Название: Das Abenteuer meiner Jugend
Автор: Gerhart Hauptmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Klassiker bei Null Papier
isbn: 9783962818746
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Der durch Jahre vorausgeworfene Schatten des ersten Schultags verdichtete sich. Eines Tages nach Weihnachten sagte meine Mutter zu mir: »Wenn das Frühjahr kommt, musst du in die Schule. Ein ernster Schritt, der getan werden muss. Du musst einmal stillsitzen lernen. Und überhaupt musst du lernen und lernen, weil auf andere Weise nur ein Taugenichts aus dir werden kann.«
Also du musst! du musst! du musst!
Ich war sehr bestürzt, als mir diese Eröffnung gemacht wurde. Dass ich erst etwas werden solle, da ich doch etwas war, begriff ich nicht. War ich doch völlig eins mit mir! Nur immer so weiter zu sein und zu leben war der einzige, noch fast unbewusste Wunsch, in dem ich beruhte. Freiheit, Stille, Freude, Selbstherrlichkeit: warum sollte man etwas anderes wollen? Die kleinen Gängelungen der Eltern störten diesen Zustand nicht. Wollte man mir dieses Leben wegnehmen und dafür ein Sollen und Müssen setzen? Wollte man mich verstoßen aus einer so vollkommen schönen, mir so vollkommen angemessenen Daseinsform?
Ich begriff diese Sache im Grunde nicht.
Etwas auf andere Weise zu lernen als die, welche mir halb bewusst geläufig war, hatte ich weder Lust, noch fand ich es zweckmäßig. War ich doch durch und durch Energie und Heiterkeit. Ich beherrschte den Dialekt der Straße, so wie ich das Hochdeutsch der Eltern beherrschte. Erst heute weiß ich, welch eine gigantische Geistesleistung hierin beschlossen ist und dass sie, geschweige von einem Kinde, nicht zu ermessen ist. Spielend und ohne bewusst gelernt zu haben, hantierte ich mit allen Worten und Begriffen eines umfassenden Lexikons und der dazugehörigen Vorstellungswelt.
Ob ich mich nicht wirklich vielleicht ohne Schule schneller, besser und reicher entwickelt hätte?
Vielleicht aber war das Schlimmste ein Seelenschmerz, den ich empfand. Meine Eltern mussten doch wissen, was sie mir antaten. Ich hatte an ihre unendliche, uferlose Liebe geglaubt, und nun lieferten sie mich an etwas aus, ein Fremdes, das mir Grauen erzeugte. Glich das nicht einem wirklichen Ausstoßen? Sie gaben zu, sie befürworteten es, dass man mich in ein Zimmer sperrte, mich, der nur in freier Luft und freier Bewegung zu leben fähig war, – dass man mich einem bösen alten Mann auslieferte, von dem man mir erzählt hatte, was ich später genugsam erlebte: dass er die Kinder mit der Hand ins Gesicht, mit dem Stock auf die Handteller oder, sodass rote Schwielen zurückblieben, auf den entblößten Hintern schlug!
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Der erste Schultag kam heran. Der erste Gang zur Schule, den ich, an wessen Hand weiß ich nicht mehr, unter Furcht und Zagen zurücklegte. Es schien mir damals ein unendlich langer Weg, und so war ich denn recht erstaunt, als ich ein halbes Jahrhundert später das alte Schulhaus suchte und nur deshalb nicht fand, weil es aus dem Fenster der alten Preußischen Krone sozusagen mit der Hand zu greifen war.
Unterwegs gab es Verzweiflungsauftritte, die nach vielem gutem Zureden meiner Begleiterin, und nachdem sie mich an der Schultür unter den dort versammelten Kindern allein gelassen hatte, dumpfe Ergebung ablöste.
Es gab eine kurze Wartezeit, in der sich die kleinen Leidensgenossen tastend miteinander bekannt machten. Im Hausflur der Schule zusammengepfercht, pirschte sich ein kleiner Pix an mich heran und konnte sich gar nicht genug tun in Versuchen, die Angst zu steigern, die er bei mir mit Recht voraussetzte. Diese kleine schmutzige Milbe und Rotznase hatte mich zum Opfer ihres sadistischen Instinktes ausgewählt. Sie schilderte mir das Schulverfahren, das sie ebensowenig kannte wie ich, indem sie den Lehrer als einen Folterknecht darstellte und sich an dem gläubigen Ausdruck meines angstvoll verweinten Gesichts weidete. »Er haut, wenn du sprichst«, sagte der kleine Lausekerl. »Er haut, wenn du schweigst, wenn du niesen musst. Er haut dich, wenn du die Nase wischst. Wenn er dich ruft, so haut er schon. Pass auf, er haut, wenn du in die Stube trittst.«
So ging es, ich weiß nicht wie lange, fort, mit den Worten und Wendungen des Volksdialekts, in dem man sich auf der Straße ausdrückt.
Eine Stunde danach war ich wieder zu Haus, aß mit den Eltern vergnügt und renommistisch das Mittagbrot und stürzte mich mit verdoppelter Lust ins Freie, in die noch lange nicht verlorene Welt meiner kindlichen Ungebundenheit.
Nein, die Dorfschule mit dem alten, immer missgelaunten Lehrer Brendel zerbrach mich nicht. Kaum wurde mir etwas von meinem Lebensraum und meiner Freiheit weggenommen und gar nichts von meiner Lebenslust.
Drittes Kapitel
Der Gebäudekomplex des Gasthofs zur Preußischen Krone war im Laufe der Zeiten durch Anbauten entstanden. Schwer zu sagen, welcher seiner Teile mir zuerst zu Bewusstsein gekommen ist. Ich hatte wohl erst ein allgemeines Gefühl seiner Unergründlichkeit. Insoweit blieb er mir lange unheimlich. Ich denke auch hier an die Winterzeit. Da war zunächst unser Winterquartier im ersten Stock. Es waren die Säle: der sogenannte Große Saal und der sogenannte Kleine Saal und endlich der sogenannte Blaue Saal, der in Wahrheit der kleinste war. Da war ferner das Erdgeschoss: ein Schnittwarenladen lag darin, eine verpachtete, dem Straßenbetrieb offene Bierstube, die Wohnung des Fuhrwerksbesitzers Krause und die Kronenquelle, von der schon gesprochen wurde. Das Haupthaus, der Kleine Saal, die Stallungen СКАЧАТЬ