Название: Über den Kopf hinaus
Автор: Werner Huemer
Издательство: Bookwire
Жанр: Математика
isbn: 9783831257355
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Ein erstes Resümee
Lassen wir diese Aussagen kommentarlos stehen – als möglichen Beleg dafür, dass es tatsächlich mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als unsere Schulweisheit sich träumen oder unsere Interpretation der Naturgesetze derzeit als möglich erscheinen lässt.
Wir werden später noch anderen Phänomenen begegnen, die schwer einzuordnen sind, und es wird bei unserer Suche nach dem Wesen der Gedanken und auch des menschlichen Bewusstseins immer drängender die Frage im Raum stehen, ob ein Weltbild, das sich auf Materielles beschränkt, wirklich geeignet ist, um Phänomene der Wahrnehmung und der geistigen Innenwelt zu ergründen.
Klar ist zunächst: Gedanken zeigen sich in Gehirnströmen. Diese kann man vielfältig nützen. Man kann sie auch beeinflussen, um dadurch Erlebnisse zu provozieren. Doch damit ist lediglich ein physischer Aspekt umrissen. Dass Gedanken eine Entsprechung in Gehirnströmen finden, heißt nicht zwangsläufig, dass Gehirnströme mit gedanklicher Tätigkeit gleichgesetzt werden können.
Es gibt aber noch einen grundlegend anderen Ansatz, der im Hinblick auf das Wesen unserer Gedanken weiterführend sein könnte: psychologische Erkenntnisse nämlich, die ebenfalls aus der modernen Hirnforschung resultieren.
KAPITEL 2: Ich denke – bin ich also?
Existieren „reine Gedanken“ überhaupt?
Wer über René Descartes berühmte Daseins-Formel „Ich denke, also bin ich“ tiefer nachdenkt, steht vielleicht irgendwann vor der Frage: Um welches Denken geht es eigentlich? Was meinen wir ganz konkret, wenn wir von Gedanken sprechen? Die Bilder und Töne unserer Innenwelt? Die leisen Selbstgespräche, die man führt, um über irgendetwas zu grübeln oder mathematische Gleichungen zu lösen? Die persönlichen Erinnerungen? Die Lust- und Schmerzgefühle, die zum Ausdruck drängen? Oder etwa aufkeimende Vorstellungen, die wir in die Tat umsetzen wollen?
Solche Fragen zeigen, dass der Begriff „Gedanke“ im Grunde nichts fest Definiertes beschreibt, sondern eine ziemlich bunte Vielfalt. Er umfasst Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges, nüchterne Informationsverarbeitung ebenso wie empfindungsvolle Momente des Erlebens. Wobei unser Bewusstsein zweifellos vor allem jenen Regungen der Innenwelt verbunden ist, die uns bewegt, beeindruckt und begeistert haben. Erinnerungen an die erste Liebe bleiben gedanklich lebendig, ohne dass man viel dazutun müsste. Hingegen kostet es die meisten Menschen große Mühe, Ereignisse oder Fakten im Gedächtnis zu behalten, mit denen sie keine Erlebnisse verbinden.
Vielleicht sollte es „reine Gedanken“ ohne Verbindung zu Gefühlen und Empfindungen gar nicht geben. Vielleicht ist das Eintrichtern von Informationen nur ein zweifelhaftes Ergebnis des maschinenähnlichen Menschenbildes, das heute im Ausbildungsbereich gepflegt wird.
Kritische Gedanken in dieser Art äußert der bekannte Göttinger Gehirnforscher Prof. Dr. Gerald Hüther. Mit ihm habe ich das folgende Gespräch über grundlegende Begriffe geführt, die mit dem Denken in Zusammenhang stehen.
Einer allgemeinen Vorstellung zufolge sind zunächst die Gedanken da, erst dann folgen Handlungen. Aber inwiefern kann man Gedanken als etwas Eigenständiges betrachten? Wie entstehen die Vorstellungen, die uns prägen, aus der Sicht des Gehirnforschers?
Hüther:
„Damit man überhaupt irgendeine Handlung ausführen kann, muss man sie in seinem Inneren vorbereiten. Wir müssen Netzwerke aktivieren, die für diese Handlungen gebraucht werden. Wenn man handeln will, muss man ein Muster im Hirn aufbauen. Ich kann also nicht einfach den Daumen bewegen, ohne dass ich vorher in meinem Hirn das Areal, die Netzwerke aktiviere, die dafür nötig sind, dass er sich bewegt. Insofern können wir gar nichts nur denken, sondern es muss auch immer verbunden sein mit einer Handlung. Häufig ist das Denken auch noch mit einem Gefühl verbunden. Sobald wir in den Bereich der wirklichen Vorstellungen kommen, bemerken wir, dass an den Vorstellungen, die man von sich selbst oder von irgendetwas hat, oder davon, wie andere sein sollten, auch unglaublich viel Emotionalität hängt. Diese Emotionen bestimmen, wie man mit dem anderen umgeht.“
Meinen Sie also, dass es eine reine Gedankentätigkeit ohne Emotionen gar nicht gibt?
