Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
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Читать онлайн книгу Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann страница 46

Название: Das Abenteuer meiner Jugend

Автор: Gerhart Hauptmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818746

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СКАЧАТЬ Ka­pel­le hat­ten. Als wir das Bäum­chen ge­pflanzt und tüch­tig be­gos­sen hat­ten, hielt ich mit lau­ter Stim­me die Fe­st­re­de. Ich sag­te: der Krieg sei gut und noch bes­ser der Sieg, am al­ler­bes­ten aber der Frie­de. Um sei­net­wil­len wer­de ja schließ­lich Krieg ge­führt – und ich weiß ge­nau, wel­che woh­li­ge Emp­fin­dung hei­te­rer Si­cher­heit sich da­bei um mei­ne Brust leg­te. Konn­ten wir da­mals ah­nen, dass eine Frie­den­se­po­che fast oh­ne­glei­chen, von mehr als vier Jahr­zehn­ten, vor uns und dem deut­schen Vol­ke stand?

      Beim Pflan­zen der Frie­den­sei­che, das ver­steckt hin­ter dich­ten He­cken in ei­nem Gar­ten ge­sch­ah, sind wir trotz­dem be­lauscht wor­den. Es hat­ten sich au­ßer­halb Men­schen an­ge­sam­melt. Als ich mei­ne Rede be­schloss, wur­de mir von dort aus durch Hän­de­klat­schen und Bra­vo­ru­fe der ers­te Bei­fall mei­nes Le­bens be­zeigt.

      *

      Im­mer tiefer ge­rie­ten wir in den Herbst hin­ein, und am 15. No­vem­ber brann­ten zehn Lich­ter um mei­nen Ge­burts­tags­ku­chen. In mei­nem Ge­dächt­nis ist die­ser Tag ver­zeich­net gleich­sam als epo­cha­ler Au­gen­blick. Höchs­tens drei- oder vier­mal hat es einen sol­chen ge­ge­ben im ers­ten Vier­tel­jahr­hun­dert mei­nes Da­seins­kampfs.

      Was war es? Was ver­lieh dem Zehn­lich­ter­tag die­se Wich­tig­keit? Die Fra­ge ist heut nicht mehr leicht zu be­ant­wor­ten. Ge­wiss ist, sie lag in mei­nem Geis­te, denn hier fand eine bis­hin un­mög­li­che Art von Ein­kehr statt. Es war, als wenn ich jetzt erst zum Den­ken er­weckt wür­de.

      Eine Er­fah­rung, die ich ge­macht hat­te, war das im­mer schnel­le­re Ent­schwin­den der Zeit. Ein Tag, der mir frü­her end­los er­schie­nen war, wur­de jetzt, in un­end­li­cher Ket­te, vom nächs­ten im Handum­dre­hen ab­ge­löst. Hat­te ich in die­sem einen Jahr­zehnt mei­ne bo­den­stän­di­ge Welt so durch und durch ken­nen­ge­lernt, dass sie mir nichts Neu­es bie­ten konn­te und et­was wie stump­fe Gleich­gül­tig­keit bei mir herr­schend ward, wo­durch sich dann der Tag ohne neue Er­kennt­nis­wer­te schnell und gleich­gül­tig ab­ge­has­pelt hät­te? Eine ge­wis­se kind­lich-selbst­ver­ständ­li­che, fast ge­dan­ken­lo­se Art der Le­bens­füh­rung hat­te sich in der Tat zum größ­ten Teil aus­ge­lebt.

      Eine Art Reue kam mich an, als ob ich eine un­end­li­che Rei­he vor­über­flie­hen­der Tage nicht ge­nü­gend be­nützt hät­te; bei­lei­be nicht etwa im Sin­ne Bren­dels oder sonst ei­nes Schul­meis­ters. Ich er­kann­te viel­mehr in dem Ge­schenk ei­nes Ta­ges, in der Dar­bie­tung ei­ner sol­chen Son­nen­frist eine un­ge­heu­re Kost­bar­keit. Woll­te ich ih­ren Ver­lust über­haupt nicht wahr­ha­ben, so erst recht nicht ihre Ver­schleu­de­rung.

      And­rer­seits streb­te mein in­ne­rer Blick plötz­lich in die Zu­kunft hin­aus: nicht das Mor­gen, das Über­mor­gen, das Weih­nachts­fest oder sonst ei­nes im Jah­res­lauf war mehr sein Ziel, son­dern er ver­lor sich im Uner­gründ­li­chen. An­halts­punk­te für kos­mi­sche oder tran­szen­den­te Er­kennt­nis such­te er dies­mal nicht, son­dern sol­che, die Auf­schlüs­se über mein ei­ge­nes war­ten­des Schick­sal brin­gen konn­ten. Die­ser neue, aus­drucks­vol­le Blick je­doch wur­de zu­gleich von ei­ner Mau­er ge­hemmt, die er zu mei­ner Pein nicht durch­drin­gen konn­te.

      Hat­te ich der­einst mei­ne Ein­ma­lig­keit und da­mit mein un­ver­brüch­li­ches Al­lein­sein er­kannt, so sah ich mich heut zum ers­ten Mal ei­nem neb­lich­ten Schick­sal ge­gen­über­ge­stellt, das ich al­lein zu tra­gen hat­te. Wie wür­de es nach der Ent­hül­lung aus­se­hen? Wel­che Las­ten lud es mir auf?

