Название: Das Abenteuer meiner Jugend
Автор: Gerhart Hauptmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Klassiker bei Null Papier
isbn: 9783962818746
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Eine Persönlichkeit, die immer wieder besonderen Eindruck machte, war der jeweilige Koch. Man nannte ihn allgemein den Chef. Ein solcher Chef nahm mich, solange ich klein genug dazu war, sooft er konnte, auf den Arm, und ein Name, den er mir gab, Pflaumenfritze, ist mir in Erinnerung. Er trug mich nämlich jedes Mal in die Speisekammer und ließ mich in einen Sack gedörrter Pflaumen hineinlangen.
Ein anderer Koch, ein junger Mensch, der mich ebenfalls auf den Arm genommen hatte, ist mir erinnerlich und ein niedlicher Vorgang, der die ganze Küche erheiterte: der lustige Chef nahm mit den Fingern frisch gekochte Spargel von einer Platte, tauchte die Spitzen in Butter und ließ sie mich abbeißen, der übriggebliebene Stengel flog zum offenen Fenster hinaus.
Frau Milo hieß eine Kochköchin, die neben dem Chef wirkte. Auch sie nahm mich eines Tages – etwa dreijährig mochte ich gewesen sein – auf den Arm. Da fiel mir auf, dass irgendetwas an ihr befremdlich hervorragte. Ich hatte den Begriff einer weiblichen Brust noch nicht, so klopfte ich mit der Hand auf den unbegreiflichen Gegenstand und stellte die Frage, was das wäre, worauf die ganze Küche vor Lachen fast außer sich geriet und Frau Milo dunkelrot im Gesicht wurde.
Vom Arme irgendjemandes aus sah ich zum ersten Mal die wohlgeordnete Speisekammer vom Dachrödenshof. Das war ein benachbartes Haus, das mein Großvater Straehler, der Brunneninspektor, gebaut hatte und in dem er mit zwei unverheirateten Töchtern wohnte.
Das Interesse der Köche und ähnlicher kinderlieber Menschen setzte aus, als ich älter geworden war und zur Schule ging. Es wäre mir auch nur lästig gewesen.
Ein Wildling wie ich fürchtete Zwang von allen Erwachsenen. Wo ich nur konnte, mied ich sie. Die bloße Berührung durch einen von ihnen war mir unleidlich.
1 Schläfenlocken <<<
2 Mantel mit Schulterkragen <<<
3 Berufsbezeichnung; meist Hausgehilfin <<<
Sechstes Kapitel
Den Zwang und Kerker der Schule konnte man freilich nicht ausschalten.
Im Winter war der Schulweg bis auf Prügeleien und Schneeballschlachten ohne Belang. Im Sommer wurde er dadurch gewürzt, dass wir am geöffneten Kurtheater vorbei mussten. Es war ein Holzbau, äußerlich eine verwitterte Bretterbaracke, die mein Großvater, wie auch Brunnen- und Elisenhalle, Annaturm und anderes, durch seinen Freund und Maler-Architekten Josef Friedrich Raabe, der zu Goethe in engen Beziehungen stand, hatte errichten lassen. Wenn wir zur Schule gingen, waren meist Proben, und vor den Eingängen standen die Schauspieler. Was im Theater selbst vorgehen mochte, blieb uns Kindern lange ein Mysterium; umso wilder wucherten die Gerüchte. Einst wurde mir ein Jüngling gezeigt, der heute sein Benefiz hatte. Was sollte das sein: Benefiz? Etwas Furchtbares sicherlich. Ohne es zu ahnen, kamen wir der altgriechischen Ritualbühne und den Gepflogenheiten des römischen Kolosseums in unsren Gedanken sehr nahe, denn uns war der Jüngling todgeweiht. Es hieß, er müsse am Abend zum Schluss des Stückes sich selber erstechen, oder er werde hingerichtet.
Diese Sache erschien mir selbstverständlich. Von einem flüchtigen Gruseln abgesehen, nahm ich sie hin, als ob man gesagt hätte, morgen werden uns in der Schule Bibelsprüche abgehört.
*
Der alte Lehrer Brendel, der seine Fingerkniebel gewöhnlich auf die erste Schulbank stützte und darum eine dicke Hornhaut auf ihnen hatte, war der fleischgewordene Zorn. Zorn war Anfang, Mitte und Ende seines Unterrichts. Er würde sich nichts vergeben haben, wenn er unversehens einmal gelacht hätte. Als er gelegentlich mit seinem gelben Rohrstock, um einen Schüler abzustrafen, in die Bank langte, erhielt ich, nicht der Gemeinte, den wuchtigen Schlag, worauf er denn doch betretene Worte stammelte.
Am Schluss der Stunde sang man: »Nun danket alle Gott mit Herzen, Mund und Händen!« Wir setzten stillschweigend hinzu: dafür, dass die Schule zu Ende ist. Nie jauchzte ein tiefer gefühlter Dank zum Himmel. Mit dem letzten Ton brausten wir auf die Straße.
Dass wir in den Kurgästen und in ihren wohlgekleideten, wohlgeputzten Kindern höhere Wesen sehen mussten, war eine Unvermeidlichkeit: kamen sie doch aus Hamburg, Bremen, Berlin, Danzig, ja aus Sankt Petersburg oder Warschau, Städten, von denen ich wenig wusste, deren Namen jedoch wie Sonnen glänzten. Es waren durchaus nicht nur Lungenkranke, die Salzbrunn aufsuchten, wenn auch der hustende, krächzende, Schleim auswerfende Schwindsuchtskandidat zum Bilde des Bades gehörte. Er bewegte sich aber in den Wogen einer ihn nicht beachtenden, heiterbunten Lebewelt, die sich auf der Brunnenpromenade und in der dorischen Tempelhalle täglich mehrmals zusammenfand. Man übte damals noch eine selbstverständliche Duldsamkeit. Der Gesunde, der Leicht-, der Schwererkrankte wurden überall und so auch in der Preußischen Krone unbedenklich und wahllos aufgenommen.
Wie gesagt, die Fremden waren uns Kindern Halbgötter. Um ihretwillen wurden Berge von Fleisch verarbeitet, Frachtkisten mit Seefisch kamen, die besten Gemüse wurden für sie geputzt, die auserlesensten Früchte verarbeitet. Im Innern des Brunnenhofes, eines Logierhauses, das zum Bade gehörte und das mein Vater gepachtet hatte, war ein großes Steinbassin, aus dem man jederzeit mit dem Netz lebende Bachforellen fischen konnte. Dass des Abends Champagnerpfropfen im Saale knallten, war keine Seltenheit.
Alles dies ward von den Fremden beansprucht und, was mehr ist, von ihnen bezahlt. Sie kamen und lebten aus vollen Säckeln. So habe ich wohl sicherlich den Begriff von Geld und Geldeswert schon um jene Zeit gehabt und gewusst, dass es darauf ankam, möglichst viel davon in den Kassenbehältern des Gasthofs zurückzubehalten.
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