Das Geheimnis vom Oranienburger Thor. Horst Bosetzky
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Название: Das Geheimnis vom Oranienburger Thor

Автор: Horst Bosetzky

Издательство: Автор

Жанр: Исторические детективы

Серия:

isbn: 9783955520366

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СКАЧАТЬ bitte! Der Kutscher wartet schon, es ist kalt!«

      »Wir sind noch viel zu müde, wir können nicht so schnell!«

      Von Wutike nach Wittenberge waren es fast sieben preußische Meilen, also etwa fünfzig Kilometer. Dafür brauchte eine Kutsche mit zwei Pferden rund fünf Stunden, die nötigen Pausen eingerechnet. Wenn sie am späten Nachmittag in Berlin eintreffen wollten, mussten sie in aller Herrgottsfrühe aufbrechen, denn von Wittenberge bis in die preußische Hauptstadt waren es noch einmal über 150 Kilometer. Borsigs Lokomotiven erreichten eine Geschwindigkeit von 35 Kilometern pro Stunde. Endlich saßen alle in der Kutsche, die Gontard im nahen Dorf Gumtow gemietet hatte.

      »Hü!« Es ging los. Der Gutsinspector und das Gesinde winkten. Gontard setzte sich nach vorn auf den Bock, um ein wenig mit dem Kutscher zu plaudern. Das sollte er bald bereuen, denn der Mann aus Gumtow war alles andere als gesprächig. Außerdem war es im Fahrtwind so bitterkalt, dass Gontard Angst hatte, ihm würde die Nase abfrieren. Er fragte den Alten, ob die Menschen in der Prignitz über den Ausgang der Revolution enttäuscht seien.

      Die Antwort kam nach einem Moment der Stille. »Bloots nich noch rechts un links kieken!«

      Gontard musste das erst für sich aus dem Plattdeutschen übersetzen, um es zu verstehen. »Nur keine Veränderung!«

      »Jo. Trau kien Oss van vörn, kien Perd van achtern un kein Minsk üm die to!«

      Gontard nickte. Der Mann wollte sich einem Fremden gegenüber zu politischen Fragen nicht äußern. Gontard ließ anhalten und setzte sich zu seinen Lieben in die Kutsche. Auch dort war es nicht gerade warm, aber er fror doch nicht mehr ganz so erbärmlich.

      Sie kamen durch Perleberg hindurch und grüßten das Roland-Standbild. Schließlich standen sie in Wittenberge auf dem Bahnhof und warteten auf den Zug aus Hamburg.

      »Gerade einmal vor sechs Jahren hat die Bahn von Hamburg nach Berlin den Betrieb aufgenommen«, sinnierte Gontard. »Und mir scheint es schon eine Ewigkeit her zu sein, dass wir die Strecke von Wittenberge nach Berlin mit der Postkutsche zurückgelegt haben.«

      »Daran siehst du, Vater, dass sich in der Welt doch so einiges ändert«, sagte der siebzehnjährige Ferdinand. »Der Ökonom Friedrich List wird schon recht haben mit seiner Annahme, dass der Eisenbahnbau die Zollschranken in Deutschland überwindet und wir irgendwann doch noch ein einiges Reich bekommen.«

      »Das mag vielleicht eintreten, Ferdinand, aber ob die Bürger dann mehr Rechte und Freiheiten haben, sei dahingestellt.«

      Henriette verdrehte die Augen. »Ihr immer mit eurer Politik! Denkt an Goethes Worte: Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied!«

      Luise, fünfzehn Jahre alt, brachte das Gespräch auf Prinzessin Charlotte von Preußen, die vor zwei Jahren den Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen geheiratet hatte. So fröhlich hatte Gontard seine Tochter selten erlebt. »Nach der Hochzeit hat der König dem Ehepaar gestattet, im Nordflügel des Potsdamer Marmorpalais zu wohnen, und von ihrer Mutter hat die Prinzession die Villa Carlotta in Italien übereignet bekommen. Einem Sohn hat Charlotte auch bereits das Leben geschenkt, Bernhard heißt er.«

      Ferdinand sah seine Schwester an. »Denkst du etwa, der könnte dich dermaleinst heiraten? Bei dem Altersunterschied halte ich das eher für unwahrscheinlich.«

      Unter den Geschwistern entspann sich ein Zank, und es verging eine Weile, ehe Luise erzählen konnte, warum sie Charlotte von Preußen so überaus schätzte. »Sie ist ungeheuer musikalisch, und sie komponiert sogar selbst.«

      »Da kommt der Zug!«, rief Ferdinand, der in Richtung Nordwest eine hoch in den Himmel steigende Rauchfahne entdeckt hatte.

