Selbstgespräche. Charles Fernyhough
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Название: Selbstgespräche

Автор: Charles Fernyhough

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783831269525

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СКАЧАТЬ der er zu kommunizieren versucht, zu berücksichtigen.

      Piaget betrachtet diese Art von Sprechen als Beweis für den Egozentrismus des Kleinkindes: seine Neigung, in seiner eigenen Sichtweise verhaftet zu bleiben. Es handelt sich um Versuche, einem anderen etwas zu sagen, aber sie misslingen, weil das Kind seine Äußerungen nicht dem anpassen kann, was der andere denkt, weiß und glaubt. »In solchen Fällen«, schreibt Piaget, »kommuniziert die Sprache nicht die Gedanken des Sprechenden, sie dient dazu, sein Handeln zu begleiten, zu verstärken oder zu ergänzen.«45 Die Äußerungen des Kindes formen nicht die Handlung oder dienen nicht zur Ermunterung oder Stimulation; sie begleiten lediglich, was vor sich geht.

      Zur gleichen Zeit beobachtet ein anderer Psychologe in Moskau Kinder, die mit sich selbst sprechen. Auch Lew Wygotski sieht Kinder, die ihre Aktivitäten kommentieren, doch im Gegensatz zu Piaget betrachtet er diese Äußerungen nicht als reine Begleitmusik zu ihren Handlungen. Das, was man in Genf als »egozentrisches Sprechen« bezeichnet, ist für Wygotski ein Mittel, um eine bestimmte Art von Verhalten zu ermöglichen.46

      Wygotski stellt zum einen fest, dass Kinder häufiger zu sich selbst sprechen, wenn sie bei ihrer Aktivität auf ein Hindernis stoßen. (Ein Trick besteht darin, sicherzustellen, dass dem Kind genau der Stift in der Farbe fehlt, die für eine bestimmte Malaufgabe benötigt wird.) Hätte die innere Sprache keine Funktion, dann müsste sie von Schwierigkeiten bei bestimmten Aufgaben unbeeinflusst sein. Doch Wygotskis Kinder verwenden ihre Selbstgespräche tatsächlich, um einen Plan für eine Lösung des Problems zu entwerfen. Als ein Kind feststellte, dass ein benötigter blauer Malstift fehlte, sagte es zu sich: »Wo ist der Stift? Ich brauche jetzt einen blauen Stift. Nicht da. Ich werde es stattdessen rot anmalen und Wasser darübertun – dadurch wird es dunkler und eher wie blau.«

      Wygotski machte viele weitere Beobachtungen, die den Schluss nahelegen, dass die Selbstgespräche von Kindern eine funktionale Rolle spielen. Ein fünfjähriger Junge malte gerade eine Straßenbahn, als sein Stift abbrach. »Abgebrochen«, sagte er leise – dann legte er den Stift nieder, griff nach einem Pinsel und malte einen beschädigten Straßenbahnwagen, der nach einem Unfall gerade repariert wurde. Dieses Kind nutzte seine Sprache, um den Kurs seiner Handlung zu ändern. Es dachte laut.

      Oberflächlich betrachtet handelt es sich um sehr unterschiedliche Ansichten über die Selbstgespräche von Kindern. Piaget und Wygotski lasen jeweils die Werke des anderen, kommentierten sie und schätzten sie sehr. Aber sie waren über die private Rede der Kinder, wie man sie heute nennt, gegensätzlicher Meinung und betrachteten ihre Bedeutung unterschiedlich.

      Zum einen hatten sie eine unterschiedliche Auffassung vom Eintritt des Kindes in die soziale Welt. Piaget betrachtete das Kleinkind als egozentrisch, als »in seiner eigenen Ansicht zu verhaftet«,47 um in der Lage zu sein, sich voll auf soziale Interaktionen einzulassen. Wygotski sah dies ganz anders. Seiner Ansicht nach ist das Kind von seinem ersten Lebenstag an in soziale Beziehungen eingebunden. Die Entwicklung der Sprache gibt ihm ein Mittel, um mit anderen zu kommunizieren, und die daraus entstehenden Dialoge bilden die Grundlage für seine späteren privaten Gespräche mit sich selbst und letztlich für seine innere Sprache.

      Ich habe einen großen Teil meiner Karriere als Psychologe mit Überlegungen über die Bedeutung von Wygotskis Schriften über die soziale, private und innere Sprache verbracht. Und ich halte sie für die beste uns zur Verfügung stehende Beschreibung, woher die Stimmen in unserem Kopf kommen, warum sie ihre jeweiligen Qualitäten besitzen und weshalb es für uns selbst als Erwachsene noch wertvoll ist, laut mit uns selbst zu sprechen. Gleichwohl ist Wygotskis Theorie lückenhaft. Er hatte nur eine kurze Karriere als Psychologe, weil er schon im Alter von 37 Jahren an Tuberkulose starb. Seine Schriften über die Sprache und das Denken sind an manchen Stellen mehrdeutig und unklar. Doch viele seiner Erkenntnisse wurden von neueren Forschungsergebnissen bestätigt: mithilfe von Studien, die beobachteten, was Kinder beim Spielen oder Erledigen von Aufgaben zu sich selbst sagen, sowie durch Untersuchungen der stummen inneren Sprache von Erwachsenen.

