Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart Hauptmann
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Читать онлайн книгу Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann страница 16

Название: Das Abenteuer meiner Jugend

Автор: Gerhart Hauptmann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Klassiker bei Null Papier

isbn: 9783962818746

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      Le­sen habe ich nicht in der Schu­le ge­lernt, son­dern am Ro­bin­son De­foes und Coo­pers Le­der­strumpf. Gott, dem ich da­für dank­bar bin, hat sich ei­ner Frau Met­zig be­dient, um mir bei­de Bü­cher als Ge­schen­ke ins Haus zu tra­gen. Sie war mit den Straeh­lers als ge­bo­re­ne Schu­bert ver­wandt, weil ihr Bru­der die zweit­jüngs­te Toch­ter des al­ten Brun­nen­in­spek­tors, Ju­lie Straeh­ler, ge­hei­ra­tet hat­te. Er war als Obe­r­amt­mann Schu­bert, in der Fa­mi­lie als On­kel Gu­stav be­kannt.

      Durch Ro­bin­son und Le­der­strumpf ha­ben mei­ne Träu­me und mei­ne Spie­le rich­tung­ge­ben­de Nah­rung er­hal­ten.

      Er­zäh­lun­gen be­deu­ten Träu­me, münd­lich oder schrift­lich in Wor­te ge­fasst. Von da ab, als ich am Ro­bin­son le­sen lern­te, wur­de ein we­sent­li­cher Teil mei­ner Träu­me­rei­en durch Bü­cher ge­nährt. Wie kommt es, dass ich, der ein mir völ­lig ge­mä­ßes Le­ben führ­te, Ro­bin­son und Le­der­strumpf mit Gier ent­zif­fer­te und die Le­bens­form bald des einen, bald des an­de­ren Hel­den lei­den­schaft­lich her­bei­wünsch­te, und wes­halb ver­fal­len die­sen Ge­stal­ten alle ge­sun­den Kna­ben so wie ich?

      Auch hier ist Kampf, aber nicht mit Buch­sta­ben, Bi­bel­sprü­chen und Re­chenexem­peln, son­dern mit der Na­tur und in der Na­tur. Und nach der Ver­voll­komm­nung, nach der Vollen­dung die­ses na­tür­li­chen Zu­stands sehn­te ich mich trotz al­lem, was mich an mei­ne Um­ge­bung fes­sel­te.

      Und je­der ge­sun­de Kna­be sehnt sich da­nach.

      So weit, dass ich wirk­lich ge­flo­hen, eine See­stadt zu er­rei­chen ge­sucht und mich auf ein Schiff ge­schli­chen hät­te, trieb ich es nicht. Aber ich habe es oft er­wo­gen. Da­bei be­stand zwi­schen mir, mei­nen El­tern und mei­nem El­tern­hau­se die al­le­rin­nigs­te Ver­bun­den­heit.

      Und nicht nur das, son­dern ich konn­te mir manch­mal gar nicht den­ken, dass es et­was andres als Salz­brunn mit sei­ner Säu­len­hal­le, sei­ner Heil­quel­le, sei­nen pa­ra­die­si­schen Ku­r­an­la­gen und dem Gast­hof zur Kro­ne mit­ten dar­in in der Welt über­haupt noch ge­ben kön­ne.

      Das Ver­lo­cken­de an Ro­bin­son war sein völ­lig ver­las­se­nes, völ­lig ein­sa­mes Le­ben in der Na­tur, ohne Men­schen oder An­spra­che, wo nie­mand ihn be­leh­ren, zu­recht­wei­sen, sei­nen Wil­len und sei­ne Schrit­te ir­gend­wie gän­geln konn­te. Lag dar­in die höchs­te Er­fül­lung ei­ner We­sens­nei­gung in mir, so sah ich ein an­de­res Vor­bild in der Ge­stalt des Le­der­strumpfs: sei­ne mil­de Men­sch­lich­keit, ver­bun­den mit ru­hi­ger Furcht­lo­sig­keit, sei­ne nie feh­len­de lan­ge Büch­se dazu, sein pas­si­ver Mut wäh­rend der in­dia­ni­schen Fol­te­rung. Zä­hig­keit im Er­dul­den von Stra­pa­zen und über­all, auch im Es­sen und Trin­ken, An­spruchs­lo­sig­keit: ich lieb­te ihn bis zur Be­geis­te­rung.

      Trotz­dem ver­setz­te ich mich bei un­se­ren Kna­ben­spie­len, und auch wenn ich al­lein war, sel­te­ner in sei­ne Per­son hin­ein als in die sei­nes Freun­des, des ed­len Häupt­lings der De­la­wa­ren, Ching­ach­gook. Im­mer wie­der durch Jah­re iden­ti­fi­zier­te ich mich mit die­ser Ge­stalt. Auf Fe­der­schmuck und auf äu­ßer­li­che Fixfa­xe­rei­en habe ich da­bei kei­nen Wert ge­legt, aber ich schwang einen höl­zer­nen To­ma­hawk.

      Mein äl­tes­ter Bru­der Ge­org nann­te mich, wenn er von Bres­lau in die Fe­ri­en kam, nie an­ders als Ching­ach­gook, wo­bei al­ler­dings auch dop­pel­te Iro­ni­en und Hu­mo­re, näm­lich bei ihm und bei mir, zu­ta­ge ka­men.

