Название: Das Geheimnis vom Oranienburger Thor
Автор: Horst Bosetzky
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783955520366
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Charles Corduan war ein geschickter Verkäufer und wusste sich zu steigern. »Wie wäre es mit dem herrlichen Fell eines Kodiakbären?«
»Wunderbar!« Gontard war begeistert. »Das wird mein neuer Pelzmantel. Fangen Sie bitte sofort damit an! Ich lasse ihn mir auch einiges kosten.«
Corduan verbeugte sich. »Sehr gern.«
Ernst Curtius hatte sich als Hauslehrer des Prinzen Friedrich Wilhelm, des späteren Kaisers Friedrich III., und als außerordentlicher Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität einen Namen gemacht. Am 10. Januar 1852, einem Sonnabend, wollte er in der Sing-Akademie einen Vortrag über das antike Olympia halten. Gontard und Kußmaul saßen in der Dorotheenstraße beisammen und überlegten, ob sie sich den Beitrag anhören sollten.
»Eigentlich hatte ich Henriette versprochen, mit ihr Schach zu spielen«, sagte Gontard.
»Und ich wollte mit meiner Frau ins Konzert gehen«, fügte Kußmaul hinzu. »Aber Olympia ist ein wichtiges Thema. Stell dir vor, wir bekommen die Olympischen Spiele der Antike zurück und unsere Jugend übt fleißig, um den Lorbeerkranz des Siegers zu erringen. Du weißt, was das für Preußen bedeuten könnte?«
»Ja, wir würden an die Ideen unseres Turnvaters Friedrich Ludwig Jahn anknüpfen, und die Menschen würden fleißig ihren Leib trainieren.«
»Genau. Ich hätte weniger Kranke in der Praxis, und du verfügtest über Soldaten, die in zukünftigen Kriegen – und es sind etliche zu erwarten – mit mehr Ausdauer kämpfen könnten.«
»Was schließen wir daraus? Es sei mit der Diskussion nun Schluss, / auf zu Herrn Curtius! So würde dessen Freund Emanuel Geibel bestimmt reimen.«
»Gut. Auch der König soll zugegen sein.«
Die Sing-Akademie hatte seit 1827 ein eigenes Konzertgebäude am Festungsgraben, so dass sie es von der Dorotheenstraße aus nicht weit hatten. Als Gontard und Kußmaul ins Foyer traten, kam ihnen der Theaterdichter Ernst Raupach mit seiner Frau entgegen. Gontard erschrak, denn der Schöpfer des Hohenstaufen-Zyklus sah ziemlich elend aus und hustete so sehr, dass die Umstehenden zurückwichen.
»Die Lunge«, erklärte Raupach, als sie sich begrüßt hatten.
»Wenn er doch nur meinem Rat folgen und sich schonen würde!«, seufzte seine Frau. »Tag und Nacht sitzt er an seinem neuen Stück. Es heißt Die Giftmischerin.«
Gontard ging durch den Kopf, dass er selbst auch gerne ein Stück schreiben würde, eines über den Polizeipräsidenten von Hinckeldey. Ein Giftmord käme darin wohl auch vor … Er behielt diesen Gedanken lieber für sich.
Da erschien der König mit seiner Entourage. Die Anwesenden brachen in Jubel aus. Friedrich Wilhelm IV. hatte für alle, die ihm persönlich bekannt waren, ein Lächeln übrig. Auch für Gontard, obwohl sein Blick zu sagen schien: Ich weiß genau, dass du auf den Barrikaden gestanden hast – die Abrechnung folgt!
Gontard trug es mit Fassung. Vielleicht hatte er es sich auch nur eingebildet. Ihm blieb immer noch die Möglichkeit, nach Österreich oder nach Russland zu gehen.
Kußmaul und er warteten, bis der König den Saal betreten und sich in der Ehrenloge niedergelassen hatte, dann begaben sie sich auf die ihnen zugewiesenen Plätze.
Pünktlich trat Ernst Curtius ans Podium. Er war ein sehr ansehnlicher Mann, weshalb Gontard nicht ganz verstehen konnte, warum er eine Witwe geheiratet hatte. Als hätte sich keine Jungfrau für ihn gefunden! Nun gut, er ging auf die vierzig zu, und die besagte Witwe war vorher mit dem Buchhändler Wilhelm Besser verehelicht gewesen, was auf ein gewisses geistiges Niveau schließen ließ.
