Rotlicht. Uwe Schimunek
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Rotlicht - Uwe Schimunek страница 4

Название: Rotlicht

Автор: Uwe Schimunek

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

Серия:

isbn: 9783955520403

isbn:

СКАЧАТЬ der Redaktionskonferenz konnte kaum schlechter sein. Der Chefredakteur des Berliner Blitz – alle Mitarbeiter sprachen ihn stets mit seinem Titel und nicht mit seinem Namen an – tippte auf die Fotos, die die Kommunarden Lauterbach und Trenker vor dem Gerichtsgebäude zeigten. Die beiden grinsten wie Fußballer, die gerade die Meisterschaft gewonnen hatten, und der Chefredakteur tat so, als wären seine Redakteure schuld daran.

      «Diese beiden Lumpen kommen mir nicht auf die Titelseite! Nicht in dieser Pose!» Er wandte sich an den Fotografen Martin Glämmer und brüllte: «Warum haben wir nichts anderes von diesen Kerlen? Sollen wir vielleicht das Kampfblatt dieses Gesindels werden?» Dann beugte er sich über den Versammlungstisch. Sein Kopf glühte und war kaum noch einen Meter von dem des Fotografen entfernt, als er schrie: «Was denken Sie sich bei solchen Fotos? Denken Sie überhaupt nach? Oder ist in ihrem Kopf bloß ein Haufen leerer Filmrollen?»

      Glämmer sah aus, als wollte er sich in der Stuhllehne verkriechen.

      Der Chefredakteur verblieb noch einen Moment in seiner Drohpose, dann wandte er sich an Bolp. «Was schreiben wir denn zu diesem Urteil?» Das letzte Wort hatte er förmlich ausgespuckt.

      Bolp schob seinen Artikel über den Tisch. Nur zum Beleg. Er wusste, dass der Chefredakteur während der Konferenz keine Artikel las. Deswegen trug er seine Schlagzeile mit grimmiger Stimme vor: «Feiger Richter kuscht vor Kriminellen!»

      Der Chefredakteur nickte. «Ja, das klingt nicht schlecht. Was steht im Artikel?»

      «Ich frage am Anfang, wohin das alles führen soll. Dann berichte ich noch einmal, dass Hunderte unschuldige Familien bei dem Kaufhausanschlag in Brüssel traumatisiert wurden und dass die Studenten hernach auch deutsche Kaufhäuser brennen sehen wollten.» Bolp machte eine kurze Pause, damit dem Chefredakteur Zeit zum Nicken blieb, dann fuhr er fort: «Schließlich frage ich, ob wir uns noch auf die Straße trauen können – da diese Verbrecher nun frei durch Berlin laufen.»

      Der Chefredakteur schob den Artikel zurück zu Bolp, ohne einen einzigen Blick darauf geworfen zu haben. «Das ist es, was wir brauchen!» Er sprach, als halte er eine Rede im Abgeordnetenhaus. «Klare Worte, klare Haltung! Denn nur Haltung gibt unseren Lesern Halt. Nur eine klare Linie kann sie auf dem rechten Weg durch den Tag führen.» Der Chefredakteur wandte sich an den Fotografen. «Ich kann indes nicht erkennen, welchen Beitrag Ihre Bilder zu unserer Arbeit leisten sollen. Sprechen Sie mit Herrn Bolp, bevor Sie den Auslöser drücken? Oder überlassen Sie Ihre Fotomotive dem Zufall?»

      «Aber die haben sich die ganze Zeit so gegeben. Was sollte ich denn da machen?», murmelte Glämmer.

      «Wo sind die Richter? Wo sind die Bilder von hilflosen Polizisten, die nicht fassen können, dass sie zwei Verbrecher laufen lassen müssen? Wo sind die Bilder entsetzter Bürger?»

      «Aber …» Glämmer stockte nach dem ersten Wort. Ihm schien der Rest des Satzes im Halse stecken zu bleiben.

      «Es war eine schwierige Situation», warf Bolp schnell ein. «Der Richter und der Staatsanwalt haben sich in ihre Büros verdrückt, und unter den Zuschauern waren die Gammler in der erdrückenden Überzahl. Es war leider so, dass außer gemeiner Schadenfreude kaum etwas zu sehen war.»

      «Aber es ist doch wohl klar, dass wir so etwas nicht drucken werden!», rief der Chefredakteur und schob die Bilder zum Fotografen.

      «Es sei denn …», sagte Bolp.

      «Es sei denn was?», fuhr ihm der Chefredakteur ins Wort.

