Rotlicht. Uwe Schimunek
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Название: Rotlicht

Автор: Uwe Schimunek

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

Серия:

isbn: 9783955520403

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СКАЧАТЬ ist verzerrt. Die Augen sind weit aufgerissen und starren nach oben. Jetzt sieht sie, wie es mir geht. Ich lasse mich auf das Bett fallen und nehme ihre Hand. Sie ist warm und verschwitzt. Sanft streiche ich über ihren Handrücken und sage: «Wir hätten auch vernünftig miteinander reden können. Ich wollte dir nicht wehtun.»

      Sie bleibt ohne Regung, verzieht nicht einmal eine Miene. Das erscheint mir besser als ihr Hochmut vorhin.

      «Ich hoffe, du hörst mir endlich zu», sage ich. Dabei ziehe ich an ihrer Hand und versuche, ihr aufzuhelfen. Doch sie regt sich nicht. Will sie mich mit Ignoranz strafen? «Nun komm», sage ich, «du brauchst nicht zu schmollen. Ich habe mich beruhigt.»

      Das stimmt sogar. Auch wenn ich diesem Papagei am liebsten den Hals umdrehen würde. Denn der war nur einen Augenblick ruhig und krächzt nun schon wieder: «O das ist gut! Das ist gut.»

      «Pst!», zische ich und wende mich wieder ihr zu. «Lass mich dir bitte noch einmal alles erklären!»

      Doch sosehr ich auch an ihrem Arm ziehe, sie rührt sich nicht. Ihr Oberkörper scheint völlig verkrampft zu sein. Und ihre Augen – wenn ich mich bewege, folgen sie mir nicht. Ihr Blick bleibt völlig starr nach oben gerichtet. Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Sie wird doch nicht … Was habe ich getan?

      Ich lasse ihre Hand los, ergreife ihre Schultern, rüttle heftig an ihnen und rufe: «Nein!»

      «O das ist gut!», krächzt der Papagei. «Das ist gut.»

      Ich ohrfeige sie. Noch einmal und noch einmal. «Nein!»

      «Geh jetzt!», krächzt der Papagei. «Geh jetzt!»

      «Pst!» Ich muss nachdenken. Noch mehr Ohrfeigen werden nicht helfen. Es ist vorbei.

      Sie starrt nach oben. So als wäre ich gar nicht hier. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte heute nicht ihre Wohnung betreten, um mit ihr zu sprechen. Doch ich kann die Zeit nicht zurückdrehen. Nichts ungeschehen machen. Was habe ich getan? Ich wollte doch nur, dass sie mir zuhört. Nun liegt sie da mit der Verzweiflung im Blick. Ansonsten sieht sie so zart wie ein zerbrechliches Stück Porzellan aus. Dabei ist sie die Sünderin. Nicht ich bin schuld. Ich wollte nur mit ihr sprechen.

      Was nun? Soll ich die Polizei rufen? Wird mir jemand glauben, dass ich nichts Böses vorhatte? Nein. Hier stehe ich, und sie liegt da. Tot. Niemand wird mich verstehen. Niemand wird mir zuhören. Wenn die Polizei kommt, wird sie an einen Mord glauben. Vielleicht ist das die Lösung. Ich gebe den Herren, was sie wollen. Einen Mord. Da kommen viele als Täter infrage.

      Also los. Zuerst das Bett. Ich reiße Decke und Kissen aus dem Bezug. Es soll so aussehen, als seien hier die Fetzen geflogen. Können die Polizisten irgendwo meine Fingerabdrücke finden? Ach was, bestimmt sind in der ganzen Wohnung Fingerabdrücke von Dutzenden Männern verteilt. Also was soll’s!

      Als Nächstes ziehe ich sie aus. Das Hemdchen, den viel zu kurzen Rock, das bisschen Stoff, das ihre Scham kaum bedeckt. Nun trägt sie ihre Berufsbekleidung: nichts. Ich werfe die Kleidung in den brennenden Ofen.

      «Das ist gut!», ruft der Papagei wieder.

      Ich öffne die Tür des Käfigs. Wenn ich weg bin, kommt das Vieh hoffentlich heraus und macht noch ein bisschen zusätzliche Unordnung. Apropos Unordnung. Ich reiße die Kommode und den Tisch um. Plunder ergießt sich über den Boden. Mit ein paar Tritten verteile ich das Zeug im Zimmer. Ein paar Bücher rutschen unter das Bett. Ich bücke mich, gucke ihnen hinterher und entdecke einen Koffer. Den kann ich auch noch ausschütten. Ich ziehe den Koffer unter dem Bett hervor und öffne ihn.

