Das Geheimnis vom Oranienburger Thor. Horst Bosetzky
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Название: Das Geheimnis vom Oranienburger Thor

Автор: Horst Bosetzky

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

Серия:

isbn: 9783955520366

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СКАЧАТЬ Kürschner. »Etwas Glut ist immer im Herd. Es wird dir doch wohl glücken, mir schnell eine Bohnensuppe zuzubereiten!«

      »Na jut, wenn et unbedingt sein muss. Et is ooch noch von dem Bohneneintopp von neulich wat übrich.«

      »Gut, dann wärme den bitte auf und bringe ihn mir auf die Stube!«

      Seit Corduan seine Frau begraben hatte, waren in dem Zimmer das Sofa und die Stühle unter Schonbezügen verschwunden. Am Ende des langen Esstisches hatte er sich ein Sitzmöbel aus der Werkstatt hingestellt, auf dem er ab und an Platz nahm, um sich vorzustellen, Eugenie sei noch an seiner Seite und speise gemeinsam mit ihm.

      Endlich kam Susanna mit dem aufgewärmten Eintopf. Charles Corduan schaufelte ihn in sich hinein, obwohl er heute etwas seltsam schmeckte. Als Corduan sich satt gegessen hatte, ging er schlafen. Nach zwei Stunden aber wachte er auf, weil ihn starke Leibschmerzen plagten. Als ihm auch noch übel wurde, zog er sich an und eilte auf den Hof hinaus, wo sich der Abort befand. Er erbrach sich, und sein Durchfall wollte kein Ende mehr nehmen. Wadenkrämpfe kamen hinzu. Corduan lief zurück ins Haus, um auf der Diele zusammenzubrechen. Er wollte sich noch an der Garderobe festhalten, riss sie aber im Stürzen mit sich.

      Der Lärm weckte Susanna. Als diese ihren Dienstherrn bewusstlos in der Diele vorfand, rief sie nach den Gesellen. »Los, lauft nach einem Doktor!«

      »Mitten in der Nacht?«

      »Ja, sonst stirbt er uns!«

      Es dauerte eine Weile, bis man einen Arzt gefunden hatte. Als der Mediciner schließlich beim Kürschner Charles Corduan eintraf, war der bereits verstorben.

      Oberst-Lieutenant Christian Philipp von Gontard stand zwar gerne im Hörsaal der Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule, doch des Lehrinhaltes seines Hauptfaches – Physik unter besonderer Berücksichtigung der Ballistik – wurde er langsam ein wenig überdrüssig. Jahraus, jahrein den jungen Offizieren zu erklären, worin sich die Wurfparabel von einer ballistischen Kurve unterschied, unterforderte einen intelligenten Menschen wie ihn.

      »An der Tafel sehen Sie oben die Flugbahn eines Körpers beim sogenannten schiefen Wurf in einem homogenen Schwerefeld bei Vernachlässigung des Luftwiderstandes. Darunter habe ich die Parabel gezeichnet, wie sie sich aus einem schiefen Wurf mit Stokes-Reibung ergibt. Wer war Stokes?«

      Der etwas vorlaute Lieutenant Eike von Flieth, der sich zu gerne selbst reden hörte, nutzte sofort die Gunst der Stunde. »Ein Mann aus Stoke in England.«

      »Irrtum! Sir George Gabriel Stokes, geboren am 13. August 1819 in Skreen, in der Provinz Connaught, ist gebürtiger Ire und hat als Mathematiker und Physiker Weltruhm erlangt. Ich darf Ihnen seine berühmte Formel über die Reibungskraft an die Tafel schreiben.«

      Die jungen Lieutenants seufzten einvernehmlich, und Gontard war froh, als er die Stunde endlich hinter sich gebracht hatte. Umso mehr freute er sich auf seine zweite Lehrveranstaltung an diesem Tage, die der brandenburgisch-preußischen Militärgeschichte gewidmet war.

      »Ich möchte Ihnen, meine Herren, in den nächsten Wochen bedeutende Heerführer Brandenburg-Preußens nahebringen«, waren seine ersten Worte. »Leider muss ich mit einem Österreicher beginnen, einem Manne, der am 20. März 1606 in Neuhofen an der Krems zur Welt gekommen ist: Georg von Derfflinger. Er war Sohn protestantischer Eltern und wuchs in Armut auf. Sie werden sich nun sicher fragen, wie er es bis zum Heerführer geschafft hat, zumal er nicht die geringste Schulbildung vorweisen konnte. Nun, als Soldat hatte er das Glück, in der Blüte seiner Jahre an den Schlachten des Dreißigjährigen Krieges teilnehmen zu können. Er trat in die Dienste verschiedener Herren und stieg im schwedischen Heer bis zum Reiter-Oberst im Generalsrang auf. Das ist eine beachtliche Leistung. Danach verpflichtete er sich dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg. Derfflinger schuf eine völlig neue brandenburgische Armee, wobei sein Augenmerk der Kavallerie und der Artillerie galt. Der Sieg von 1675 über die Schweden, die unter Karl XI. kämpften, war zum größten Teil sein Verdienst. Es ist als genial zu bezeichnen, wie er den Handstreich gegen Rathenow ausgeführt und die Feinde anschließend verfolgt und über das Kurische Haff gejagt hat.«

