Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
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Читать онлайн книгу Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann страница 49

Название: Das Abenteuer meiner Jugend

Автор: Gerhart Hauptmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818746

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      Im Üb­ri­gen war durch Bru­der Ge­org, der von der Fa­mi­lie mehr und mehr als Er­wach­se­ner be­han­delt wur­de, ein fri­scher Luft­zug ins Haus ge­kom­men. Nicht nur hat­te er al­ler­lei lus­ti­ge Schul­ge­schich­ten mit­ge­bracht, er war auch er­füllt von Er­leb­nis­sen der Tanz­stun­de, ei­nem Kur­sus, den mitz­u­ma­chen ihm der Va­ter er­laubt hat­te. Mit mei­ner Schwes­ter als Dame tanz­te Ge­org uns Pol­ka und Wie­ner Wal­zer vor und den schwe­ren Ma­su­rek, des­sen schwie­ri­ge Pas wir mit Mühe nach­ahm­ten. Der Tanz­meis­ter mit sei­nen ko­mi­schen Kom­man­dos, sei­nen An­wei­sun­gen, die hüb­schen jun­gen Da­men re­so­lut an­zu­fas­sen, wur­de gleich­sam leib­haf­tig durch sei­ne Schil­de­rung, und end­lich wur­de durch ihn un­ter Bil­li­gung und Ge­nug­tu­ung mei­nes Va­ters die Dis­kus­si­on von al­ler­lei Fra­gen am Fa­mi­li­en­tisch in Gang ge­bracht.

      Mein Va­ter schi­en sei­nen Söh­nen schwei­gend ent­ge­gen­zu­le­ben. Er war­te­te gleich­sam dar­auf, sie er­wach­sen zu se­hen, um Stüt­zen und Freun­de an ih­nen zu ha­ben. Mit mei­ner Mut­ter gab es Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten, wir kann­ten sie gleich­sam als täg­li­ches Brot.

      Mit dem Auf­tre­ten des Pri­ma­ners Ge­org fing die Er­ör­te­rung all­ge­mei­ner Fra­gen an, in die sich mein Va­ter, als ob ihn da­nach ge­hun­gert hät­te, gern ver­wi­ckel­te. Sie ent­ho­ben ihn ei­ner Iso­lie­rung, wie mir scheint, zu der er sich selbst für Jahr­zehn­te ver­ur­teilt hat­te. Sein We­sen wäh­rend die­ser Zeit war wie das ge­gen je­der­mann: Schweig­sam­keit, ja Un­nah­bar­keit. Sei­ne Äu­ße­run­gen gin­gen nir­gend über das im so­zia­len Ver­kehr un­be­dingt Er­for­der­li­che hin­aus; selbst mei­ne Mut­ter ist ver­ge­bens im­mer wie­der ge­gen die Burg­mau­ern sei­ner Ver­schlos­sen­heit Sturm ge­lau­fen. Nun aber, Ge­org ge­gen­über, und so­mit auch Carl und mir ge­gen­über, trat er of­fen aus sich her­aus.

      Es gab in un­se­rer Fa­mi­lie »Auf­trit­te«. Mein und be­son­ders Carls Tem­pe­ra­ment konn­te ohne der­glei­chen Hö­he­punk­te nicht aus­kom­men. Schwes­ter Jo­han­na reiz­te uns durch ge­heu­chel­te Käl­te. Sie ver­ar­bei­te­te ihre Auf­trit­te in­ner­lich. Bei­spie­le, wel­che das Tem­pe­ra­ment mei­ner Mut­ter und mei­nes Va­ters durch hef­ti­ge Auf­trit­te be­stä­tig­ten, sind in die­sen Blät­tern schon an­ge­führt. Spä­te­re Vor­fäl­le wer­den be­wei­sen, dass mein Bru­der Ge­org in die­ser Be­zie­hung viel­leicht am stärks­ten be­las­tet war und ge­le­gent­lich von ei­nem maß­lo­sen, höchst ge­fähr­li­chen Jäh­zorn über­mannt wur­de.

      Um jene Os­tern trug sich die­ser tra­gi­ko­mi­sche Auf­tritt zu: Das neu­ge­ba­cke­ne Den­ken Ge­orgs hat­te für sich die Fra­ge ent­schie­den, ob Je­sus von Na­za­reth ein Mensch oder ein Gott ge­we­sen sei. Ge­org hat­te be­haup­tet, er sei zwar der edels­te und reins­te der Men­schen, die je ge­lebt hät­ten, aber doch nur ein Mensch. Wäre Je­sus ein Gott ge­we­sen und hät­te er sich als ein­ge­bo­re­ner ein­zi­ger Sohn Got­tes ge­fühlt, so wäre sein Op­fer kein Op­fer ge­we­sen. Wie sol­le auch ein Mensch den Tod er­lei­den, der sel­ber von sich wis­se, dass er ein Gott und dass er un­s­terb­lich sei. Und so war denn das A und O der Dar­le­gung mei­nes Bru­ders Ge­org am Fa­mi­li­en­tisch, der auch Carl bei­wohn­te, dass Je­sus ein Mensch und nicht Got­tes Sohn wäre.

