Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
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Читать онлайн книгу Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann страница 9

Название: Das Abenteuer meiner Jugend

Автор: Gerhart Hauptmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818746

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СКАЧАТЬ laut wur­de, der sich auf man­chem Osta­de des Klei­nen Saals er­schloss. Im Gie­bel des Hau­ses ebener­dig nach der Stra­ße hin­aus lag noch die Bier­stu­be, die Schwem­me, wie man in Ös­ter­reich sagt, de­ren Tür auf die Gas­se ging und die zeit­wei­lig Schau­spie­ler Erm­ler ge­pach­tet hat­te. Sie war ein ma­nier­lich volks­tüm­li­cher Auf­ent­halt, der ge­le­gent­lich auch wohl von den Ho­no­ra­tio­ren des Orts be­sucht wur­de.

      Der Hin­ter­gar­ten war das Ge­biet, wo man sich in der un­ge­bun­dens­ten Wild­heit aus­tob­te. Der große Dün­ger­hau­fen der Pfer­de­stäl­le be­fand sich dort, der Eis­kel­ler, um den her­um es sehr übel nach Schlacht­haus roch, aber auch ein Warm­haus, des­sen Pal­men, Lor­beer- und Fei­gen­bäu­me und sel­te­ne Blu­men mir die ers­te Bot­schaft ei­ner schö­nen süd­li­chen Welt brach­ten.

      Der Schnitt­wa­ren­la­den aber von Sand­berg, in der Front des Ho­tels, at­me­te eine vor­neh­me Stil­le. Der grau­be­haar­te Schei­tel des al­ten In­ha­bers, auf dem al­le­zeit ein ge­stick­tes Käpp­chen saß, sein mil­der Ernst, sei­ne selt­sa­me Spra­che und man­ches, was man mir von ihm er­zählt hat­te, da er Vor­ste­her der Salz­brun­ner jü­di­schen Ge­mein­de war, er­füll­ten mich mit ei­nem Re­spekt, in dem sich Be­frem­den und Neu­gier misch­ten.

      So un­ge­fähr bo­ten sich zu­nächst die Schau­plät­ze dar, auf wel­chen ich mich im Voll­ge­nuss mei­nes Le­ben­strie­bes – im ge­sun­den Kin­de ist Freu­de und Le­ben ein und das­sel­be – in dau­ern­dem Wech­sel täg­lich be­weg­te. Sie la­gen auf zwei ver­schie­de­nen Haup­tebe­nen, von de­nen die eine die bür­ger­li­che, die an­de­re zwar nicht die durch­um pro­le­ta­ri­sche, aber je­den­falls die der brei­ten Mas­se des Vol­kes war. Ich kann nicht be­strei­ten, dass ich mich im Bür­ger­be­reich und in der Hut mei­ner El­tern ge­bor­gen fühl­te. Aber nichts­de­sto­we­ni­ger tauch­te ich Tag für Tag, mei­ner Nei­gung über­las­sen, in den Be­reich des Ho­fes, der Stra­ße, des Volks­le­bens. Nach un­ten zu wächst nun ein­mal die Na­tür­lich­keit, nach oben die Künst­lich­keit. Nach un­ten wächst die Ge­mein­sam­keit, von un­ten nach oben die Ein­sam­keit. Die Frei­heit nimmt zu von oben nach un­ten, von un­ten nach oben die Ge­bun­den­heit. Ein ge­sun­des Kind, das von un­ten nach oben wächst, ist zu­nächst we­sen­haft volks­tüm­lich, vor­aus­ge­setzt, dass es nicht durch Ge­ne­ra­tio­nen ver­küns­tel­ten Bür­ger­tums ver­dor­ben ist. Das Kind steht dem bäu­er­li­chen Kin­der­mäd­chen nä­her als sei­ner Mut­ter, wenn die­se eine Sa­lon­da­me ist: und die Mut­ter, wenn sie es ist, weiß mit dem Kin­de, das sie ge­bar, nichts an­zu­fan­gen. Fuhr­hal­ter Krau­se, der im Hofe die Herr­schaft führ­te, sprach mit sei­nem Soh­ne Gu­stav und mit mir, wie man mit sei­nes­glei­chen spricht. Nie wur­de ihm oder mir von Krau­se klar­ge­macht, dass wir dum­me Jun­gens sei­en und uns als min­der­wer­ti­ge We­sen an­zu­se­hen hät­ten. Auch von Va­ter und Mut­ter er­lit­ten wir kei­ne mo­ra­li­sche Er­nied­ri­gung, au­ßer wo wir mit Recht oder Un­recht ge­schol­ten wur­den. Aber es lag nun ein­mal im Geis­te des obe­ren Be­reichs, dass man sich nicht na­tür­lich be­tra­gen konn­te. Der Un­ter­schied zwi­schen un­ten und oben war so groß, wie der zwi­schen dem sinn­lich-see­len­vol­len Dia­lekt und dem sinn­lich-ar­men, na­he­zu ent­seel­ten Schrift­deutsch ist, das als Hoch­deutsch ge­spro­chen wird. Un­ten im Hof er­zog die Na­tur, oben wur­de man, wie man fühl­te, nach ei­nem be­wuss­ten mensch­li­chen Plan für ir­gend­ei­ne kom­men­de Auf­ga­be zu­ge­rich­tet. Ko­chen, Es­sen, Schla­fen, das al­les ging vor sich in ei­nem ein­zi­gen Zim­mer des Krau­se­be­reichs.

