Название: Rotlicht
Автор: Uwe Schimunek
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783955520403
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«Ich bin gespannt, wie die Hetzer von der sogenannten Bürgerpresse ihren Lesern die unglaubliche Verschwendung von Steuergeldern in diesem Prozess erklären wollen.» Der Redner hielt einen Moment inne und ließ sich von den Demonstranten feiern. «Möglicherweise haben die Herren mit den Giftfedern ja ein Einsehen. Denn tatsächlich haben wir ihnen ein Schauspiel vorgeführt. Das vielleicht beste Schauspiel, das West-Berlin und Westdeutschland jemals gesehen haben. Eine Komödie mit uns in den Hauptrollen und mit den Bütteln des imperialistischen Regimes als Clowns!»
Die Menge johlte. In den Jubel mischte sich Geschrei. Peter drehte sich um und sah, wie eine Gruppe von Studenten wild gestikulierte. Einer rief: «Da vorn!», und ein gutes Dutzend Studenten rannte los. Peter erkannte Rüdiger. Der Freund spurtete der Gruppe hinterher. Also setzte auch Peter zum Sprint an.
«Blitz-Journalisten! Mörder und Faschisten!», grölte die Gruppe.
Nun sah Peter, dass die Studenten zwei Männer verfolgten. Unter ihren Mänteln lugten Anzughosen hervor. Der eine hielt noch auf der Flucht einen Fotoapparat in die Höhe, das Objektiv auf die Menge hinter ihm gerichtet. Die beiden hasteten auf ein Polizeiauto zu, das am Straßenrand parkte. Die Studenten reckten geballte Fäuste in die Höhe.
Aus dem Polizeiauto sprangen zwei Uniformierte. Der eine zog die Pistole aus seinem Halfter und richtete sie gen Himmel. Es sah unbeholfen aus, als wollte er eine Wolke bedrohen.
Die Studenten blieben stehen, brüllten jedoch weiter: «Blitz-Journalisten! Mörder und Faschisten!»
Der Mann mit der Kamera rannte um das Polizeiauto herum und stützte dann die Hand mit der Kamera auf die Motorhaube. Er drückte unentwegt auf den Auslöser.
«Der Junge wird schon kommen, beruhige dich», sagte Gertrud Kappe.
Otto Kappe sah seiner Frau dabei zu, wie sie den Topf mit den dampfenden Kartoffeln mit einem Küchenhandtuch abdeckte. Was für eine Ungerechtigkeit! Wenn der Bengel nicht pünktlich war, sollte er auch kein warmes Essen mehr bekommen. Das war jedenfalls Ottos Meinung. Sein Sohn Peter war schließlich kein kleines Kind mehr, das zu lange auf dem Spielplatz blieb, weil es die Uhr noch nicht lesen konnte. Peter würde bald seinen Diplomabschluss machen, hatte eine Assistentenstelle an der Freien Universität und wohnte in einem eigenen Zimmer zur Untermiete. Trotzdem hatte er jede Menge Flausen im Kopf. Bestimmt war das auch der Grund dafür, dass er wieder einmal zu spät kam, obwohl er mit seinen Eltern zum Abendessen verabredet war. Otto behielt seine Gedanken für sich und sagte nur: «Ach Gertrud, ich muss morgen zeitig raus und arbeiten.»
«Am Sonnabend?», fragte seine Frau.
«Wir haben einen neuen Mordfall und einen Angehörigen des Opfers ausfindig gemacht, den Bruder. Der war allerdings nicht zu Hause und auch nicht telefonisch zu erreichen.» Otto seufzte. «Wenn wir nicht morgen früh zu ihm fahren, erfährt der arme Kerl noch aus der Zeitung von dem Tod seiner Schwester.»
Gertrud entgegnete nichts, sondern deckte stattdessen auch die Kasserolle mit dem Braten ab.
«Es ist wieder so eine schreckliche Tat!», sagte Otto. Er redete nicht allzu oft mit seiner Frau über die Arbeit, doch manche Fälle nahmen ihn so sehr mit, dass er seine Gedanken mitteilen musste. Also fuhr er fort: «Wir haben heute eine Prostituierte erstickt in ihrem Bett gefunden. Seit Tagen lag sie tot dort, sagt unser Gerichtsmediziner. Sie war höchstens Mitte zwanzig, kaum älter als Peter. Ich frage mich bei so jungen Opfern immer, wie sie auf die schiefe Bahn geraten sind.»