      «Es sei denn, wir hätten noch andere Bilder.» Bolp blieb ruhig. «Ein paar Opfer des Brüsseler Kaufhausanschlags aus dem Archiv und ein paar grimmig dreinblickende Demonstranten. In diesem Zusammenhang würden die beiden eitlen Gammler nicht mehr wie Gewinner aussehen, sondern wie skrupellose Zyniker.»

      «Hm.» Der Chefredakteur schien nicht so recht überzeugt zu sein.

      «Natürlich müssten die Archivbilder groß abgedruckt werden, und dieses hier müsste so arrangiert werden, als würden die beiden Gammler wie kleine, gemeine Zwerge von oben auf die Opfer herabschauen.» Bolp tippte auf die Bilder von Lauterbach und Trenker und fuhr fort: «Die wütenden Demonstranten könnten den armen Opfern an die Seite gestellt werden, als ob sie diese bedrängen würden.»

      «Das wäre eine Möglichkeit.» Der Chefredakteur fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, als ordnete er die Fotos bereits an. Abrupt hielt er inne und fragte: «Wo bekommen wir die Bilder von den wütenden Demonstranten her? Auch aus dem Archiv?»

      Auf diese Frage hatte Bolp gewartet. «Nein, die machen wir jetzt gleich. Das Gesindel hat sich versammelt und feiert den Freispruch. Die sind noch da draußen. Da können wir Aufnahmen machen.»

      Der Chefredakteur wiegte den Kopf. «Und wenn die langhaarigen Studenten da draußen völlig harmlos aussehen, was dann?»

      «Nun …», Bolp merkte, wie ihm ein Grinsen über das Gesicht huschte, «… wenn die uns als Reporter des Berliner Blitz erkennen, werden sie schon die richtigen Mienen aufsetzen.»

      Auch der Chefredakteur lächelte für einen winzigen Moment und sagte: «Gut, Herr Bolp. Vielleicht sollten Sie Herrn Glämmer begleiten. Damit er weiß, was er zu tun hat.»

      «Das mache ich gern», sagte Bolp und registrierte den dankbaren Blick des Fotografen.

      Peter Kappe eilte den Kurfürstendamm hinunter. Die Demonstration vor dem Büro des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, kurz SDS, war sein Ziel. Ein Pulk Studenten rief «Ho, Ho, Ho Chi Minh!» und «Enteignet die rechten Hetzblätter!». Aus allen Richtungen strömten immer mehr junge Leute herbei. Ihre Haare wehten im Märzwind wie Fahnen der Freiheit. Über den Köpfen flatterten auch ein paar echte Flaggen, die des Vietkong und von afrikanischen Befreiungsbewegungen. Peter hoffte, dass er seinen Freund Rüdiger Engelhardt und die Kommilitonin Stefanie Richter noch antraf, bevor in dem Gewühl niemand mehr zu finden sein würde. Im Mittelpunkt des Gedränges erkannte er einzelne Personen. Ein Vertreter vom SDS stand an der Spitze des Pulks. Er hielt ein Megafon in der Hand.

      «Peter! Da bist du ja!», rief jemand.

      Peter drehte sich um und sah, wie Stefanie mit Riesenschritten auf ihn zuhüpfte. Sie umarmte ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Sofort schoss Peter das Blut ins Gesicht. Er blickte vorsichtshalber zu Boden.

      «Du kennst Kurt?», fragte Stefanie.

      Peter blickte auf. Neben Stefanie stand ein schlaksiger Mann um die dreißig. Er trug das Haar etwas kürzer als die meisten ringsherum und war im Gegensatz zu vielen anderen hier offenbar kein Student. Trotz seines Anzugs und seines Huts wirkte er lässig und auf der Demo nicht fehl am Platze. Selbstverständlich kannte Peter Kurt Kannenhenkel – von der Freien Volksbühne. Dort war der Schauspieler und Sänger der gefeierte Star. Obwohl Kannenhenkel nicht in einem Wohnheim oder einer Wohngemeinschaft lebte, sondern Frau und Kinder hatte und einen schnittigen Sportwagen fuhr, schlug sein Herz auf der richtigen Seite: auf der linken. Das war stadtbekannt.

      «Hallo, Peter!», sagte Kannenhenkel. Seine Stimme klang so tief wie die E-Saite von einer Bassgitarre.

      Peter hob die Hand zum Gruß. «Du nimmst dir Zeit für unseren Triumph?»

      «Ein wenig», antwortete Kannenhenkel. «Um sechs muss ich im Theater sein. Dann müsst ihr ohne mich feiern.»

      «Kommt, lasst uns ein Stück gehen und nach Rüdiger schauen. Der wollte auch kommen», sagte Stefanie. Ausgelassen ergriff sie Peters СКАЧАТЬ