X-World. Jörg Arndt
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Название: X-World

Автор: Jörg Arndt

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

Серия:

isbn: 9783865068736

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СКАЧАТЬ beide Hände in Siegerpose empor. Er hatte gewonnen – und nicht nur dieses Spiel. Es war die letzte Partie der „eGames Berlin“. Er war der Champion.

      Wildfremde Menschen klopften ihm auf die Schulter, gratulierten zum Sieg. Irgendjemand reichte ihm ein Glas Sekt, ein Pressefotograf schoss Fotos und wollte seinen Namen und ein paar Einzelheiten zu seiner Person wissen. Yannick Adams. 19 Jahre. Geboren und aufgewachsen in Berlin. Stammgast im Bit & Bytes.

      Er kostete den Augenblick aus. Hinter ihm lagen fast vierzehn Stunden am Computer, aber er fühlte keine Müdigkeit. Stattdessen schwamm er auf einer Woge von Glücksgefühlen. Endlich. Endlich war er auch mal dran. Endlich hatte er auch mal etwas zustande gebracht. Endlich jubelten die Menschen auch ihm mal zu. Solche Momente gab es in seinem Leben sonst eher selten.

      Erfolgreich verdrängte Yannick den Gedanken daran, dass er bloß einen kleinen Computerspielwettbewerb gewonnen hatte, der von einer Hackerkneipe ausgerichtet worden war und sich mit einem größenwahnsinnigen Titel schmückte. Schon bald würde sich niemand mehr an diesen Sieg erinnern. Doch das spielte keine Rolle. Jetzt wollte er einfach nur die Gegenwart genießen.

      Er holte Tabak und Blättchen heraus und drehte sich eine Zigarette. Vielleicht war dies ja der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Vielleicht bot sich ihm nun die Chance, auf die er gewartet hatte. Bislang sah es nämlich nicht so toll aus bei ihm. Er verfügte über einen mittelmäßigen Schulabschluss und drei Jahre Erfahrung in verschiedenen Aushilfsjobs, mit denen er sich gerade so über Wasser halten konnte. Zu einer Berufsausbildung hatte er sich noch nicht durchringen können.

      Seine Mutter hatte längst aufgegeben, ihn nach seiner Lebensplanung zu befragen, und wenn sie das Thema doch mal wieder zur Sprache brachte, gab er die übliche Antwort: Er warte auf die richtige Gelegenheit. Wie in dem Spiel eben. Man muss einfach nur den richtigen Moment abwarten, und dann klappt es.

      Für Außenstehende mochte es beim Blick auf sein Leben vielleicht so aussehen, als würde er verlieren, aber wenn sich die Gelegenheit bot, würde er schon allen zeigen, was in ihm steckte. Dumm war er jedenfalls nicht, das hatte er soeben bewiesen. Er verfügte über Durchhaltevermögen, konnte logisch und strategisch denken und verstand sich auf Computer, besonders auf die angesagten Spiele. Hier machte ihm so schnell keiner was vor.

      Profi-Gamer, das wäre der perfekte Job für ihn! Den ganzen Tag zocken und dafür auch noch bezahlt werden, zu Turnieren fahren, jubelnden Fans begegnen …

      Der Pressefotograf riss ihn aus seinen Träumen. Er wollte ein weiteres Foto gemeinsam mit dem Ladenbesitzer. Yannick musste sich nicht anstrengen, um für die Kamera zu lächeln. Er war rundum glücklich. Er war der Champion. Er hatte gesiegt. Er war der Größte. Dieser Moment hätte gern ewig dauern können.

      Aber leider zerstreute sich die Menge schon bald. Die meisten waren müde.

      Der Held des Tages suchte seine Sachen zusammen, verstaute sie in seinem Rucksack und machte sich auf den Weg. Müdigkeit konnte er sich nicht leisten. In den nächsten Stunden hatte er eine Tankstelle zu betreuen.

      An der Kneipentür hielt er kurz inne, zündete sich seine Selbstgedrehte an.

      „Ciao Lutz!“, sagte er zu dem leicht übergewichtigen Gastwirt mit dem dunkelbraunen Pferdeschwanz, der damit beschäftigt war, die letzten Spuren der Veranstaltung zu beseitigen. Mit seiner Lederweste und den schwarzen Lederhosen schien er eher in eine Motorradgang zu passen als hinter den Tresen einer Nerdkneipe.

      „Mach’s gut, Yannick. Du warst echt spitze heute Abend!“, gab der Angesprochene zurück.