«Das wirst du auch in diesem Fall herausfinden.»
«Bestimmt.» Otto strich sich über den Bauch. Wie immer nach dem warmen Essen am Freitagabend fühlte er sich müde. Er gähnte und sprach dann weiter: «Die junge Frau sah gar nicht aus wie eine … Nutte.» Er verwendete das ordinäre Wort absichtlich, damit Gertrud aufhorchte.
Tatsächlich setzte die sich neben ihn an den Tisch und fragte: «Wie sieht denn eine …», sie lächelte spitz, bevor sie weitersprach, «… Nutte normalerweise aus?»
«Ich weiß es auch nicht so genau. Schließlich bin ich ja nicht bei der Sitte. Das Opfer habe ich erst als Leiche gesehen. Aber ihre Wohnung …» Otto hielt einen Augenblick inne und dachte nach. «Sie war zwar verwüstet. Aber die Möbel … Alles sah so normal aus. Gutbürgerlich. Die Frau hatte sogar einen Papagei.»
«Einen Papagei?» Gertrud klang ratlos. «Was wird nun aus dem armen Tier?»
«Der Papagei kommt erst einmal bei der Nachbarin unter. Alles Weitere muss der Bruder entscheiden.»
«Hat die junge Frau denn keine Eltern?»
«Die sind offenbar tot. Mehr wissen wir noch nicht.»
Gertrud hob zu einer Antwort an, doch die Türklingel kam ihr zuvor. «Da ist er!», rief sie, während sie schon zur Wohnungstür eilte.
Otto sah ihr nach. Für das Familienessen hatte sie das feine Kleid angezogen. Niemals ließ sie sich selbst eine Nachlässigkeit durchgehen. Doch dem Jungen verzieh sie alles, seitdem er ausgezogen war. Bestimmt würde sie nicht einmal erwähnen, wie sehr er sich verspätet hatte. Otto hörte Gertrud im Flur mit Peter reden, doch die Worte verstand er nicht. Es klang jedenfalls nicht so, als würde sich Peter für seine Verspätung entschuldigen.
Gertrud betrat mit ihrem Sohn die Küche und strahlte vor guter Laune. Im Plauderton sagte sie: «Setz dich doch, Peter. Das Essen müsste noch warm sein. Ich tue dir etwas auf und gebe deinem Vater auch noch einen kleinen Nachschlag. Du kannst dich ja so lange mit ihm unterhalten. Er muss nämlich seit heute Nachmittag den Mord an einer Prostituierten untersuchen. Das ist doch beinahe dein Forschungsgebiet.»
«Mit den Auswirkungen der Prostitution auf die Beteiligten befasst sich natürlich in erster Linie mein Professor», erwiderte Peter und setzte sich.
«Mit Morden wird sich der Herr Professor sicher weniger beschäftigen», sagte Otto und winkte ab. Er verspürte nur wenig Lust, sich von seinem Sohn nach dessen üppiger Verspätung auch noch Vorträge anzuhören.
«Da hast du recht, Vater. Außerdem konzentriert er sich aus meiner Sicht viel zu sehr auf die Einzelfälle und verliert dabei die gesellschaftliche Perspektive aus dem Blick. Schließlich ist die Prostitution nicht zuletzt ein Symbol für die patriarchalischen Herrschaftsverhältnisse im Kapitalismus im Allgemeinen und die Unterdrückung der Frauen im Besonderen.»
«Was?» Otto fuhr in die Höhe. «Du klingst ja wie einer von drüben.» Er zeigte in die Richtung der Anrichte. Dort war doch Osten, oder?
«Ach, das ist nur das Studium!», sagte Gertrud leichthin. «Da reden die jungen Leute heute so.»
«Die Kommunisten von diesem Sozialistischen Deutschen Studentenbund», murmelte Otto zerknirscht.
«Die haben vielleicht auch mit vielem recht», sagte Peter ruhig.
«Die müssen vor allem immer das letzte Wort haben.» Otto schlug mit der Hand auf den Tisch.
«Ihr hört damit auf! Sofort!» Gertrud hatte nicht laut gesprochen, trotzdem herrschte sofort Ruhe am Tisch.
Otto СКАЧАТЬ