Название: Rotlicht
Автор: Uwe Schimunek
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783955520403
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Die Alte betrachtete das Bild. Dann schloss sie die Augen und ruhte mit verschränkten Armen wie ein Buddha. Als Kappe schon befürchtete, sie sei im Stehen eingeschlafen, öffnete sie ihre Augen wieder und antwortete: «Ja, der war öfter hier.»
«Wie oft?», fragte Kappe.
«Wat weeß ick? Vielleicht eenma die Woche, vielleicht alle vierzehn Tage.»
«Haben Sie ihn gemeinsam mit Frau Mönningsee gesehen?»
«Na, nich so direkt.»
«Sie sind aber sicher, dass er zu Frau Mönningsee gegangen ist?», mischte sich Galgenberg ein.
«Wat is schon sicha?» Die Alte zeigte mit der Hand zum Fenster. «Aba wer soll hier schon Besuch von jungen Männan kriegen? Ick ja wohl bestimmt nich. Und bei den anderen Nachbarn kann ick mir det ooch nich vorstellen.»
«Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?», fragte Kappe.
«Weeß ick nich. Vielleicht voriges Wochenende.»
«Gab es weitere Männer, die öfters gekommen sind?», erkundigte sich Kappe.
«Gloobn Se, ick sitze den janzen Tag und gucke, wat hier im Haus los is?»
«Wir glauben so wenig wie möglich und wollen so viel wie möglich wissen», sagte Galgenberg.
«Jut, da war der feine ältere Herr mit da Brille, von dem ick Ihn schon jestern erzählt habe. Der war immer mal hier. Und so ein junga Kerl. Eener mit BVG-Uniform.»
«Können Sie den Mann beschreiben?», fragte Kappe.
«Dünn war er. Und jroß.»
«War einer der Herren am letzten Dienstagabend hier?»
«Als ick am Fenster oda im Flur war, kam jedenfalls keener von denen.»
«Ist Ihnen an dem besagten Abend irgendetwas aufgefallen?»
«Dienstag, da müsst ick mal nachdenken.» Erneut schloss die Alte die Augen, und die Zeit verging. Endlich sagte sie: «Wat Besonderet. Nee. Ick gloobe, nich. Aber ick bin wie imma kurz nach neune ins Bett jejangen. Ick bin ja keene zwanzig mehr.»
«Ach was!», höhnte Galgenberg.
Kappe schoss böse Blicke zum Kollegen. Zu Frau Kleema sagte er: «Wenn Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte bei uns. Unsere Telefonnummer haben Sie ja.»
«Hab ick.»
«Dann zunächst vielen Dank, Frau Kleema», sagte Kappe und gab Galgenberg ein Zeichen zu gehen.
Die Alte nickte und trottete vornweg zur Wohnungstür. Auf der Schwelle fragte sie: «Wat iss ’n nun mit dem Papagei?»
«Oh, der Papagei …», murmelte Kappe. «Wo ist das Tier denn?»
«In meim Schlafzimma. Zur Einjewöhnung. Ick hoffe, bald kann ick ihn ins Wohnzimma holn. Wenna alleene wieda in sein Käfig fliegt.»
«Na, dort geht es ihm doch vorläufig gut. Wir werden Frau Mönningsees Bruder Bescheid geben. Er muss entscheiden, was aus dem Tier wird.»
«Jut», sagte die Alte und sah dabei nicht zufrieden aus.
Sie verabschiedeten sich.
Auf der Treppe fragte Galgenberg: «Det war’s aba jetzt, oda?»
«Für heute», entgegnete Kappe.
«Morjen is Sonntag. Det is der Tag des Herrn.»
«Bis eben hattest du es noch nicht so mit dem Glauben.»
«Und wie ick gloobe – an ’nen freien Tag inner Woche!», maulte Galgenberg.