      Gleich­set­zun­gen wie die mei­nen mit Ching­ach­gook wür­de ein mo­der­ner For­scher dä­mo­nisch nen­nen: das Dä­mo­ni­sche stel­le im Ge­gen­satz zu den durch geis­ti­ge Er­fas­sung ge­won­ne­nen Tat­sa­chen das auf­bau­en­de Le­ben dar. Nach ei­ge­ner Er­fah­rung glau­be ich, dass es so ist. Und so darf man es nicht mit dem Ver­stan­de stö­rend schä­di­gen, da es, wie wei­ter ge­sagt wird, nur in sei­nen Aus­wir­kun­gen zu­gäng­lich sei. Es war bei mir mit stür­mi­schen Aus­brü­chen der Af­fek­te ver­bun­den. Und ein sol­cher Af­fekt, heißt es wei­ter, sei eine na­tur­not­wen­di­ge Er­schüt­te­rung, um das Dä­mo­nisch-Ge­nia­le zu we­cken. Be­kämp­fe man im Kna­ben das Dä­mo­ni­sche, schließt der ein­sichts­vol­le Mann, so be­kämpft man zu­gleich das Ge­nia­le im Kin­de, das auch ge­tö­tet wer­den kann.

      Nun also, der gött­li­che Wahn­sinn des Dä­mo­ni­schen hat mich da­mals be­rauscht, ich leb­te im Zu­stand ei­ner ge­sun­den Be­ses­sen­heit. Mei­ne See­le hät­te sich über­haupt nie ent­brannt und ins Le­ben ge­ru­fen, wenn nicht eben die­ses Dä­mo­ni­sche die Na­tur und mich un­un­ter­bro­chen ver­wan­delt hät­te. Ohne be­wuss­te Me­ta­mor­pho­se mei­ner selbst und mei­ner Um­ge­bung gab es um jene Zeit für mich kein hö­he­res, also kein ei­gent­li­ches Sein. Ein Jun­ge, der mei­nen Na­men trug, be­deu­te­te nichts. Aber da stand ich als In­kar­na­ti­on mei­ner ei­ge­nen Idee, als Ching­ach­gook: al­les an­de­re an mir hat­te ich wie eine über­flüs­si­ge Scha­le weg­ge­wor­fen. Ein so be­seel­ter und be­tä­tig­ter Traum, sagt der Phi­lo­soph, habe das große Gan­ze nur zum Hin­ter­grund.

      *

      Selbst­ver­ständ­lich, dass es aus sol­chen Träu­me­rei­en hie und da ein Er­wa­chen gab. Schon die Dorf­schu­le sorg­te da­für. »Ihr Bö­se­wich­ter!« war Leh­rer Bren­dels täg­li­che An­re­de, wo­bei ihm die Au­gen über­gin­gen vor Wut. »Ihr Bö­se­wich­ter! Ihr Tau­ge­nicht­se!« klingt es mir noch heut im Ohr.

      Und wirk­lich, die­se Be­zeich­nung als Tau­ge­nichts war bei mir in Be­zug auf die Schu­le ge­recht­fer­tigt. Ich konn­te nicht le­ben ohne Licht, Luft und freie Na­tur und ohne das ein­sa­me, ro­bin­so­na­le Le­ben und Selbst­be­stim­mungs­recht in al­le­dem. Schul­ar­bei­ten hass­te ich.

      Hie und da kam, wie ge­sagt, ein Tag des Er­wa­chens, der Be­sinn­lich­keit. Ei­nes sol­chen er­in­ne­re ich mich.

      Ein­mal war Al­fred Lin­ke, der Apo­the­kers­sohn, nach sei­ner wohl­er­zo­ge­nen Art mit mir spa­zie­ren­ge­gan­gen. Am Gar­ten­tor sei­nes El­tern­hau­ses schlug er mir vor, auf ihn zu war­ten, er habe Kla­vier­stun­de. Mit Ver­gnü­gen sag­te ich zu.

      Hin­ge­streckt lag ich am Gar­ten­zaun, nichts­tue­risch, mei­nen Gras­halm kau­end, als das Kla­vier­spiel Al­freds, der ein vir­tuo­ses Ta­lent be­saß, und die kor­ri­gie­ren­de Stim­me des Leh­rers her­aus­schall­ten. Da fiel mir die ei­ge­ne Zeit­ver­geu­dung aufs Herz. Was tat ich, wäh­rend er sich so eif­rig fort­bil­de­te?

      Ich rech­ne es un­ter die Träu­me­rei­en, wenn ich mir wie­der und wie­der im Büro mei­nes Va­ters ei­ni­ge Bo­gen wei­ßen Pa­piers er­bat, um sie mit Blei­stift­stri­chen nach und nach zu be­de­cken und zu ver­der­ben. Ich hat­te am Schluss der Be­mü­hung je­des Mal ein Ge­fühl des Miss­muts, ja der Ent­täu­schung zu über­win­den, dem ähn­lich, das ich als klei­nes Kind vor dem Ber­ge wel­ken Wie­sen­schaum­krauts ge­habt, das ich in Men­ge aus­ge­rupft hat­te.

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