      Das große Fra­ge­zei­chen blieb fort­an vor mei­ner See­le wie ein Me­men­to auf­ge­rich­tet. Da­hin­ter war eine wol­ken­haf­te Fins­ter­nis, in wel­cher Dro­hun­gen wet­ter­leuch­te­ten. Gott sei Dank war das Gan­ze mit ei­ner Him­mels­rich­tung ver­knüpft, wäh­rend die üb­ri­gen und die da­zwi­schen­lie­gen­den Punk­te mei­nes Ge­sichts­krei­ses frei wa­ren. Durch einen die­ser Punk­te fand sich ein Ra­di­us vom Zen­trum hin­aus­ge­führt. Er glich ei­nem sil­ber­nen Strahl, der sich al­ler­dings auch im Rau­me ver­lor, aber gleich­sam in ei­nem sil­ber­nen Ne­bel.

      Nie ei­gent­lich gab es in un­serm Hau­se pri­va­te Ge­sell­schaft. Som­mers konn­te da­von nicht die Rede sein, und da mei­ne Mut­ter sich im All­ge­mei­nen an Kaf­fee­kränz­chen und der­glei­chen nicht be­tei­lig­te, fehl­te auch im Win­ter die Ver­an­las­sung. Va­ter und Mut­ter pfleg­ten im Ort kei­ner­lei Ge­sel­lig­keit, eher mit Be­wusst­sein das Ge­gen­teil.

      Ein­mal aber wur­den doch die Ge­mä­cher des ers­ten Stockes für den Empfang ei­ner grö­ße­ren Abend­ge­sell­schaft her­ge­rich­tet, und zwar die gan­ze Zim­mer­flucht. Al­les wur­de sorg­sam durch­wärmt. Im ers­ten Rau­me stand das Bü­fett mit Lecker­bis­sen, Glä­sern und ge­öff­ne­ten Wein­fla­schen, im zwei­ten und drit­ten wa­ren Ess­tisch­chen auf­ge­stellt, das vier­te Zim­mer aber hat­te mein Va­ter zu ei­nem Le­se­ka­bi­nett aus­er­se­hen, wo man al­ler­lei Bü­cher und Zeit­schrif­ten durch­blät­tern konn­te, aus den sonst we­nig be­nütz­ten Schät­zen sei­nes Bü­cher­schranks: Meyers Uni­ver­sum mit sei­nen schö­nen Il­lus­tra­tio­nen, ein dickes Pracht­werk, das, in Kup­fer­stich re­pro­du­ziert, einen großen Teil der Schät­ze des Ber­li­ner Mu­se­ums ent­hielt, ein fran­zö­si­sches Werk mit far­bi­gen Li­tho­gra­fi­en, »Mu­ses et fées«, und Il­lus­tra­tio­nen zur Ili­as, die in einen deut­schen Pro­sa­text des Wer­kes ein­ge­fügt wa­ren.

      Selbst­ver­ständ­lich, dass ich vor dem Ein­tritt der Gäs­te alle die­se Wer­ke eif­rig durch­mus­ter­te.

      Be­son­ders »Mu­ses et fées« mit sei­nen durch Ga­ze­kleid­chen lose ver­hüll­ten ro­si­gen Mäd­chen­kör­pern ent­zück­te mich. Dann kam die Ili­as an die Rei­he. Als ich lan­ge das Buch durch­blät­tert und Pro­sa­stücke ent­zif­fert hat­te, ging mir jäh wie ein hel­les Licht der Ge­dan­ke auf, man müss­te die­se Pro­sa in Ver­se um­wan­deln. Wenn du die­se Auf­ga­be lö­sen könn­test, dach­te ich – der Ruhm ei­nes großen Dich­ters wür­de da­mit ge­won­nen sein.

      Ich habe da­mals we­der vom Vor­han­den­sein der Ili­as noch der Odys­see noch ei­nes Dich­ters na­mens Ho­mer ge­wusst.

      Die­se Er­kennt­nis, der Ge­dan­ke, die Ili­as zu dich­ten, die, ohne dass ich es wuss­te, als Dich­tung be­reits vor­han­den war, die da­mit ver­knüpf­te Hoff­nung des Dich­ter­ruhms war eben der sil­ber­ne Strahl, der kei­ne Mau­er zu durch­drin­gen brauch­te und sich in frei­er Fer­ne in ei­nem sil­bern-lo­cken­den Ne­bel ver­lor.

      Ir­gend­ei­nen Ver­such, die ge­fass­te Idee zu ver­wirk­li­chen, habe ich da­mals nicht un­ter­nom­men. Kei­ner­lei Über­le­gung, son­dern höchs­tens ein un­be­wuss­tes Wis­sen mei­ner kna­ben­haf­ten Un­zu­läng­lich­keit hielt mich da­von zu­rück.

      *

      Von großer Be­deu­tung wur­de für mich der di­cke Band, der Ma­le­rei­en und plas­ti­sche Bild­wer­ke Ber­lins, in­son­der­heit sei­nes Mu­se­ums, wie­der­gab. Ich habe zu be­ken­nen, dass mich Mu­ril­los »Se­me­le СКАЧАТЬ