Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann страница 45

Название: Das Abenteuer meiner Jugend

Автор: Gerhart Hauptmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818746

isbn:

СКАЧАТЬ <<<

      3 Groß­grund­be­sit­zer und Jun­ker <<<

      An­ders und tiefer war der Kampf, den mei­ne Mut­ter da­mals, durch Jah­re, um die See­le der Toch­ter kämpf­te, die ih­rer Mei­nung nach ihre kind­li­che Pf­licht ver­gaß und in ein frem­des La­ger über­ging.

      Wie mei­ne Mut­ter fühl­te und nicht fühl­te, leb­te sie in ei­ner Art Aschen­put­te­lexis­tenz. Gram und Kum­mer des­we­gen wa­ren viel­fach auch mir ge­gen­über zum Aus­druck ge­kom­men. Sie setz­te in­stink­tiv bei Jo­han­na ein ähn­li­ches Füh­len vor­aus. Vi­el­leicht schweb­te ihr von die­ser Sei­te eine Ent­las­tung vor, die sie an­der­wärts nicht er­hof­fen konn­te.

      Jo­han­na ging einen an­de­ren Weg. Ob­gleich sie, wie mein Va­ter es nann­te, als Sie­ben­mo­nats­kind nur ein klei­nes Le­ben war, be­stand ein star­ker Wil­le in ihr, den auch ich nicht sel­ten zu spü­ren be­kam. Sie schwieg, wo sie an­de­rer Mei­nung war, ver­harr­te je­doch umso fes­ter auf ih­rer. Das Bei­spiel der Mut­ter, die in den Sor­gen und der Müh­sal des Haus­hal­tes er­trun­ken war, glich ei­ner im­mer­wäh­ren­den War­nung, aus Wil­lens­schwä­che ei­nem ähn­li­chen Schick­sal an­heim­zu­fal­len. Nein! Eier quir­len, Bouil­lon ab­rau­men, Kno­chen­bän­der durch­hau­en, Hüh­ner und Fi­sche schlach­ten, Pfan­nen rei­ni­gen, schar­fen Fett­dunst ein­at­men, Boh­nen schnei­den, Scho­ten aus­pah­len, Kir­schen ent­ker­nen, St­rümp­fe stri­cken und St­rümp­fe stop­fen lag mei­ner Schwes­ter nicht.

      Un­wi­der­steh­lich fühl­te sie sich viel­mehr durch die vor­neh­me Geis­tig­keit des von Ran­dow­schen Krei­ses an­ge­zo­gen, wo man Eng­lisch und Fran­zö­sisch trieb, deut­sche Dich­ter las und am Kla­vier Mo­zart, Schu­bert und Beetho­ven pfleg­te.

      Die Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen mei­ner Mut­ter und mei­ner Schwes­ter, die nicht sel­ten in mei­ner Ge­gen­wart statt­fan­den, stei­ger­ten sich mit­un­ter zu großer Hef­tig­keit. Mei­ne Mut­ter war hier­in kurz­sich­tig. Wäre Jo­han­na ihr ge­folgt, wahr­schein­lich wäre sie zei­tig zu­grun­de ge­gan­gen, denn eine Ent­wick­lung, wie die hier für sie er­streb­te, war für sie bei der Zart­heit ih­rer An­la­ge Un­na­tur.

      Eine Art Le­ben­stau­mel be­herrsch­te den Ba­de­ort, der in die­ser Sai­son den Zustrom von Gäs­ten kaum be­wäl­ti­gen konn­te. Wäh­rend des Tru­bels in­mit­ten der Ju­li­hit­ze hieß es plötz­lich, dass das Fräu­lein von Ran­dow ge­stor­ben sei. Ich schlang ge­ra­de wie­der ein­mal mein Mit­ta­ges­sen in der Bü­fett­stu­be, als mir die Mit­tei­lung ge­bracht wur­de. Im Vor­raum ka­men und gin­gen die Kell­ner und mach­ten mit lau­ter Stim­me ihre Be­stel­lun­gen. Ich war nicht we­nig über­rascht, als in mei­nem ab­ge­le­ge­nen öden Raum eine vor­neh­me Dame in tiefer Trau­er er­schi­en, die mich nach mei­nen El­tern frag­te. Die Er­schei­nung war nicht nur we­gen der schwar­zen Tracht auf­fäl­lig. Ein blas­ses, ed­les Ge­sicht mit bren­nen­den Au­gen ward sicht­bar, als die Dame den Schlei­er zu­rück­leg­te. Voll Un­ge­duld ging sie hin und her.

      End­lich, als ob sie die Frem­de ge­sucht hät­te, trat mei­ne Schwes­ter Jo­han­na ein, ent­schul­dig­te die lei­der un­ab­kömm­lich be­schäf­tig­ten El­tern und ent­fern­te sich mit der Be­su­che­rin.

      Es sei eine Baro­nin Ma­ria von Lie­big, sag­te man mir, eine Freun­din von Fräu­lein Jasch­ke, die zum Be­gräb­nis von de­ren Pfle­ge­ma­ma ein­ge­trof­fen war.