      O mein Gott, der Koffer ist voller Banknoten! Zehner, Zwanziger, Fünfziger, auch Hunderter. Wie viel Geld kann das sein? Zehntausend Mark? Oder hunderttausend? Keine Ahnung. Das zähle ich zu Hause nach.

      Ich blicke mich um. Vor dem Bett liegt ein Taschenkalender. Ich öffne ihn und blättere zum heutigen Datum. Den Eintrag soll niemand finden. Ich reiße ein paar Seiten heraus.

      «Geh jetzt!», krächzt der Papagei.

      Er hat recht.

       EINS

       Freitag, 22. März 1968

      DIE BEIDEN KERLE grinsten wie Clowns. Josef Bolp beobachtete die zwei Kommunarden auf der Anklagebank und merkte, wie Wut in ihm aufstieg. Guntram Lauterbach lümmelte auf einem Sitz und zwirbelte mit zwei Fingern seine Locken. Hans Trenker saß daneben, hielt den Daumen seiner rechten Hand an die Nase und spielte Pinocchio. Bolp war vor Zorn kaum in der Lage, ein vernünftiges Wort auf seinem Block zu notieren. Dabei musste er die wesentlichen Aussagen des Richters für seinen Artikel vermerken.

      «Zwar waren die Flugblätter mit Sicherheit geeignet, von einer unbestimmten Vielzahl unbefangener Leser als Aufforderung zur Brandstiftung in Kaufhäusern während der üblichen Öffnungszeiten aufgefasst zu werden …», erklärte der Richter.

      Bolp machte sich Stichpunkte und rekapitulierte die Taten der beiden Angeklagten in Gedanken. Natürlich hatte das verbrecherische Studentenpack zu Brandanschlägen aufgerufen, da gab es für ihn keinen Zweifel. In Brüssel war im vergangenen Jahr tatsächlich ein Kaufhaus in Flammen aufgegangen. Danach hatte diese Berliner Bande eine Serie von Flugblättern gedruckt und getönt, dass die belgischen Freunde sehr wohl wüssten, wie die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam zu beteiligen sei. Heute müsse niemand mehr den Gräueltaten an dem armen vietnamesischen Volk tatenlos zusehen, man könne sich einfach eine Zigarette in einer Umkleidekabine im KaDe We, bei Hertie, Woolworth, Bilka oder Neckermann anzünden.

      Bolp fragte sich, was an diesen Aussagen missverstanden werden konnte. Seiner Meinung nach war das eine genaue Handlungsanweisung für Brandstifter. Die Verbrecher auf der Anklagebank hatten die aufrührerischen Flugblätter verfasst und unters Volk gebracht. Wer wusste schon, wie viele Chaoten inzwischen in Berlin herumliefen und nur auf eine passende Gelegenheit warteten, einen Brand zu legen! Doch die Aufwiegler feixten auf der Anklagebank, als hätten sie Lachgas inhaliert.

      Bolp richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Richter, der gerade seine Ausführungen schloss: «… dass sie jedoch auch wollten oder nur billigend in Kauf nahmen, dass der Leser der hierzu geeigneten Flugblätter einen Entschluss zur Begehung von Brandstiftungen fasste, war den Angeklagten nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen.»

      Der arme Mann gab sich alle Mühe, bei seinem Vortrag Würde auszustrahlen. Seine Worte wurden jedoch immer wieder von Kommentaren aus dem Zuschauerraum unterbrochen. «Bravo!», «Recht so!», riefen die Studenten, und obendrein johlten sie, als wären sie in einem Kabarett und nicht in einem Gerichtssaal. Wenn der Richter sie zur Ruhe mahnte, hielten sie für einen Moment inne, nur um ihn Augenblicke später wieder auszulachen.

      Schon von Prozessbeginn an hatte das Studentenpack das Gericht verhöhnt. Bolp erinnerte sich daran, dass Trenker die Anklageschrift abgetippt und dem Richter als Satire für zwei Mark zum Kauf angeboten hatte. Er dachte auch an die albernen Verkleidungen, die die Angeklagten damals getragen hatten, die Fräcke, die bunten Popelinehosen – dagegen sahen Lauterbach und Trenker heute beinahe wie normale Menschen aus, von den ungekämmten Haaren einmal abgesehen. Ein Psychiater hatte Lauterbach sogar bescheinigt, er kompensiere seinen schwachen Bartwuchs durch übertrieben langes Haupthaar. Vielleicht hatte der Doktor da ein wenig übertrieben, doch an der ebenfalls diagnostizierten Abnormität der Persönlichkeit gab es für Bolp keinen Zweifel. Immerhin durften die beiden Gammler für ihr unflätiges Verhalten mehrere Ordnungshaftstrafen СКАЧАТЬ