      Er wollte sein Alter nicht verraten, aber Yannick schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Trotz des Altersunterschieds kam er ihm vor wie ein großer Bruder. Lutz war definitiv mehr als ein einfacher Kneipenwirt, so viel stand fest. Von Computern hatte er jedenfalls richtig Ahnung – und vom Leben auch.

      „Ich freue mich, dass du gewonnen hast“, sagte Lutz, „aber nun schlaf dich erstmal aus!“

      „Von wegen, ich muss zur Arbeit!“

      „Na dann, viel Spaß. Mir reicht’s für heute.“

      Der Wirt öffnete die Tür für seinen letzten Gast und blickte hinaus. Ein schmutzig-grauer Sonntagmorgen dämmerte über der Stadt.

      Zufrieden schloss Lutz ab und schaltete die LED-Anzeige im Fenster auf „closed“. Fast 24 Stunden war er jetzt auf den Beinen, aber es hatte sich gelohnt. Nicht nur, weil heute so viele Gäste hier gewesen waren, sondern vor allem, weil die Presse über ihn und das Event berichten würde.

      Das Bit & Bytes war auf dem besten Weg, ein angesagtes Szenelokal zu werden. Natürlich für eine sehr spezielle Szene. Hier trafen sich diejenigen, die ihre Nächte normalerweise vor dem Bildschirm verbrachten. Gamer, Hacker und Computernerds. Manchmal war es gut, sich von Angesicht zu Angesicht zu sehen; Informationen nicht online weiterzugeben, keine Spuren im Internet zu hinterlassen. Ein Treffen im RL hatte unbestreitbare Vorteile.

      Lutz grinste bei seinem letzten Gedanken. Ein normaler Mensch würde mit dieser Abkürzung nicht viel anfangen können, mit dem die Spieler das wahre Leben, das „Real Life“, bezeichneten. Auch sonst hätte der Durchschnittsbürger wohl Mühe, den Gesprächen im Lokal zu folgen, die sich meist um aktuelle Computerspiele, die neueste und schnellste Hardware und ähnliche Dinge drehten.

      Das war auch nicht weiter schlimm, denn man blieb gerne unter sich – nicht zuletzt, weil hier vieles besprochen wurde, was eindeutig jenseits der Legalitätsgrenze lag. Cracks und Raubkopien gehörten da noch zu den harmloseren Dingen, richtig spannend wurde es erst, wenn die Hacker zu später Stunde über selbstverfasste Viren oder Einbrüche in geschützte Computersysteme diskutierten.

      Der Angriff auf die deutsche Börse, der im vergangenen Jahr für Schlagzeilen gesorgt und beinahe eine Wirtschaftskrise hervorgerufen hatte, war in diesem Lokal vorbereitet worden.

      An diesem Tresen waren die ersten Skizzen für „triple6death“ entstanden, einem der gefährlichsten Trojaner, der je sein Unwesen im Internet getrieben hat – und Lutz war maßgeblich daran beteiligt gewesen. Er verstand eine Menge von diesen Dingen.

      Aber allein von einer Handvoll Hackern, die hier gelegentlich ein Bier tranken, konnte der Laden nicht existieren. Darum war Lutz auf die Idee mit den „eGames-Berlin“ gekommen, und er hegte die Hoffnung, dass sich die neu gewonnene Popularität seiner Kneipe recht bald in deutlich höheren Umsätzen niederschlagen würde.

      Obwohl er schon so lange auf den Beinen war, fühlte er sich erstaunlich fit, was wohl auf die Auswirkungen illegaler Substanzen zurückzuführen war, die er gelegentlich zum Einsatz brachte. Er zapfte sich ein Bier – wenn Gäste in seinem Lokal waren, trank er grundsätzlich keinen Alkohol – und schaltete sein Notebook ein.

      Von der Funkausstellung hatte er diesmal nicht viel mitbekommen. Allerdings interessierte ihn die offizielle Berichterstattung eher wenig. Stattdessen verfolgte er die Blogs einiger Bekannter, die ähnlich dachten wie er. Besondere Sensationen schien es in diesem Jahr nicht zu geben, und er wollte gerade abschalten, als sein Interesse plötzlich von einer kleinen Meldung geweckt wurde:

       Ron Schäfer gesichtet! Der Star der Onlinewelten, der nach dem Skandal um „Wargames“ von der Bildfläche verschwunden ist, wurde am Samstag auf der IFA gesehen. Angeblich hat „Future Computing“ ihn zu einem Meeting eingeladen. Ob man für Rons nächste Welt einen Cyberhelm braucht? Wir sind gespannt.

      Lutz’ Gesichtszüge verfinsterten sich.

      Mit СКАЧАТЬ