      Wieder meldete sich Eike von Flieth zu Wort. »Was haben wir unter dem Handstreich gegen Rathenow zu verstehen, Herr Oberst-Lieutenant?«

      Gontard musste weit ausholen. »Das Ereignis trug sich am 15. Juni 1675 zu. Der Große Kurfürst und seine Mannen hatten in Erfahrung gebracht, dass der schwedische Oberst Wangelin mit sechs Kompanien seines Dragonerregiments zur Verstärkung der schwedischen Besatzung in der Stadt Rathenow eingerückt war. Wangelin sollte über Rathenow auf dem kürzesten Weg nach Magdeburg vorstoßen und die Stadt einnehmen. Für den Großen Kurfürsten gab es nur eine Lösung: Sein Regiment musste Rathenow unbedingt vor dem Eintreffen des schwedischen Hauptheeres erobern. Doch die Stadt an der Havel wies starke Befestigungen auf, man hätte sie im Kampf niemals erstürmen können. Deshalb wurde eine List ersonnen. Derfflinger, der aufgrund seiner Zeit beim schwedischen Heer gut Schwedisch sprach, ritt mit einigen wenigen Dragonern auf die hochgezogene Brücke der Stadt zu. Dort angekommen, wurde er von der schwedischen Wache angehalten, die nur aus einem Unteroffizier und sechs Mann bestand. ›Wie Volk?‹, wurde er gefragt. Man wollte also wissen, wer er sei und woher er komme. Derfflinger machte den Schweden weis, er sei ein schwedischer Lieutenant vom Regiment Bülow und befinde sich auf der Flucht vor den brandenburgischen Truppen. ›Ich muss dennoch erst Oberst Wangelin fragen, ob Ihr einrücken dürft‹, kam es von jenseits des Grabens. ›Das ist nicht nötig!‹, rief Derfflinger zu den Schweden hinüber. ›Oberst Wangelin ist ein guter Freund von mir, und wenn ich nicht sofort in die Stadt darf, riskiere ich, von den nachrückenden Brandenburgern gehängt zu werden.‹ Da wurde die Zugbrücke tatsächlich herabgelassen. Derfflinger ritt mit seinen Dragonern auf die Wache zu, hieb sie nieder – und Rathenow konnte alsbald vom Großen Kurfürsten eingenommen werden.«

      Die jungen Lieutenants in dem Hörsaal brachen in Hurrarufe aus, was bei den Ausführungen zur Ballistik nie geschah, und so konnte Gontard mit dem Gefühl einer tiefen inneren Befriedigung die Stunde beenden.

      Auf dem Flur begegnete ihm der Apotheker Gustav Rosengarth, der in diesem Jahr vertretungsweise das Fach Chemie übernommen hatte und sich in Berlin, besonders in der Gegend um das Oranienburger Thor, eines guten Rufes erfreute. Rosengarth war hochgewachsen, hatte ein schmales Gesicht und trug seine Haare lang wie ein Gelehrter. Gontard kannte ihn seit Jahren, und zwischen beiden war eine gewisse Vertrautheit entstanden. »Nun«, fragte Gontard, nachdem sie sich begrüßt hatten, »sind Sie auch auf dem Wege nach London?« Das war eine Anspielung auf Rosengarths Apothekerkollegen Theodor Fontane, von dem es hieß, er siedle Anfang April für einige Zeit auf die britische Insel über.

      »Nein.« Rosengarth lachte. »Ich bin nichts weiter als ein einfacher Apotheker – und kein Schriftsteller und Correspondent bei der Centralstelle für Preßangelegenheiten wie Fontane.«

      »Es ist meiner Meinung nach ganz schön, wenn man neben seinem Brotberuf noch etwas anderes mit Leidenschaft betreibt«, erklärte Gontard. »So wie ich gern den Criminal-Comissarius spiele.«

      »Und Sie haben ja auch schon einige Erfolge aufzuweisen.« Rosengarth schaute auf seine Stiefelspitzen. »Womit könnte ich mich wohl in meiner arbeitsfreien Zeit vergnügen?«

      Gontard dachte einen Augenblick nach. »Sammeln Sie etwas, oder erfinden Sie etwas! Als Apotheker könnten Sie doch eine neue Arznei kreieren. Es gibt Hunderte von Krankheiten, welche die Ärzte noch nicht heilen können.« Rosengarth seufzte. »Wenn das so einfach wäre!«

      Sie unterhielten sich noch einen Moment und gaben dann ihrer Hoffnung Ausdruck, dass das neue Jahr etwas aufregender werde СКАЧАТЬ