Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
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Название: Das Abenteuer meiner Jugend

Автор: Gerhart Hauptmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818746

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      Wir hat­ten an­fäng­lich nicht die glei­che Schul­zeit, Carl und ich, so mach­te je­der den Schul­weg al­lein. Spä­ter, als ich in sei­ne Klas­se auf­stieg, leg­ten wir ihn ge­mein­sam zu­rück. Ich er­klä­re es mir als naiv-sa­dis­ti­schen Zug, dass mein Bru­der mich manch­mal hin­ten beim Kra­gen pack­te, wenn wir die Schu­le ver­las­sen hat­ten, und mich, zu mei­ner Qual, wie einen Ar­re­tier­ten vor sich her nach Hau­se be­för­der­te. Ich ver­mehr­te da­bei mei­ne Lei­den durch nutz­lo­sen Wi­der­stand.

      Ei­nes Ta­ges auf dem Nach­hau­se­we­ge wur­de mir Carls Be­tra­gen über­aus wun­der­lich. Aus der Schu­le ge­tre­ten, such­te er so­gleich einen Ru­he­platz, dann einen zwei­ten. Der Post­hof, ein Kas­ta­ni­en­hain, war mit hän­gen­den Ket­ten zwi­schen nied­ri­gen Gra­nit­pfei­lern ein­ge­fasst: Carl such­te auf ei­ner der Ket­ten Ruhe. Dann kam die Stra­ße mit meh­re­ren Prell­stei­nen: er schlepp­te sich von Prell­stein zu Prell­stein fort. So sind wir all­mäh­lich nach Hau­se ge­langt. Eine hal­be Stun­de spä­ter er­fuhr ich, dass mei­nen Bru­der eine schwe­re Krank­heit be­fal­len habe.

      Die Mut­ter wein­te und stell­te sich den denk­bar schlimms­ten Aus­gang vor. Der Va­ter war ernst: man müs­se sich auf al­les ge­fasst ma­chen, nur Gott kön­ne wis­sen, ob wir Carl be­hal­ten wür­den oder nicht. Aber den­noch: er hof­fe zu Gott.

      Ich er­leb­te nun eine Rei­he sor­gen­vol­ler Tage und auch Näch­te mit, da ich zu­wei­len von mei­ner Schwes­ter Jo­han­na, als gel­te es, von mei­nem Bru­der Ab­schied zu neh­men, ge­weckt wur­de oder auch von den Geräuschen er­wach­te, die, da ei­gent­lich nie­mand im Hau­se schlief, die gan­ze Nacht nicht auf­hör­ten. Mein Va­ter zog au­ßer mei­nem On­kel, Dok­tor Straeh­ler, noch einen äl­te­ren Arzt, Dok­tor Rich­ter, ein orts­be­kann­tes Ori­gi­nal, hin­zu. Wenn mein Bru­der die Krank­heit – es han­del­te sich um eine Lun­gen­ent­zün­dung – dann über­stand, so ret­te­ten ihn, wie mein Va­ter we­nigs­tens an­nahm, sei­ne Ratschlä­ge.

      Ta­ge­lang ver­brach­te Carl im Zu­stand der Be­wusst­lo­sig­keit. Bar­bier Krau­se, ein zwei­ter Krau­se, zu­gleich Heil­ge­hil­fe, wie es da­mals üb­lich war, der sei­ne Stu­be in ei­nem klei­nen An­bau schräg­über von der Schenk­stu­be hat­te, setz­te Schröpf­köp­fe und ope­rier­te mit Blut­egeln. Die Kran­ken­stu­be be­trat ich nicht.

      Mei­ne Schwes­ter und mei­ne Mut­ter müs­sen mich von dem, was dort ge­sch­ah, un­ter­rich­tet ha­ben. Der Kran­ke, von schreck­li­chen Fan­tasi­en ge­plagt, sah Rei­hen von Leich­na­men, die un­ter dem Gast­hof zur Kro­ne be­stat­tet wa­ren. Als der bra­ve Bar­bier ihm Schröpf­köp­fe setz­te, rang er sei­ne Hän­de zum Him­mel, und in­dem er sich be­klag­te, in was für Hän­de er ge­fal­len sei, gab er sich selbst die tra­gi­ko­mi­sche Ant­wort: in Bier­hän­de. Es kam die Kri­sis und da­mit der große und be­frei­en­de Au­gen­blick, als plötz­lich das Fie­ber ge­sun­ken war und Dok­tor Rich­ter er­klä­ren konn­te, die Ge­fahr sei nach Men­sche­ner­mes­sen vor­über.

      Es ist na­tür­lich, dass mei­ne Mut­ter mich un­ter Freu­den­trä­nen in die Arme schloss. Aber auch mein Va­ter, von dem ich bis da­hin eben­so­we­nig glaub­te, dass er la­chen wie dass er wei­nen kön­ne, nahm sei­ne Bril­le ab und tupf­te sich mit dem Tu­che die Au­gen. Als man den Kran­ken, der mit selt­sa­mer Klar­heit sei­nen ei­ge­nen Zu­stand ver­folgt hat­te, von dem glück­li­chen Um­schwung ver­stän­dig­te, er­griff ihn eine glück­se­li­ge Er­schüt­te­rung. Wir muss­ten alle zu ihm hin­ein­kom­men: »Va­ter, Va­ter, ich bin ge­ret­tet! Ger­hart, denk doch, ich bin ge­ret­tet! Mut­ter, Mut­ter, ich bin ge­ret­tet! Hann­chen, hörst du, ich bin ge­ret­tet!« wie­der­hol­te er, uns die Hän­de, so gut es ge­hen woll­te, ent­ge­gen­stre­ckend, in ei­nem fort. Es hieß so viel: ich darf wie­der bei euch blei­ben.