»Was wissen wir über die Olympischen Spiele der Antike?«, begann Ernst Curtius, nachdem er alle Gäste, allen voran natürlich Seine Majestät, gebührend begrüßt hatte. »Sie nahmen vermutlich um 880 vor Christi Geburt ihren Anfang und fanden bis in das vierte nachchristliche Jahrhundert alle vier Jahre in der Landschaft Elis auf dem Peloponnes statt. Der Anlass für die Austragung der Wettkämpfe kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um kultische Feste, die zu Ehren einer Gottheit, möglicherweise Herakles, abgehalten wurden. Andere Deutungen gehen davon aus, dass der König Pelops sie als Wiedergutmachung ins Leben rief, nachdem er bei einem Wagenrennen den König Oinomaos durch Betrug besiegt und anschließend getötet hatte. Weitere Forschung ist vonnöten. Unser Wissen um die Art der Wettkämpfe ist ebenfalls nicht umfassend. Zuerst soll es nur einen Wettlauf über eine Stadionlänge gegeben haben, dann sind Wagenrennen und Disziplinen wie Weitsprung, Gymnastik, Ringen, Boxen und Pankration, eine Mischung aus Ringen und Boxen, dazugekommen. Etwa 1300 Jahre später, so nehmen wir an, erlosch das olympische Feuer erst einmal. Kriege unter den griechischen Stämmen mögen ein Grund dafür gewesen sein, auch eine zunehmende Unlust am Treiben der Athleten oder Geldmangel sind vorstellbar. Genaueres wissen wir bis heute nicht. Fest steht nur, dass der Tempel des Zeus, an dem die Spiele stets mit einem Schwur der Sportler begannen, im sechsten Jahrhundert nach Christi Geburt durch schwere Erdbeben zerstört wurde. Meterdicke Schlamm- und Schuttschichten liegen seitdem über den olympischen Wettkampfstätten. Der englische Archäologe Richard Chandler war es, der im 18. Jahrhundert die Erinnerung an Olympia im Rahmen seiner Griechenlandreisen wachgerufen und den Ort recht eigentlich neu entdeckt hat. Hier sollte Preußen anknüpfen, denn mit Ausgrabungen in Olympia hätten wir die einmalige Gelegenheit, eine kulturelle Großtat zu begehen, für die uns die zivilisierte Welt dankbar umarmen wird. Zugegeben, ein solches Vorhaben würde viele hundert Millionen preußische Reichsthaler verschlingen, aber es wäre die Sache wert.«
»Das Geld sollte man lieber in unsere Schulen und Universitäten stecken«, brummte Raupach.
»Die Griechen würden mit Sicherheit darauf bestehen, das Eigentumsrecht an den Fundstücken aus Olympia zu behalten«, fuhr Curtius fort. »Aber wenn Preußen alle Kosten des Projekts übernähme, dann würden wir das Recht fordern, von allen ausgegrabenen Gegenständen Kopien herstellen zu dürfen. Die könnten wir dann hier in Berlin präsentieren.«
Kußmaul kommentierte ironisch: »Welch Entzücken, einen Lorbeerkranz zu bestaunen, der einem Dioxipoppulus einst über den Kopf gestülpt wurde!«
»Kulturbanause!«, zischte Gontard. »Nichts wäre für die körperliche Ertüchtigung unserer jungen Soldaten besser geeignet als das Pankration.«
»Damit sie die Kraft haben, eure Geschütze aus dem Morast zu ziehen.«
Als sie nach dem Vortrag auf die Straße traten, fror Gontard in seinem dünnen Militärmantel erbärmlich und dachte sofort an seinen Kürschner. »Hoffentlich hat Corduan meinen neuen Pelz bald fertiggenäht!«
Charles Corduan gab sich alle Mühe, Gontards Ansprüchen gerecht zu werden. Es ging schon auf Mitternacht zu, und die Gesellen hatten sich längst in ihre Schlafkammern zurückgezogen, da saß er noch immer in der Werkstatt und beugte sich über das gute Stück. Aber irgendwann begannen seine Hände zu zittern und seine Augen zu tränen, so dass er für diesen Tag aufgeben musste. Doch ins Bett gehen mochte er noch nicht, denn ihn begann ein plötzlicher Heißhunger zu plagen. So eilte er über den Flur zur Kammer seiner Dienstmagd und klopfte an die Tür. »Susanna, Pardon, aber ich möchte gern noch nachtmahlen.« Den Ausdruck hatte er von österreichischen Freunden.
»Wat denn, mitten in die Nacht möchten Sie noch mahlen? Mehl – oder wat?«, kam es von drinnen.
»Ich möchte etwas essen«, erklärte ihr Charles Corduan. »Ein kleines Nachtmahl zu mir nehmen.«
»Die СКАЧАТЬ