      Zurück in Athenas Zimmer: Noch immer nehme ich ihren Straßenbau mit der Videokamera auf. Ich bin mir nicht sicher, ob sie weiß, dass ich da bin. Zugleich vermute ich, dass meine Anwesenheit sie zum Sprechen anregt, auch wenn sie nicht zu mir spricht. Sie würde weniger sprechen, denke ich, wenn ich nicht da wäre. Das ist tatsächlich genau das, was Wygotski herausfand: Als er Kinder mit anderen zusammenbrachte, die eine andere Sprache sprachen, sank das Verhältnis von privatem Sprechen im Vergleich zum sozialen Sprechen. Bei einem anderen Versuch ließ er ein paar Kinder in einem Zimmer spielen, neben dem ein lautes Orchester probte. Auch hier sank der Anteil der privaten Sprache.48

      Aber ich bin hier, und Athena weiß das irgendwie. Die private Sprache besitzt das, was in einer frühen wissenschaftlichen Studie49 als parasoziale Eigenschaft bezeichnet wurde: Sie kommt häufiger vor, wenn die Illusion einer Zuhörerschaft vorhanden ist. Das ergibt Sinn, wenn man die private Sprache als Versuch versteht, Wörter an sich zu reißen, die in anderen Zusammenhängen das Verhalten anderer kontrollieren würden, und die stattdessen genutzt werden, um das eigene Verhalten zu kontrollieren. Es ist ja nicht so, als würde Athena zu kommunizieren versuchen, könne es aber nicht; sie bemüht sich vielmehr, nur mit sich selbst zu kommunizieren. Die Ursache, weshalb diese Äußerungen nicht an mich gerichtet sind, liegt nicht etwa darin begründet, dass ihr die kognitive Fähigkeit fehlt, die notwendig ist, um meine Perspektive zu berücksichtigen. Sie waren nie für mich bestimmt. Möglicherweise wurden sie durch meine Anwesenheit stimuliert, aber sie sind allein für sie selbst gedacht.

      Dieser Übergang von der sozialen zur privaten Sprache wurde mir soeben ganz deutlich demonstriert. Zu Beginn dieser Episode der Stadtplanung verwendete Athena tatsächlich meinen Namen: »Papa.« Aber dann schien sie schnell zu vergessen, dass ich da bin. Wenn wir die private Sprache von Kindern analysieren50 – ein arbeitsintensiver Prozess, bei dem stundenlang Videoaufzeichnungen gesichtet und hin- und hergespult werden müssen –, bezeichnen wir Äußerungen als sozial, wenn dabei unter anderem eindeutig der Name einer Person erwähnt wird. Um als privat eingestuft zu werden, muss jeder Hinweis darauf fehlen, dass die Äußerung für einen anderen Menschen bestimmt ist. Das liefert uns Informationen darüber, wie häufig Kinder die private und soziale Sprache verwenden. Dann können wir diese Informationen nutzen, um bestimmte Ideen Wygotskis über die Form und Funktion der an sich selbst gerichteten Gespräche zu überprüfen

      Zunächst einmal müssten wir, wenn Wygotski recht hatte, dass Kinder die private Sprache als psychologisches Werkzeug51 zur Regulation ihres Verhaltens nutzen, Beweise erhalten, dass sie sich in irgendeiner Form auswirken. Kinder, die die private Sprache nutzen, während sie eine Aufgabe erfüllen, müssten diese Aufgabe besser meistern – zumindest wenn das Sprechen für das, was sie tun, relevant ist.

      Psychologen haben diesen Aspekt von Wygotskis Theorie getestet, indem sie Kindern eine Aufgabe stellten und deren private Sprache analysierten und überprüften, ob deren Leistungen mit der Nutzung der privaten Sprache korrelierten. Einige Studien haben zumindest die Vorstellung untermauert, dass Kinder kognitiven Nutzen aus der Verwendung der privaten Sprache ziehen.52 In einer Untersuchung gaben wir zum Beispiel sechs- und siebenjährigen Kindern eine als »Tower von London« bezeichnete Aufgabe, bei der bunte Bälle zwischen unterschiedlich langen Stangen bewegt werden müssen. Das Praktische am Tower von London ist für diesen Zweck, dass die Bälle so arrangiert werden können, dass sie Herausforderungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade ergeben. In Übereinstimmung mit Wygotskis Vorhersage bezüglich des funktionalen Werts von Selbstgesprächen fanden wir heraus, dass Kinder, die mehr selbstregulierende private Sprache nutzten, die Aufgaben schneller lösen konnten. Außerdem stellten wir den vorhergesagten Zusammenhang zwischen privater Sprache und der Schwierigkeit der Aufgabe fest. Bei leichten Aufgaben sprachen die Kinder weniger (wahrscheinlich weil diese so leicht waren, dass sie die verbale Selbstregulation nicht auszulösen brauchten), bei mittelschweren Aufgaben sprachen die Kinder mehr, bei den allerschwierigsten aber wiederum weniger (vermutlich weil diese Aufgaben СКАЧАТЬ