Abenddämmerung im Westen. Wieland Becker
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Название: Abenddämmerung im Westen

Автор: Wieland Becker

Издательство: Автор

Жанр: Философия

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isbn: 9783957448095

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СКАЧАТЬ wechselten. Das Kriegshandwerk zu beherrschen war neben der politischen Führung die einzige Aufgabe der Männer, bis sie zu alt dafür wurden. Totaler kann man Menschen kaum zu Kriegern machen, für die Kampf und Töten selbstverständlich und der einzig zählende Sinn ihres Seins sind.

      Angesichts der Formierung und Ausbildung von Kindersoldaten, die seit Jahrzehnten in den Kriegen afrikanischer Diktaturen eingesetzt werden, muss man feststellen, dass die Aktualität von der Geschichte in schrecklichster Weise eingeholt wurde: 10 bis 12Jährige, aufs Töten gedrillt, die mit ihren Maschinenpistolen auf Befehl auf jeden schießen, selbst auf die eigenen Eltern oder Verwandten.

      Tötungsbereite und gewalttätige Soldaten fanden sich zu allen Zeiten überall mehr als genug, ebenso Folterknechte und skrupellose Mörder im Dienste von Diktatoren, die jede Bewegung, die es wagte, das Ende der Tyrannei zu fordern, vernichteten.

      Als 1096 u. Z. die Ritter Europas – von Papst Urban II. aufgerufen – zum ersten Kreuzzug aufbrachen, sollten sie angeblich den freien Zugang der Christen zu den „Heiligen Stätten“ in Jerusalem wiederherstellen. Ob dieser tatsächlich gefährdet war, ist bis heute umstritten. Als die Heerscharen der Ritter 1099 Jerusalem erstürmt hatten, schützten sie nicht etwa diese Stätten, sondern richteten ein furchtbares Blutbad unter den Einwohnern der Stadt an, bevor sie ihre Wallfahrt zur Kirche des heiligen Grabes antraten. Was hätten Jesus oder Johannes der Täufer bei Anblick dieses Gemetzels empfunden, das ihr Verständnis des christlichen Glaubens geradezu pervertierte? Die enge Verbindung von Kreuz und Schwert war mit den „Kreuzzügen“ noch lange nicht vorbei. Neuen „Auftrieb“ erhielt sie, nach dem Columbus Amerika entdeckt hatte. Mit Cortez und Pizarro begann 1519 die Eroberung und mit ihr radikal und mörderisch die Christianisierung Lateinamerikas und setzte sich bis ins 19. Jahrhundert fort.

      *

      Ob sich diese Wandlung vom Zivilisten zum mordenden Soldaten vollzieht, ist nachweislich keine Frage von höherer geistiger Bildung oder kultureller Entwicklung*. Ob Oradour sur Glane oder Lidiče, der Befehl genügte, die Ausführung offenbarte ein Höchstmaß an unmenschlicher Kaltherzigkeit. Gab es für diese Massaker noch einen Befehl, so war ein solcher Jahrzehnte später nicht einmal mehr notwendig, als eine Gruppe amerikanischer GI’s unter Führung des Lieutenant Colonels Frank A. Barker das südvietnamesische Dorf My Lai besetzte, weil es im Verdacht stand, Stützpunkt des Vietcong zu sein. Obwohl keine Vietcong-Kämpfer im Dorf zu finden waren, brachten diese Soldaten fast alle der über 400 Einwohner des Dorfes, vor allem Frauen und Kinder, um; erst nachdem ein US-Hubschrauberpilot ihnen gedroht hatte, sie von seinen MG-Schützen erschießen zu lassen, wenn sie ihr Massaker nicht beenden würden, sahen sie davon ab, auch noch die letzten 11 Überlebenden umzubringen. Für diese Soldaten genügte der Umstand, dass es Vietnamesen waren, um sie als Feinde einzuordnen, um sie nach Aufforderung ihres Offiziers umzubringen. Und genau das ist bis heute jederzeit und allerorts möglich und geschieht beinah täglich. Der verantwortliche Offizier für den Einsatz, William Calley, wurde, nachdem ein amerikanischer Journalist das Verbrechen recherchiert und eine Zeitung gefunden hatte, die seinen Bericht veröffentlichte, zwar zu lebenslanger Haft verurteilt, die aber dann in „Hausarrest“ umgewandelt wurde, bis er wenig später von Nixon begnadigt wurde. Ein Wort der Reue ist nicht überliefert. Damals war das weltweite Entsetzen groß, aber, wie sich bald zeigte, ohne jede Langzeitwirkung.

      Mit den „Pentagon Protokollen“, die „wikileads“ öffentlich machte, genauer aus dem, was davon im „SPIEGEL“ (Ausgabe 30/ 2010 und Ausgabe 43/ 2010) publik gemacht wurde, musste man aber endgültig erkennen, dass in den Armeen der führenden westlichen Demokratien Soldaten dienen, die bereit sind, mit aller Härte Krieg zu führen, Gefangene zu misshandeln und von Geheimdiensten Verdächtigte über Wochen und Monate zu foltern. Ob Demokratie oder Diktatur, ob Geheimdienste oder geheime Organisationen – Kriege gelten als Rechtfertigung für all diese menschenverachtenden Mittel und für jeden Befehl, sie einzusetzen.

