„Das Fundament habe ich im Sommer 1949 ausgehoben, gleich nachdem ich mit der Highschool fertig war.“
Keith pfiff. Falls er Jimmy für sich gewinnen wollte, machte er das ganz gut. Er liebte jeden, der seine Kapelle liebte. „Was in aller Welt … Im Sommer ’49, ja? Was hat Sie dazu inspiriert?“
„Im Grunde ein Foto.“ Und ein Mädchen. Aber Jimmy würde sich mit der kurzen, einfachen Antwort begnügen. „Ich hatte eine Zeichenklasse in der Schule und machte das Zeichnen von Hochzeitskapellen zu meinem Projekt.“
„Also ist das eine Hochzeitskapelle?“, fragte Lisa Marie und gab Keith einen Klaps. „Hab ich dir doch gleich gesagt.“
Keith sah Jimmy direkt an. „Warum eine Hochzeitskapelle?“
„Weil …“
„Wie heißt sie denn?“, fragte Lisa Marie.
Jimmy räusperte sich. „Wie sie heißt?“
„Das Mädchen, das einen Highschooljungen dazu inspiriert hat, eine Hochzeitskapelle zu entwerfen.“ Er war ja gar nicht leicht zu durchschauen, nein.
„Was bedeutet das?“ Keith schob sich mit den Ellbogen zwischen Jimmy und Lisa Marie. „Es gab ein Mädchen?“
„Ich habe euch doch gesagt, dass mich ein Foto inspiriert hat.“ Jetzt war Jimmy damit an der Reihe, seine Hände in seinem Gürtel aufzustützen. Im selben Gürtel, den er seit sechsunddreißig Jahren durch die Gürtelschlaufen seiner Jeans fädelte. Der Gürtel war womöglich älter als dieser Jungspund Keith hier.
„Was macht sie denn zu einer Hochzeitskapelle?“, stellte Lisa Marie eine berechtigte und gute Frage. „Warum ist sie nicht einfach nur ‚eine Kapelle‘?“
„Weil ich gesagt habe, dass sie eine Hochzeitskapelle ist.“ Jimmy schob das Kinn vor. Ende der Diskussion. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, sich hier mit Keith zu treffen.
Als er diesen Ort entworfen hatte, hatte er mehr als nur einen Plan für das Gebäude gehabt. Er hatte einen Plan für sein Leben gehabt, einen, zu dem sie gehörte. Weil er Colette Greer mehr geliebt hatte als sich selbst.
Und sie ihn.
„Können wir uns drinnen einmal umsehen?“ Keith zeigte auf den Haupteingang.
Jimmy zog den einzelnen Schlüssel aus seiner Tasche und schloss auf. „Bitte schön.“ Er trat beiseite, um Keith und Lisa Marie den Vortritt zu lassen. Im Chor verliehen sie ihrem Staunen Ausdruck.
Jimmy blieb in der Tür stehen. Die Gefühle saßen ihm dick und rau in der Kehle. Es fühlte sich an, als sei es gestern gewesen, dass er sie hierhergebracht hatte. Es hatte geschneit, die ganze Welt war weiß und leise gewesen. Die Welt hatte sich nur für sie gedreht.
Lisa Marie sah zu Jimmy hin und hielt ihr Telefon hoch. „Stört es Sie, wenn ich ein paar Fotos mache?“
Er schüttelte den Kopf. Wenn er das hier verkaufen wollte, sollte er besser loslassen und sie ihren Job machen lassen.
„Die Handwerkskunst …“ Lisa Marie zielte auf die gewölbte, offene Balkendecke, die Steinwände und den Schieferboden und schoss ein Foto nach dem anderen. „Haben Sie die Steine selbst gehauen?“
Jimmy nickte in Richtung des Teils der Steinmauer, den er aus dem kleinen Vorraum sehen konnte. „Jeden einzelnen.“ Und jeden einzelnen hatte er auch an seinen Platz gesetzt. Mit Freuden.
„Das ist der Wahnsinn.“ Keith stand unter dem Buntglasfenster, das eine Szene mit Christus bei einer Hochzeit zeigte. „Wo haben Sie das her?“
„Aus einer alten Kirche im Zentrum von Nashville. Die wurde während der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen.“
Keith pfiff leise und versuchte beinahe zu sehr, Jimmy zu beeindrucken. Jimmy setzte sich in die letzte Bank auf der rechten Seite, rubbelte den Schmerz aus seinem bösen Knie und atmete tief ein.
Das Licht des späten Morgens fiel durch die Kuppel auf den Boden der Kapelle, wo winzige Sonnenstrahlen sich zu breiten Lichtstreifen zusammentaten.
„Coach, was hatten Sie denn mit diesem Gebäude vor?“
Mein Mädchen heiraten. Der Gedanke hatte kaum seinen Verstand gestreift, als er es hörte. Das widerhallende Pochen eines Herzens. Bumbum-bum. So stark, so gründlich, dass Jimmy sich an der Bank festhalten musste und um Atem rang.
„Ist alles in Ordnung bei Ihnen, Coach?“
Jimmy nickte, rutschte aus der Bank, stand auf und ging zur Tür. Das Pochen … dieses widerhallende Pochen …
Er musste hier raus. Fliehen. Wie war das möglich? Dieser Klang? Nach so vielen Jahren.
„Jimmy … Mr. Westbrook?“ Lisa Maries Ruf folgte ihm durch die Kapelle.
Das erste Mal, dass er das Pochen gehört hatte, war sechzig Jahre her gewesen. Es geschah an dem Tag, als Peg mit ihrem Jungen vorbeikam. Er hatte sich gefühlt, als wäre er in einer Episode von Geisterstunde gefangen. Oder als würde er einen verspäteten Anfall von Schützengrabenschock erleiden. Da war er erst zwei Jahre wieder aus Korea zurück.
Aber der Klang war … echt. Viel zu echt. Zu nah. Er hallte in seiner Brust wider. In seinen Ohren. Und auf eine Weise, die Jimmy nicht erklären konnte, fühlte er sich lebensspendend an.
Der Klang, woher er auch kommen mochte, gab ihm Hoffnung. Aber diese Hoffnung brachte nichts zustande, außer eben, dass er sich fragte, ob er den Verstand verloren hatte.
Und er war ja in Korea gewesen. Hatte sich den Waffen des Feindes gegenübergesehen. Aber nichts machte ihm solche Angst wie der Klang eines pochenden menschlichen Herzen.
Soweit er sich erinnern konnte, hatte er den Klang seit jenem Tag mit Peg nie wieder gehört. Jetzt, nach sechzig Jahren, war er wieder da?
Draußen schluckte er Luft. Er war einfach zu alt für solche Mätzchen.
Auf dem Hof schlossen Keith und Lisa Marie zu ihm auf. „Coach?“
„Ihr könnt sie haben, wenn ihr sie kaufen wollt.“ Es war Zeit. Mit dreiundachtzig musste er sich von hartnäckigen, dummen Jungsträumen lösen, musste diesen Klang loswerden. Er wäre das beste Beispiel für einen verrückten alten Mann, wenn er nicht losließe.
„Ja, wir wollen sie kaufen.“
Ein bleischweres Gefühl durchströmte seine Brust. „Wie – wie sehen denn eure Pläne aus?“
Lisa Marie sah zurück. „Ich habe keine Elektrizität gesehen …“
„Gibt keine. Man muss Kerzen und Laternen nehmen.“
„Ach du meine Güte“, seufzte sie und lächelte erst Keith und dann Jimmy an. „Das ist der romantischste СКАЧАТЬ