alter von unter sechs oder sieben Jahren zeigen den Effekt der phonologischen Ähnlichkeit nicht, was den Schluss nahelegt, dass sie Informationen für die kurzfristige Speicherung nicht automatisch in einen verbalen Code umwandeln. Selbstverständlich ist es möglich, dass das verbale Einprägen ein Sonderfall ist und dass Kinder in Wörtern zu denken beginnen, bevor sie realisieren, dass Wörter diese praktische Funktion für das Kurzzeitgedächtnis besitzen.
Wir überprüften diese Möglichkeit, indem wir untersuchten, wie Kinder sich visuell präsentiertes Material einprägten, und indem wir zugleich ihre private Sprache analysierten. Mein Doktorand Abdulrahman Al-Namlah untersuchte Schulkinder im Alter zwischen vier und acht Jahren an zwei Schulen, eine in Großbritannien und eine in Saudi-Arabien.59 Die private Sprache der Kinder wurde mithilfe des Tower von London (der Aufgabe mit den Bällen und Stangen) beurteilt. Darüber hinaus wurde ihnen eine separate Kurzzeitgedächtnisaufgabe gestellt, um die Stärke des Effekts der phonologischen Ähnlichkeit zu testen. Wie erwartet, zeigten die Kinder, die jünger als sechs Jahre waren, diesen Effekt nicht – ihr Gedächtnis war nicht sensibel für den Klang der Wörter, die sie sich einzuprägen hatten –, während СКАЧАТЬ