Название: Das Abenteuer meiner Jugend
Автор: Gerhart Hauptmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Klassiker bei Null Papier
isbn: 9783962818746
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Die Ärzte behielten recht. Bald bezogen sich die Krankenberichte nur noch auf einzelne Phasen der Rekonvaleszenz, den Rückgang des Fiebers und sein Ende, die Art und Menge der Nahrungsaufnahme, die man der Kranken zubilligte, die Mittel, die man gegen die zu befürchtenden Blatternarben anwandte, Mittel, welche die Hoffnung rechtfertigten, es werde im Antlitz meiner Mutter keine entstellende Spur der überstandenen Krankheit zurückbleiben.
Mit der Natur über Frühlingsanfang hinweg wuchs meine Mutter wiederum mehr und mehr ins Leben hinein, und eines Tages hieß es, sie könne nun bald aufstehen.
*
An diesem Tage, morgens, wurde mir in Gegenwart meines Vaters bei dem Zwergschneider Leo, dem Löwen, ein eben fertiggestelltes neues Gewand, Jackett, Hose, Weste, angezogen. Ich war vor Entzücken außer mir. Leider musste ich es wieder ausziehen, durfte es aber an der Seite des Vaters nach Hause tragen. Dass mein Vater zu überraschen liebte, weiß man schon. Eine solche Überraschung stand mir bevor, ehe wir am Portal des Kurhauses wieder anlangten. Mein Vater fragte mich, wer denn wohl jene Dame sein möge, die hinter dem Fenster rechts über der Tür sitze. Ich blickte hinauf und sah eine lächelnde, bleiche Frau, die mir zunächst Befremden erregte, bis ich dann plötzlich begriff, dass es meine wiedererstandene Mutter war.
Dies bedeutete einen unaussprechlich glückseligen Augenblick, der ein überschwenglich freudiges Rasen in mir auslöste. Ich hatte die Mutter Wochen und Wochen lang nicht gesehen. Auch ohne sie hatte ich freilich gelebt, aber nun erst begriff ich, dass dies ein vergleichsweise armes, kaltes, mechanisches Leben gewesen war: im Innern die Ungeduld und das Abwarten. Nun aber traf mich der Strahl ihrer kreatürlichen Mutterliebe, alles erneuernd durch und durch.
Noch konnte ich nicht hinauf zu ihr und ihr um den Hals fliegen, noch nicht einmal ihre Stimme zu hören vermochte ich. Aber sie sollte doch wissen, sie musste doch wissen, wie sehr ihr bloßer Anblick hinter den Fensterscheiben mich beschenkt und mich glücklich gemacht hatte. Deshalb riss ich wie toll die Hose, die Weste, die Jacke des Schneiders Leo aus der Umhüllung heraus. Ich zeigte sie ihr, ich schwenkte die Kleidungsstücke hoch in den Händen, ich tanzte mit ihnen einen losgelassenen, grotesken Indianertanz.
*
In den nächsten Wochen sah ich meine Mutter immer nur auf die gleiche Weise Tag für Tag, bis sich beim ersten weichen Frühlingslüftchen das Fenster öffnete und das Wort meiner Mutter wieder an mein Ohr, wie meines an das ihre schlug.
Die Epidemie war abgeklungen. Ihre Opfer waren dahin, die Toten tot. Aber der Frühling war wie immer lebendig. Die Stare trugen zu Nest mit Pfeifen und großer Geschäftigkeit. Ich pflückte für meine Mutter Krokus und Himmelsschlüssel. Noch blieb die Brendel-Schule geschlossen, aber wir durften die Trommeln abholen und zogen damit, geführt vom Tambourmajor, wiederum zum alten Birnbaum hinaus und hinauf. Die Welt und mit ihr der Patriotismus und alle guten Hoffnungen der neuen Zeit waren wiederum gleichsam aufgetaut. Begeistert rührten wir unsere Trommeln.
Eines Morgens zogen wir feierlich unter dem Fenster meiner Mutter auf. Ich hatte den Tambourmajor unschwer dazu bewogen. Wir nahmen Stellung und führten in höchst exakter Weise, die Kalbsfelle mit den Schlägeln bearbeitend, der nahezu gesundeten Kurhauswirtin unsre Künste vor. Es war ein reguläres Trommelständchen, was wir ihr damals gebracht haben. Auch sollte sie sehen, dass sie nicht einen Nichtsnutz zum Sohne hatte, sondern einen, der eine Stellung einzunehmen und zu behaupten verstand.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Die Saison war im Gang, das Hotel zur Krone, wie immer um diese Zeit, glich einem Bienenhaus. Ankommende Gäste, Kutscher und allerlei Leute lärmten im Hof.
»Hauffe, sullst assa kumma!« schrie die kleine, jetzt siebenjährige Ida Krause mit durchdringender Stimme täglich um zwölf Uhr vom Haus hinüber zu den Stallungen. Den derben, kleinen, resoluten Strunk hatte man gern, und mein Vater freute sich jedes Mal, wenn er Idas »Hauffe, sullst assa kumma!« vernahm. Sagte man ihm, dass er ihr das Geschrei verbieten sollte, lehnte mein Vater lachend ab.
Plötzlich, nachdem ich sie tags zuvor noch ihren pflichtgetreuen Ruf hatte ausstoßen hören, wurde bekannt, Ida Krause sei tot. Sie war an Diphtheritis gestorben.
Der Ruf also, der den alten Pferdeknecht Hauffe zu jenem Mittagessen aufforderte, das ich selbst einmal als Gast am Krausetisch unvergesslichen Angedenkens eingenommen hatte, erscholl von nun an in Ewigkeit nicht mehr. Ein scheinbar unsterbliches Etwas, ein tüchtiges, bei all seiner Jugend bereits arbeitswütiges Bauernmädel hatte sich ins Nichts aufgelöst. Ich habe weder die Leiche gesehen, noch habe ich den kleinen Sarg begleitet, als man Ida unter Vorantritt der Schule und des Lehrers Brendel vom Oberdorf nach dem Niederdorf, parallel dem Flusse der Salzbach, zu Grabe trug.
Dieser Tod, unzeitig bis zum Widersinn, gab mir zwar immer wieder zu denken, nahm mir jedoch selber nichts von meiner knabenhaften Lebenssicherheit.
*
Ich weiß nicht, wie ein neuer Brunneninspektor namens Manser zu seinem Posten gekommen und Nachfolger meines Großvaters geworden ist. Er hatte den Krieg als Feldwebel mitgemacht und war mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse für besondere Verdienste belohnt worden. Ein barscher und militärischer Ton machte ihn anfangs unbeliebt. Er unterlag hierin der Zeitmode. Auch mit meinem Vater geriet er deswegen sehr bald in Kollision. »Ich verbitte mir diesen Unteroffizierston!« waren die Worte, mit denen mein Vater eines Tages den Verkehr zwischen sich und dem neuen Manne geregelt hatte. Ob es ihn wohl milder stimmte und ob er überhaupt daran dachte, dass die Karriere seines verstorbenen Vaters, wie die Mansers im Siebziger Krieg, in den Freiheitskriegen ihre Wurzel hatte, aus denen er ebenfalls als Feldwebel und mit Auszeichnung hervorgegangen war?
Ich erinnere mich eines Vorgangs auf der Promenade, der eine Seite des neuen Geistes besonders sichtbar machte. Schon früher waren in Salzbrunn Tiroler aufgetaucht, durch die grüne, kniefreie Tracht und derbes genageltes Schuhwerk kenntlich. СКАЧАТЬ