Hüther:
„Da bin ich mir ziemlich sicher, dass es das in Wirklichkeit gar nicht gibt. Man kann es aber lernen. Wir haben in unserem Kulturkreis so eine Vorstellung, dass man denken kann ohne zu fühlen oder dass man irgendetwas wahrnehmen kann in der Welt, ohne dass das eine Empfindung auslöst. Das ist hirntechnisch gar nicht richtig gut möglich, es sei denn, man trainiert es. Wir können alles trainieren. Wir können uns allen möglichen Unsinn aneignen. Eine dieser besonderen Kulturleistungen, die wir uns offenbar immer wieder gegenseitig beibringen und auch unseren Kindern, ist die Abtrennung des Denkens vom Fühlen. Praktisch geht das gar nicht. Wir würden in dem Strom der Sinneswahrnehmungen ertrinken, allein schon durch das, was wir hier alles in diesem Raum wahrnehmen können, wenn wir nicht in der Lage wären, einzelnen Wahrnehmungen eine Bedeutung zu geben. Bedeutsam wird für uns immer dann etwas, wenn es affektiv aufgeladen wird, das heißt, wenn sich irgendetwas mit einem Gefühl verbindet. Dann wird auf einmal das, was ich dort sehe, wichtiger als jenes – weil ich damit etwas verbinde, was auch an Gefühle gekoppelt ist.“
Gemeinhin hat man lange unterschieden zwischen dem physischen Körper und einer nichtphysischen Seele. Heute verorten viele Wissenschaftler die Seele im Gehirn und sagen, Seele ist gleich Gehirntätigkeit. Was für ein Menschenbild haben Sie als Gehirnforscher?
Hüther:
„Es ist schwer, diese alten, gewachsenen, ewig diskutierten Vorstellungen „Was ist der Geist? Was ist die Seele? Und was ist das Gehirn?“ so auseinander zu teilen, wie man das eigentlich machen müsste.
Etwas, das mir sehr, sehr wichtig ist: Ich verstehe den Menschen als ein Wesen, das auf der Suche ist. Und seine Suche ist, wie bei allen Lebewesen, von den bisherigen Erfahrungen geprägt. Im Laufe seines Lebens macht jedes Lebewesen Erfahrungen. Diese Erfahrungen werden dann in innere Strukturen verwandelt. Das ist, nebenbei gesagt, genau so, wie wenn man in einem Staat eine Verwaltungseinheit aufbaut. Erst einmal wird das Verwaltungssystem aufgebaut, es gewinnt eine eigene Struktur, und die bestimmt dann, wie es im Staat weitergeht. Und so werden im menschlichen Gehirn Erfahrungen in Netzwerkstrukturen verwandelt, und die bestimmen dann, wie man handelt. Das heißt, das menschliche Hirn verwandelt gewissermaßen Immaterielles, nämlich Erfahrungen, in Strukturen, Netzwerkstrukturen. Und dann werden diese Netzwerkstrukturen wieder benutzt und aktiviert, um etwas Immaterielles, nämlich Gedanken, Worte, Ideen hervorzubringen, so dass wir wahrscheinlich mit der alten Trennung – dies ist körperlich und das ist geistig – sowieso nicht weiterkommen. Die Physiker haben uns das schon längst gelehrt. Wahrscheinlich kommen wir auch mit dem alten, aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Ursache-Wirkungs-Denken nicht mehr weiter. Wir sind keine Maschinen. Wir sind Wesen, die sich selbst organisieren.
Der wunderbare neue Begriff der Selbstorganisation ist zwar schon sehr alt, aber man versteht ihn erst jetzt zunehmend. Steckt in diesem Selbstorganisationsprozess doch etwas, das mit der Seele zu tun haben könnte, wie wir sie in der Vergangenheit beschrieben haben, nämlich die Intentionalität. Es kann sich ja nur etwas selbst organisieren, wenn es irgendwas will. Selbst ein Hefekloß, den ich mit ein bisschen Butter, Wasser, Milch und Mehl anrühre, damit er aufgeht, würde, wenn ich ihn fragen könnte „Was willst du?“, antworten: „Ich will wachsen, ich will es weiter warm haben.“ Alles, was lebt, ist intentional unterwegs. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, der Mensch ist ein Suchender. Seine Intention ist, nach Formen des Zusammenlebens zu suchen, die sich mit den Erfahrungen decken, die er vorher schon gemacht hat.
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