      Jeg­li­ches Ding dar­in hat­te sei­ne Auf­ga­be. Oben war eine Zim­mer­flucht, die zum großen Teil nur von Glas­schrän­ken mit Bü­chern und Nip­pes, von Spie­geln, un­be­nutz­ten Kom­mo­den, Ti­schen und Ses­seln und von ei­ni­gen schweig­sa­men Flie­gen be­wohnt wur­de. Die stum­me Spra­che die­ser Din­ge, Uhren, Por­zel­la­ne, Zier­glä­ser, Tep­pi­che, Tisch­de­cken und der­glei­chen, wie­der­hol­te im­mer­zu: Ma­che hier kei­nen Riss, dort kei­nen Fleck, stoß mich nicht an, stoß mich nicht um, und so fort. Un­ten gab es der­glei­chen Rück­sich­ten nicht.

      Und oben, nicht un­ten, wohnt auch die Ei­tel­keit. Da sind ihre großen und klei­nen Spie­gel, die über das Un­ten kei­ne Macht ha­ben. Dort prüft der ge­küns­tel­te Mensch und schon das Kind tag­täg­lich sein Aus­se­hen. Bei sol­cher Ge­le­gen­heit hat mich das mei­ne nie be­frie­digt. Auch dem Ge­cken mag üb­ri­gens et­was an­haf­ten von der­glei­chen Un­zu­frie­den­heit, er wür­de sonst im Aus­putz sei­ner Per­son nicht so ru­he­los wech­seln. Der wohl­ge­klei­de­te Mensch wird ge­se­hen. Er ver­gisst nicht, darf nicht ver­ges­sen, dass es so ist. Wenn er aus­geht, ist er sein ei­ge­ner Spie­gel. Der ein­fa­che Mensch sieht nur um sich her.

      Wenn der ein­fa­che Mann müde ist, macht er Fei­er­abend, oder er macht eine Ar­beit­s­pau­se, die er sich, wie er kann, ver­süßt. Der ge­sun­de Mann aus dem Vol­ke ist durch und durch we­sent­lich: lee­res Ge­re­de kennt er nicht. Wenn er spricht, wird es Hand und Fuß ha­ben. Das macht zu­nächst der im­mer na­he­lie­gen­de Ge­gen­stand, der sei­ne täg­li­che Ar­beit und de­ren Fehl­schla­gen oder Ge­lin­gen ist. Je­des Wort die­ser Rede ist kraft­voll und voll­gül­tig. Sie ge­stal­tet die Spra­che neu und in je­dem Au­gen­blick, wes­halb schon Mar­tin Luther sagt: »Man muss dem ge­mei­nen Mann aufs Maul schau­en, wenn man wis­sen will, was Spra­che ist.« So­kra­tes sagt un­ge­fähr das­sel­be.

      *

      Das Spei­sen am wohl­ge­deck­ten Ti­sche mei­ner El­tern in Num­mer Drei ver­lor für län­ge­re Zeit sei­nen Reiz, als ich ein­mal bei Krau­ses ge­ges­sen hat­te. Ich saß mit Krau­se, sei­ner Frau, Gu­stav und Ida so­wie ei­nem al­ten Knecht um den ge­scheu­er­ten Tisch. In der Mit­te stand eine große, brau­ne, tie­fe Schüs­sel aus Bunz­lau­er Ton, in die wir, je­der mit sei­ner Ga­bel, hin­ein­lang­ten. Wir grif­fen zu den Zinn­löf­feln, als nur noch Brü­he dar­in vor­han­den war. Mes­ser und Tel­ler gab es nicht.

      Es ging bei die­ser schlich­ten Bau­ern­mahl­zeit schweig­sam und ma­nier­lich zu. Dass man mit vol­lem Mun­de nicht spricht, soll­te sich ja von selbst ver­ste­hen. Es kom­men da­bei, selbst in ho­hen und höchs­ten Krei­sen, Spru­de­lei­en und an­de­re un­ap­pe­tit­li­che Din­ge vor. Trotz­dem wir mit aus­ge­streck­tem Arm zu­lan­gen und den Bis­sen durch die Luft füh­ren muss­ten, ehe wir ihn in den Mund steck­ten, wies die Tisch­plat­te am Schluss kei­ne Fle­cken auf. Was Frau Krau­se ge­kocht hat­te, war ein Ge­misch von Klö­ßen und Sau­er­kraut in ei­ner Brü­he aus Schwei­ne­fleisch. Die­ses Ge­richt war de­li­kat. Nie­mals spä­ter ge­noss ich wie­der­um sol­ches Sau­er­kraut. Es wur­de von dem al­ten Knecht und von Krau­se, nach­dem sie be­dacht­sam die Ga­bel dar­in ge­dreht und so die lan­gen, dün­nen Fä­den wie auf einen Wo­cken ge­wi­ckelt hat­ten, aus der Tun­ke her­aus­ge­holt. Dass sie die­sel­be Ga­bel, die sie in den Mund ge­steckt hat­ten, wie­der in die ge­mein­sa­me Schüs­sel tauch­ten, fiel mir nicht auf. Die lang­sa­me Sorg­falt des Vor­gangs ließ den Ge­dan­ken an et­was Unap­pe­tit­li­ches gar nicht auf­kom­men.

      Tisch­ge­be­te sprach man bei den Mahl­zei­ten des Fuhr­herrn nicht. Aber die gan­ze Pro­ze­dur die­ser ge­las­se­nen Nah­rungs­auf­nah­me, bei der nie­mand, auch nicht die Kin­der, im Ge­rings­ten Un­ge­duld, СКАЧАТЬ