      Gontard war es zwar gelungen, Billetts für die erste Klasse zu erwerben, sie mussten das Abteil aber mit zwei Fremden teilen, was die familiäre Konversation erheblich erschwerte. Doch sie hatten Glück, denn der Herr am Fenster, der nicht viel älter als dreißig Jahre alt sein mochte, stellte sich als Eduard Titz vor. »Architekt und Baumeister aus Böhmen.«

      »Angenehm!« Gontard stand auf und verbeugte sich. »Natürlich wissen wir, welch berühmte Persönlichkeit Sie sind. Spätestens, seit das Friedrich-Wilhelm-Städtische Theater vor zwei Jahren eröffnet worden ist, kennt in Berlin nahezu jeder Ihren Namen.« Gontard machte auch seine Frau und seine Kinder mit Eduard Titz bekannt, dann fragte er den Architekten, mit welchen Aufträgen er derzeit beschäftigt sei.

      »Einen Bebauungsplan für Köpenick soll ich erarbeiten, vor allem aber hält mich gerade Krolls Etablissement auf Trab.« Das war im vergangenen Jahr völlig abgebrannt, und Titz war der Wiederaufbau übertragen worden.

      »Für diese Arbeit sollte man Ihnen zum nächsten runden Geburtstag den Rothen Adler-Orden verleihen«, fand Henriette.

      Titz lachte. »Ich kann mir nicht einmal sicher sein, wann mein nächster runder Geburtstag ist. Niemand weiß genau, in welchem Jahr ich auf die Welt gekommen bin, vom Tag ganz zu schweigen. Es muss 1819 oder 1820 gewesen sein.«

      Henriette lachte. »Es heißt doch immer, man sei so alt, wie man sich fühle.«

      »Wenn ich danach ginge, wäre ich erst sieben Jahre alt und säße im Sandkasten, um Pyramiden, Burgen und Schlösser zu bauen, wobei …« Er brach ab, denn der Zug bremste so abrupt, dass alle nach vorne gerissen wurden und beinahe von ihren Sitzen fielen.

      »Wahrscheinlich stand eine Kuh auf den Schienen«, vermutete Luise, nachdem der erste Schreck vorüber war.

      »Nein, bestimmt ist die Lok entgleist!«, rief Ferdinand. »Wir werden bis Berlin alle schieben müssen.« Dann gab er Geschichten über die schrecklichsten Unfälle zum Besten, die es in aller Welt gegeben hatte, seit Dampfrösser über die Schienen glitten. Ferdinand wollte einmal Ingenieur werden und zu Borsig oder einer der Eisenbahngesellschaften gehen und war der Ansicht, dass man aus Katastrophen viel lernen könne. »Das erste Todesopfer hatte man schon am 15. September 1830 in England zu beklagen, in Newton-le-Willows. Am Eröffnungstag der Liverpool and Manchester Railway hat die legendäre Rocket einen Mann überfahren und tödlich verletzt. Acht Tote und achtzehn Schwerverletzte hat es am 24. Dezember 1841 gegeben, wiederum in England, als bei Sonnig eine Zugfahrt durch einen Erdrutsch jäh gestoppt wurde. Das ist aber nichts gegen das Unglück, das sich am 8. Mai 1842 in der Nähe von Versailles ereignet hat: Der Personenzug nach Paris ist nach einem Achsbruch an der Vorspannmaschine entgleist, fünfzig Menschen sind verbrannt, unzählige wurden verletzt.«

      In diesem Augenblick meldete sich die Dame zu Wort, die bis eben schweigend und mit geschlossenen Augen Eduard Titz gegenüber am Fenster gesessen hatte. »Hören Sie endlich mit Ihren scheußlichen Geschichten auf, junger Mann, sonst ziehe ich mein Terzerol aus der Tasche und zwinge Sie zum Verlassen des Zuges! Ich halte das nicht mehr aus!«

      So, wie sich die Dame präsentierte, vermutete Gontard, dass es sich um eine Schauspielerin handelte. Um ihr zu schmeicheln und um sie zu beruhigen, fragte er, ob sie in Berlin nicht kürzlich auf der Bühne gestanden habe.

      »Ihre Frage ehrt mich, aber den Traum von einer Laufbahn als Schauspielerin habe ich schon lange aufgegeben. Vor acht Jahren habe ich zwar einen Ruf ans Berliner Hoftheater erhalten, um dort – als Sängerin wie als Schauspielerin – die Nachfolge von Amalie Wolff-Malcomi anzutreten, wegen meiner familiären Pflichten habe ich aber abgelehnt und mich ganz der Ausbildung meiner drei Töchter gewidmet, die alle auf die Bühne wollen.«

      »Dann sind Sie Henriette Schramm-Graham!«, entfuhr es Gontards Frau.

      »So СКАЧАТЬ