Kappe schritt die Treppe hinunter und dachte nach. Sie hatten zu wenig Anhaltspunkte für weitere Befragungen. Nach Herren mit Brille und schlanken BVG-Fahrern würden sie kaum außerhalb der Bürozeiten fahnden können, aber am Montagmorgen würde es im Revier rundgehen. «In Ordnung. Du schreibst zu Hause die Protokolle von heute. Und ich kümmere mich um den Bericht aus der Gerichtsmedizin.»
Galgenberg guckte, als hätte er schales Bier getrunken. Doch er widersprach nicht.
Peter Kappe war so müde, dass er kaum die Augen offen halten konnte. Das spärliche Licht im Keller tat das Übrige. Stefanie Richter stupste ihn an und zeigte zur Bühne. Die bestand aus einem knöchelhohen Bretterbau. Das Holz wankte, denn die Band griff gerade nach den Instrumenten. Die fünf schlaksigen Männer hatten alle lange Haare und Bärte, so als wollten sie sich hinter all dem Gestrüpp verstecken. Sie ähnelten einander wie Fünflinge – oder lag das nur an dem schummerigen Licht?
Rüdiger Engelhardt trat zu Peter. Der Kumpel hielt drei Flaschen Bier zwischen den Fingern der linken und einen riesigen Joint in der rechten Hand. Er verteilte das Bier, zog am Joint und reichte ihn an Stefanie weiter.
Peter nahm einen Schluck von seinem Bier und schaute wieder zur Bühne. Der Gitarrist war noch ein bisschen dürrer als die anderen Musiker und schaltete gerade den Verstärker ein. Prompt quietschte eine Rückkopplung durch den Keller. Peter glaubte, seine Trommelfelle würden bersten. Der dünne Kerl schlug einen Akkord an. Es klang, als würde er eine Kettensäge starten. Er trat ans Mikro und rief in den ausklingenden Ton hinein: «Mia san die Magic Mushrooms aus München!» Der bayerische Dialekt wirkte so deplatziert wie Öltanker auf dem Wannsee. Zum Glück redete der Junge nicht weiter, sondern begann zu spielen. Ein paar Takte drosch er allein in die Saiten, dann stiegen seine Bandmitglieder mit ein. Die Musik stampfte gleichförmig im Viervierteltakt vor sich hin.
Stefanie reichte Peter den Joint. Er wollte ablehnen, doch sie zwinkerte ihm zu, und er nahm die Tüte entgegen. Der Rauch kroch seinen Rachen hinunter und kratzte wie Sandpapier. Eine besondere Wirkung zeigte das Zeug aber nicht. Peter gab den Joint an Rüdiger weiter.
Der Freund ergriff die Tüte, ohne sein Gespräch mit einer Blondine zu unterbrechen. Peter sah nur ihr Profil, doch allein das war von geradezu betörender Anmut. Alles an ihr schien von einer unwirklichen Zartheit. Rüdiger reichte der Frau den Joint, und sie nahm einen Zug. Dabei schloss sie die Augen. Es schien, als würde die Zeit für einen Atemzug stehenbleiben. Für einen langen, tiefen Atemzug. Dann gab sie die Tüte an einen Langhaarigen mit Brille weiter, den Rüdiger als Ralf Frohbert vorgestellt hatte.
Jemand tippte Peter an die Schulter. Er zuckte zusammen. Stefanie. Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
Die Band spielte langsamer. War das schon der nächste Song? Peter hatte niemanden singen hören.
Der Joint war inzwischen wieder bei Stefanie angekommen. Sie rauchte und begann dabei langsam auf der Stelle zu tanzen. Sie schmiegte sich an Peter und steckte ihm die Tüte in den Mund. Er inhalierte den Rauch. Einmal. Und noch einmal. Dieses Mal spürte er den Rausch. Die Wände des Kellers schienen sich zu ihm herunterzubeugen. Die Menschen um ihn herum wurden schmal wie Gerten und tanzten, als wären ihre Körper knochenlos. СКАЧАТЬ