Название: Das Abenteuer meiner Jugend
Автор: Gerhart Hauptmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Klassiker bei Null Papier
isbn: 9783962818746
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Waren die Lichter meines Geburtstages erloschen, so tauchte gleich eine andere Ballung von Licht, eine zunächst nur innerliche Sonne auf. Diese Sonne war Weihnachten. Unter der Lichtflut dieses Festes hat sich wohl der Familienkreis mir am frühesten und deutlichsten eingeprägt: mein Vater, der einen martialischen Schnurrbart und Brillen trug, meine Mutter mit ihrem Wellenscheitel, mein Bruder Carl, Johanna, die Schwester. An meinen ältesten Bruder Georg habe ich aus dieser Frühzeit keine Erinnerung.
Uns Deutschen kann der volle Begriff eines Festes nur noch an diesem Feste klarwerden. Es erhebt sich aus unabsehbaren Tiefen der Vergangenheit, und seine lebendige, oberirdische Tradition wird von Generation auf Generation in der gleichen Empfängnis entgegengenommen.
Die Freude dieses Festes war nicht die unmittelbare gesunde, irdische, sondern sie war eine mystische. Sie erhob sich in überirdischer Steigerung. Über ihr stand eine immergrüne Tanne, ein Nadelbaum, aus dessen Zweigen Kerzen emporwuchsen und ihn zu einer Pyramide von Flämmchen machten. Der Baum war gesunde Waldnatur, die Kerzen auf ihm und er als ihr Träger Mysterium.
O Tannenbaum, o Tannenbaum,
wie grün sind deine Blätter!
Du grünst nicht nur zur Sommerzeit,
nein, auch im Winter, wenn es schneit.
O Tannenbaum, o Tannenbaum,
wie grün sind deine Blätter!
Welche widersinnige Einfalt beseelt dieses kleine Lied, und welche Tiefen des Entzückens werden durch es im Gemüt des Kindes ausgelöst.
Geschenke, Gaben brachte wohl das ganze Jahr hie und da, aber sie waren nicht von dem Zauber berührt und erfüllt wie die Bescherung unterm Weihnachtsbaum. »Vom Himmel hoch, da komm’ ich her.« Nicht die Eltern hatten uns mit Geschenken beglückt, sondern sie waren diesmal wirklich vom Himmel gekommen. Der Vater, die Mutter waren Treuhänder, die sie uns übermittelt hatten.
Darum war die Freude, die Spannung zu Weihnachten übergroß, mitunter so groß, dass mein Organismus sich in der Folge durch eine kurze Krankheit wiederherstellen musste.
Trotzdem stellte man sogleich Berechnungen über das kommende Weihnachten an, über die Monate, Wochen, Tage, die man bis dahin noch zu bestehen hatte.
1 Wiesenschaumkraut <<<
Zweites Kapitel
Mein Elternhaus hatte zwei Daseinsformen, die so voneinander verschieden waren wie voll und leer, Wärme und Kälte, Lärm und Stille, Leben und Tod. Damit ist nur das Gebäude, der Gasthof zur Preußischen Krone gemeint, der dem Verkehr nur im Sommer geöffnet war und im Winter geschlossen blieb.
Ende April bezog ihn zunächst ein recht zahlreiches Personal: Köche, Küchenmädchen, Hausmamsell, sogenannte Schleußerinnen, Oberkellner, Kellner und einige Hausdiener. Dann füllten sich bald alle Zimmer mit Kurgästen.
Für den Gasthof also war das die lebendige, der Winter die tote Zeit, für die Familie dagegen war der Sommer die tote, der Winter die lebendige. Vater und Mutter gehörten sommers der Öffentlichkeit, sie waren den Winter über Privatleute.
Die zweite Daseinsform meines Geburtshauses verband sich am tiefsten mit meinem Wesen und prägte es in frühen, entscheidenden Zeiten aus. In dieser stillen, leeren Verfassung gehörte das Haus uns, im Sommer war es uns gänzlich entzogen und uns Kindern auch Vater und Mutter. Sie gehörten mit allem, in allem der Öffentlichkeit.
Die Quelle, der Brunnen war eines der ewigen Themen am winterlichen Familientisch. In einem Umkreis, dessen Radius ungefähr hundert Meter betragen mochte, traten die Heilquellen Ober-Salzbrunns, also die Salzbrunnen Salzbrunns, ans Tageslicht. Als der erste der Oberbrunnen. Gegenüber der Fassade unsres Gasthofs lag der prächtige Saal, den man über seiner Mündung errichtet hatte. An der Salzbach verborgen, zu erreichen auf einem nahen, schwankenden Brettersteg, lag der Mühlbrunnen. Er wurde zu Kurzwecken nicht benutzt und war der Bevölkerung freigegeben. Und, o Wunder! die dritte der Quellen gehörte uns. Ihr ummauerter Spiegel lag innerhalb der Fundamente unsres Gasthofs. An Heilkraft dem weltbekannten Oberbrunnen gleich, war doch ihr Dasein damals unbeachtet und ruhmlos. Ihr Wasser wurde durch eine Pumpe aus Gußeisen von den gleichgültigen Fäusten der Kutscher und Knechte für den Bedarf der Pferdeställe heraufgeholt. Auch wurde der Abwasch davon bestritten. Noch im Bereich meiner Knabenjahre ist dann eine vierte Quelle auf unserm Nachbargrundstück entdeckt worden.
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Ich danke es meinem Vater, dass er mir, dem Flüggegewordenen, weder einen Faden ans Bein gebunden, noch mich einem Aufpasser, einem Präzeptor, überantwortet hat. Unbehindert durfte ich ausschwärmen. Das Erste und Nächste, etwa im späten Herbst, war ein ausgestorbener tempelartiger Bau, der sommers als Wandelhalle diente. Dort freute ich mich an dem Hallen meiner Tritte, wenn ich aus Freude an der Wiedergeburt nach dem Schlaf auf und ab rannte. Diese offene dorische Architektur, schlechthin die Kolonnade genannt, gewährte mir auch bei schlechtem Wetter freie Bewegungsmöglichkeit, wie sommers bei plötzlichen Regengüssen den Kurgästen. Einen besseren, schöneren und auch gesünderen Spielplatz als diesen, der mir zudem ganz allein gehörte, gab es nicht.
Vom Spiel lief ich in den anstoßenden Brunnensaal hinab, der immer offen war, und ließ mir an einer langen Stange von einem der Brunnenschöpfer ein Glas in die kreisrund ummauerte Tiefe tauchen, den prickelnden Brunnen schöpfen und heraufholen. Sie taten es immer mit Freundlichkeit und Bereitwilligkeit.
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