      Jo­han­na nahm mich mit in den Kur­län­di­schen Hof. Hier war das Fräu­lein auf­ge­bahrt; ein schwe­res Bro­kat­kleid ist mir er­in­ner­lich, des­sen Schlep­pe man über den Rand des me­tal­le­nen Sar­ges bis zur Erde dra­piert hat­te.

      Ich habe ver­mö­ge mei­ner of­fe­nen und an­schmieg­sa­men Na­tur vie­len ein­fa­chen Leu­ten, Kut­schern, Haus­die­nern, Dienst­mäd­chen und Kell­nern, wie mei­nes­glei­chen na­he­ge­stan­den. Ich hat­te mich in die­sem Som­mer an einen lus­ti­gen, lie­bens­wür­di­gen Sach­sen be­son­ders an­ge­schlos­sen, der als Kell­ner auch von mei­nem Va­ter be­vor­zugt wur­de und sehr tüch­tig war. Über­ra­schend hat­te sich die­ser bis da­hin so eif­rig tä­ti­ge Mensch aus dem Dienst ent­fernt, kam nicht zu­rück und wur­de da und dort in den Knei­pen des Orts ge­sich­tet, wo er, ohne grad im Trin­ken aus­zu­schwei­fen, sei­ner Um­ge­bung Re­den hielt.

      Die­ser jun­ge Ge­or­ge oder Fritz oder Jean, mit Stroh­hut, Stöck­chen und ele­gan­tem Som­mer­pa­le­tot, stand ei­nes Ta­ges, wäh­rend ich speis­te, vor mir in der Bü­fett­stu­be. Er schwenk­te sein Stöck­chen, hob den Hut, wisch­te mit ei­nem sei­de­nen Ta­schen­tuch sei­ne Stirn und frag­te mit ei­ner mir an ihm frem­den Un­ge­niert­heit: »Sa­gen Sie, Ger­hart, wo ist Ihr Va­ter?« Ich war er­schreckt, denn ich merk­te, dass et­was bei ihm nicht in Ord­nung war. Als ich zu­nächst durch Schwei­gen ant­wor­te­te, fiel ihm das, wie mir schi­en, nicht auf. Er pflanz­te sich vor den Spie­gel und bürs­te­te sorg­fäl­tig sei­nen Schei­tel, der ta­del­los von der Stirn bis zum Na­cken ging. Er müs­se mei­nen Va­ter spre­chen, er­klär­te er, weil er ein Ge­heim­nis ent­deckt habe. Er sag­te das aber nicht zu mir, son­dern führ­te ein Selbst­ge­spräch, wäh­rend­des­sen er mei­ne Ge­gen­wart, wie ich fühl­te, ver­ges­sen hat­te. »Ich habe ein Ge­heim­nis ent­deckt!« war der Schluss, der sich wohl zwan­zig­mal wie­der­hol­te.

      Es hieß am glei­chen Nach­mit­tag, der arme hüb­sche Jun­ge sei auf der Pro­me­na­de ei­ner Ge­ne­ra­lin buch­stäb­lich auf­ge­huckt, also auf den Rücken ge­sprun­gen, und sei, ar­re­tiert, in Tob­sucht ver­fal­len. Un­heil­bar geis­tes­ge­stört, steck­te er we­ni­ge Tage spä­ter hin­ter den Git­ter­stan­gen ei­ner Ir­ren­an­stalt.

      Es war das ers­te Mal, dass ich die Zer­stö­rung ei­nes Geis­tes aus der Nähe be­ob­ach­ten konn­te. Ein mir ver­trau­ter, lie­bens­wer­ter Mensch er­litt plötz­lich le­ben­di­gen Lei­bes den geis­ti­gen Tod. Dass et­was der­glei­chen schon in die­sem Le­ben mög­lich ist, er­schwert die Ant­wort auf die Fra­ge nach geis­ti­ger Uns­terb­lich­keit und macht den Glau­ben dar­an bei­nah un­mög­lich.

      *

      Ich be­fand mich da­mals im zehn­ten Jahr, ge­noss nach wie vor bei Bren­del den Schul­un­ter­richt, er­hielt von Dok­tor Oli­vie­ro in des­sen Woh­nung Gei­gen­stun­de und trieb mich die meis­te Zeit in Feld, Wald, Wie­se so­wie noch im­mer auf der Klei­nen Sei­te von Ober-, Mit­tel- und Nie­der-Salz­brunn her­um. Im­mer noch spuk­te die In­dianer­ro­man­tik, Ro­bin­son und das Step­pen­roß. Un­ter dem al­ten Birn­baum rühr­ten wir Jun­gens noch im­mer die Trom­mel, mach­ten rechtsum, links­um­kehrt un­ter dem Be­feh­le Gros­sers, des eins­ti­gen Feld­we­bels, und san­gen: »Heil dir im Sie­ger­kranz« – nicht mehr mit dem Schluss »Heil, Kö­nig …« son­dern »Heil, Kai­ser, dir!« Im Herbs­te, als sich der Ku­r­ort ge­leert hat­te und der ein­ge­ses­se­ne Salz­brun­ner zu sich sel­ber kam, wach­ten die Krie­ger­ver­ei­ne auf, Fes­te wur­den ge­fei­ert, pa­trio­ti­sche Re­den ge­hal­ten, und be­son­ders das Pflan­zen von Frie­den­sei­chen СКАЧАТЬ