      Nie­mand ver­sah sich des Ein­drucks, den die­se Er­öff­nung auf den da­mals wohl drei­zehn­jäh­ri­gen Bru­der Carl mach­te. Er sprang vom Stuhl, er wein­te fast vor Ent­rüs­tung und Wut. Aus sei­nem Mun­de spru­del­ten ei­ni­ge Mi­nu­ten lang die hef­tigs­ten Vor­wür­fe: »Du wirst es bü­ßen! Du wirst es zu bü­ßen ha­ben!« schrie er sei­nen äl­te­ren Bru­der an. Was er sage, sei Blas­phe­mie, sei Got­tes­läs­te­rung, sei ver­bre­che­ri­scher Un­glau­be. Die Mut­ter, der Va­ter wa­ren ver­dutzt. Dem Ver­tre­ter auf­ge­klär­ter Ide­en blieb die Spra­che weg. Schwes­ter Jo­han­na war ver­zückt wie bei al­lem, was Carl in den Au­gen­bli­cken sei­ner idea­lis­ti­schen Auf­schwün­ge äu­ßer­te. Die­ser aber schloss, sich in wei­nen­der Hef­tig­keit über­schla­gend, in­dem er vor Ge­org auf­stampf­te, in ei­ner Wie­der­ho­lung, die nicht sei­ne Über­zeu­gung, son­dern sein hei­ligs­tes Wis­sen ver­riet: »Ich sage dir, Je­sus ist Got­tes Sohn!«

      Carl wur­de all­sei­tig be­sänf­tigt und durch die üb­li­che Un­wahr­haf­tig­keit be­ru­higt, es sei nicht so ge­meint.

      Was mich be­traf, so exis­tier­te die Fra­ge da­mals für mich noch nicht. Ich wuss­te von ihr so­wie auch da­von, dass es ein pro­tes­tan­ti­sches und ein ka­tho­li­sches Glau­bens­be­kennt­nis gab, aber ich nahm alle die­se Tat­sa­chen als das und nichts an­de­res hin. Al­les, was mit Kir­che und Re­li­gi­on zu­sam­men­hing, ließ mich gleich­gül­tig, au­ßer in ei­nem aber­gläu­bi­schen Sin­ne. In die­sem quäl­te mich, wie ich schon be­rich­tet, manch­mal Furcht vor ir­di­schen Stra­fen und Höl­len­furcht. Mei­ne heim­lich sum­mier­ten Sün­den, be­son­ders was Un­wahr­haf­tig­keit be­traf, wa­ren zu un­über­seh­ba­ren Men­gen an­ge­wach­sen. Ich hat­te aber die Ge­wiss­heit durch das Wort mei­ner Schwes­ter Jo­han­na, dass sie alle mit ei­nem Male am Tage der Kon­fir­ma­ti­on mit dem Ge­nuss des Abend­mah­les hin­weg­ge­nom­men wür­den.

      Ich nahm also in der Fra­ge selbst zwi­schen Ge­org und Carl nicht Par­tei. Per­sön­lich da­ge­gen fand ich mich von dem er­wach­se­nen und den­ke­ri­schen We­sen Ge­orgs mehr als von Carls Be­trof­fen­heit und Ent­rüs­tung an­ge­zo­gen. Carls ver­zwei­fel­te Weh­lei­dig­keit konn­te ge­gen die ge­sun­de, an­griffs­lus­ti­ge Fri­sche des Bru­ders Ge­org nicht auf­kom­men. Carl rühr­te mich ir­gend­wie, Ge­org be­wun­der­te ich.

      *

      Es scheint mir, dass nach dem Ab­zug Ge­orgs Jo­han­na mit der Auf­sicht über mich in Schul­din­gen be­traut wor­den ist. Das war eine un­dank­ba­re Auf­ga­be, der sie au­ßer­dem nicht ge­wach­sen war. Nicht nur hat sie hier auf lan­ge hin­aus mei­ne Nei­gung ver­scherzt, son­dern sie hat­te auch al­ler­lei üble Ei­gen­schaf­ten mei­ner Na­tur ken­nen­zu­ler­nen, mit de­nen ich mich zur Wehr setz­te. Mei­ne Mut­ter wag­te sich nicht an mich, weil ich das Nest­häk­chen war, mein Va­ter schi­en sich ver­steckt zu ha­ben oder war von ei­ge­nen wach­sen­den Sor­gen um den Be­stand des Hau­ses in An­spruch ge­nom­men.

      Ich schwan­ke nicht, mir für die­se Zeit alle häss­li­chen Ei­gen­schaf­ten der wer­den­den Fle­gel­jah­re zu­zu­schrei­ben. In dem Be­stre­ben, mich aus der au­to­ri­ta­ti­ven Um­klam­me­rung mei­ner zä­hen Schwes­ter frei zu ma­chen, war mir je­des Mit­tel will­kom­men. Manch­mal muss ich ein Un­hold ge­we­sen sein, was nie­mand, der mich von un­ge­fähr er­blick­te, mei­nem sanf­ten und zar­ten We­sen zu­trau­te. Ich warf Bü­cher und Tin­ten­fass an die Wand, sprang vom Stuhl und lief da­von, gleich nach­dem mei­ne Schwes­ter mich durch ein Ge­misch von Dro­hun­gen und Über­re­dun­gen zur Er­le­di­gung mei­ner Schul­ar­bei­ten wil­lig ge­macht hat­te. »Was willst du mich leh­ren«, schrie ich ihr ins Ge­sicht, »du bist düm­mer als ich!« Mehr als ein­mal be­droh­te ich sie, ging ge­gen sie vor und dräng­te die Leh­re­rin aus dem Zim­mer.

      Es war mein Da­sein, das ich gut fand, mit dem ich so lan­ge zu­frie­den ge­we­sen und das ich СКАЧАТЬ