      Auf der einen Seite also religiös begründeter Fanatismus und systematisch trainierte Brutalität gegen jeden, der als Feind oder Verräter gilt – und junge Männer werden dadurch derartig instrumentalisiert, dass sie sich selbst in die Luft sprengen, nur um andere – ihnen völlig unbekannte – Menschen, zumeist Zivilisten, also auch Frauen und Kinder, zu vernichten.

      Auf der anderen Seite junge Amerikaner, die mit einer gnadenlos harten Ausbildung systematisch deformiert werden, bis sie bereit sind, jeden Befehl auszuführen und die ihren Stolz daraus beziehen, dass sie jeden Befehl, auch den Mord an Zivilisten, gewissenhaft durchführen. Bekanntlich beruhte die Kampfkraft der sowjetischen Armee auf einer ebenso gnadenlos harten Ausbildung.

      Versucht man sich zu erklären, welche Antriebe gegeben sein müssen, damit bedenkenlos – auch fern vom Kriegsschauplatz – gemordet wird, dann ergibt sich ein bestimmter Rahmen, der in Variationen genau dahin führt. Außer Waffen, als „Werkzeuge“ des Tötens, sind ein autoritärer Führer oder Befehlshaber, ein als Begründung dienendes Feindbild, die Aussicht auf „Belohnung“ und ein pervertierter Glaube an die eigene Überlegenheit die wohl entscheidenden Voraussetzungen für solches Handeln. Der Wechsel vom normalen Zivilisten zum tötenden Soldaten oder zum mordenden Angehörigen einer paramilitärischen Formation vollzieht sich offenkundig um vieles schneller, als man bereit ist zu glauben. Die Bürgerkriege im einstigen Jugoslawien haben mitten in Europa bewiesen, wie unvorstellbar schnell es gehen kann, dass aus Zivilisten Soldaten werden, die morden, plündern, vergewaltigen und sich an Massenhinrichtungen geradezu begeistert beteiligen. Monate zuvor waren sie oft Nachbarn ihrer Opfer…

      Es wäre ein gefährlicher Selbstbetrug, wenn man glauben würde, dass selbst demokratisch verfasste Staaten nicht davon betroffen werden könnten.

      Dass inzwischen die posttraumatischen Störungen nach Kriegseinsätzen seit dem Vietnamkrieg massiv zugenommen haben, liegt wahrscheinlich weitaus weniger daran, was der Soldat selbst im Krieg getan hat, sondern vor allem daran, dass der Krieg gegen einen unsichtbaren Feind, der aus dem Nichts zuschlägt und nie wirklich rechtzeitig zu erkennen ist, zu einer immer unerträglicheren psychischen Belastung führt.

       V. Wann kommt er, der ewige Frieden?

      Da der Krieg auch heute allgegenwärtig und überall auf der Welt möglich ist, stellt sich somit die schwierigste aller Fragen: Welche Gründe dafür bestehen vor allem außerhalb des militärischen Bereichs und kann die Allgegenwärtigkeit von Kriegen überhaupt abgebaut werden?

      Sucht man nach den tieferen Ursachen für die andauernde Präsenz von Kriegen insbesondere nach dem Ende des Kommunismus, dann rückt der radikale Paradigmenwechsel in der Reagan-Ära unvermeidlich ins Blickfeld. Unter Berufung auf den Neoliberalismus, dessen geistiger Urheber der Österreicher Hayek war, gab die Politik ihre legitime Aufgabe dort, wo es erforderlich gewesen wäre, die Wirtschafts- und Finanzpolitik regulierend zu steuern, ohne Notwendigkeit auf und setzte auf die so genannten Selbstregulierungskräfte der freien Märkte. Infolgedessen wurde in den modernen Industrienationen die demokratisch legitimierte Politik zum ersten „Diener“ der Märkte, die alle Möglichkeiten zur Profitsteigerung hemmungslos nutzen konnten, weil Unternehmertum und Finanzkapital außerhalb der demokratischen Verhältnisse agierten, was eben diese vielbeschworene Demokratie in ihren Grundlagen erheblich beschädigen musste. Diese so genannten „Märkte“, von den einen als das „Nonplusultra“ gepriesen, von den anderen aber als eine das politische Handeln dominierende „Macht“ kritisiert, können als ein absurd-abstraktes, rechtsfreies Phänomen bezeichnet werden, in dem unvorstellbar große, mehr oder weniger virtuelle Geldmengen von letztlich anonymen Akteuren bewegt werden, einzig und allein zum Zwecke der grenzenlosen persönlichen Bereicherung. Dass die vorgeblich produktiven „Selbstregulierungskräfte“ radikal in ihr Gegenteil umschlagen können, bewies 2008 die globale Finanzkrise.

      Eine weltpolitisch folgenschwere Konsequenz СКАЧАТЬ