      Bei die­sem An­lass, der mich wohl zum ers­ten Mal in ein andres als mein eig­nes Schick­sal ver­wi­ckel­te, wur­de mir deut­lich, wel­che Fül­le ver­bor­ge­ner Lie­be un­ter dem so gleich­mä­ßig nüch­ter­nen We­sen ei­nes Va­ters, ei­ner Mut­ter be­schlos­sen lie­gen kann. Von die­sen un­sicht­ba­ren Kräf­ten und Ver­bun­den­hei­ten hat­te ich bis da­hin nichts ge­wusst. Fast be­frem­de­ten sie mich, als sie zu­ta­ge tra­ten, da sie schein­bar über mich hin­weg­gin­gen, mei­nem Bru­der und nicht mir gal­ten. Und so wur­de mir nicht ohne eine ge­lin­de Be­stür­zung klar, dass mein Bru­der nicht nur mein Bru­der, son­dern der Sohn mei­ner El­tern war und wie groß der An­teil wer­den konn­te, den ich ihm von ih­rer Lie­be ab­tre­ten muss­te.

      Die­ses Er­eig­nis muss in die Zei­ten der Fa­mi­lie­nen­ge ge­fal­len sein, wo dann das lee­re und doch wohl ei­ni­ger­ma­ßen öde Haus den ver­düs­tern­den Rah­men bil­de­te. Fie­ber­fan­tasi­en des Kna­ben fan­den so auch in uns Ge­sun­den ge­eig­nets­ten Bo­den für ihr Fort­wu­chern, so die von den in lan­ger Rei­he un­ter den Fun­da­men­ten des Gast­hofs zur Preu­ßi­schen Kro­ne ein­ge­sarg­ten To­ten. Noch bis in die Tage der Re­kon­va­les­zenz hin­ein woll­te Carls Glau­be an die­ses Ge­sicht nicht nach­las­sen, so­dass man al­len Erns­tes er­wog, der Sa­che durch Gra­bun­gen nach­zu­ge­hen.

      Mein Groß­va­ter, wur­de ge­sagt, war Bade- oder Brun­nen­in­spek­tor. Er war also gleich­sam ein sou­ve­rä­ner Herr des Kur­be­trie­bes mit al­len sei­nen vor­han­de­nen An­stal­ten: vor­an dem Brun­nen, sei­ner Be­die­nung, sei­nem Aus­schank und sei­nem Ver­sand, der Pfle­ge der Eli­sen­hal­le und der Ver­mie­tung ih­rer Ver­kaufs­lä­den, dem Kur­saal, sei­ner Ver­pach­tung und sei­nem Be­trieb, den gärt­ne­ri­schen An­la­gen der Pro­me­na­den und der Pfle­ge des Parks, der Kur­ka­pel­le und dem Thea­ter. Wo er nicht ganz be­fahl, war den­noch sein Ein­fluss maß­ge­bend. Ich glau­be, er be­saß auf dem fürst­lich-ples­si­schen Kur­ge­biet so­gar Po­li­zei­ge­walt.

      Alle die­se eben ge­nann­ten Be­triebs­zwei­ge cha­rak­te­ri­sie­ren den Ba­de­ort, und ich bin dank­bar, in sei­ner reiz­vol­len Ver­bin­dung von Kul­tur und Na­tur auf­ge­wach­sen zu sein.

      Ich glau­be nicht, dass ich im­mer ein lie­bens­wür­di­ges Kind ge­we­sen bin. Aber in­wie­fern ich mir die völ­li­ge Nicht­be­ach­tung mei­nes Groß­va­ters zu­ge­zo­gen habe, weiß ich nicht. Wenn ich ihm, wie es wohl ge­sch­ah, auf dem Wege vom Dachrö­dens­hof zur Ku­rin­spek­ti­on be­geg­ne­te, war er ent­we­der so stolz, gleich­gül­tig oder in sich ge­kehrt, dass er mei­nen Gruß nicht er­wi­dern konn­te und nur kalt über mich hin­weg­blick­te. Das glei­che ge­sch­ah, wenn ich etwa auf der Pro­me­na­de im Gra­se lag.

      Hat­te ich also für ihn nichts An­zie­hen­des, so eben­so­we­nig für sei­ne äl­teln­den Töch­ter, Tan­te Au­gus­te und Tan­te Eli­sa­beth, die al­ler­dings auch für mich nicht die ge­rings­te An­zie­hungs­kraft be­sa­ßen.

      Ein Raum im Kü­chen­bau war die Bü­fett­stu­be. Sie hat­te ein brei­tes Fens­ter nach dem Hin­ter­gar­ten hin­aus, wo im­mer Völ­ker von Hüh­nern, En­ten, Gän­sen, ja Trut­häh­nen – Schlacht­vieh für die Ta­fel – her­um­lie­fen. Eine Ei­sen­stan­ge in Hand­hö­he, wor­an nachts die Lä­den ver­fes­tigt wur­den, diente uns Kin­dern als Reck, an dem СКАЧАТЬ