Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August
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Название: Auf der anderen Seite der Schwelle

Автор: Raimund August

Издательство: Автор

Жанр: Короткие любовные романы

Серия:

isbn: 9783957448019

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СКАЧАТЬ spät auf die Ehre des Martin Schüler zu berufen im Glauben, du könntest vom ganzen politischen Getriebe unabhängig sein. Diese Meinung ist zwar einerseits aller Ehren wert, andererseits aber eine glatte Illusion. Diesen ignoranten Irrglauben und die naiv verschuldete Verspätung musst du nun mal bitter büßen.“

      „Na gut, aber den anderen Weg, den du meinst“, erwiderte Martin Schüler mitten im Gang zwischen den Betten stehend, indem er das du besonders betonte, „den hätte ich sowieso nicht gehen können.“

      „Schon richtig, in Ordnung“, sagte der Arzt.

      Martin Schüler blieb am Fenster stehen und sah eine Weile hinaus. „So ist es eben“, sagte er, drehte sich um, sah den Arzt an, der noch immer neben der Tür auf seinem Hocker saß und nickte ihm zu. „Das wärs dann also, das mit dem Boxen. War alles Blödsinn“, winkte er ab.

      Der Arzt wiegte den Kopf. „Du musst nicht gleich die Flinte ins Korn werfen wollen.“

      Martin Schüler lachte leicht abschätzig. „Du musst ja auch deine eigene Suppe auslöffeln“, wandte er sich an den Arzt, „wie wir alle hier.“

      Sedlmayr hob kurz die Schultern und nickte zustimmend. „Leider“, sagte er dazu, „leider habe ich mich täuschen lassen.“ Das war dann auch schon das Weitestgehende, das von ihm über seinen Fall zu erfahren gewesen war. Dazu kam noch, dass er verheiratet war und mit Frau und sechzehnjährigem Sohn in Berlin-Pankow gewohnt hatte und eben diesen seltenen DDR-Sportwagen fahren durfte. Über seine berufliche Tätigkeit, seine Arbeitsstelle oder die Position, die er möglicherweise im Gesundheitswesen innegehabt hatte, sprach er nie.

      Und das mit der „Mangelwirtschaft“, meinte Sebastian und wohl auch die anderen in der Zelle, das konnte natürlich nicht alles gewesen sein. Doch war es nicht üblich in der Vergangenheit eines politisch Verurteilten, sofern er nicht selbst darüber sprach, herum zu bohren.

      Beim Wecken am Morgen wurde in den Zellen seit geraumer Zeit kein Licht mehr eingeschaltet, denn durchs schmale Gitterfenster fiel um diese Zeit bereits frühes bläuliches Morgenlicht. Der März galt schon als Frühlingsmonat und so war die Heizung bereits wochenlang kalt geblieben. Kalt war es dann auch in den Zellen, sodass die Gefangenen sich tagsüber wieder ihre Schlafdecken umhängten.

       Kapitel 19

      An so einem Morgen Ende März wachte Sebastian noch vor dem offiziellen Wecken auf. Ein leichtes Ziehen an einem oberen Eckzahn irritierte ihn. Es zog an dem Zahn, mit dem er sich vor seiner Verhaftung in Behandlung befunden hatte. Ein Erdbeer- oder Stachelbeerkorn aus der Marmeladenzuteilung war offensichtlich in den aufgebohrten Zahn geraten. Draußen hätte man das mit einer Stecknadelspitze sicher selbst beheben können. Aber in so einer Zelle …?

      Dort blieb erst nur mal die Hoffnung, dass sich das von alleine regeln würde.

      Doch wenn nicht? Einen Zahnarzt, also einen Gefangenen, gabs ja im Krankenrevier.

      Sebastian beschloss erst einmal abzuwarten und auch gar nicht darüber zu reden.

      Handelte es sich wahrscheinlich nur um eine Winzigkeit. Er würde erst einmal bis zum nächsten Tag abwarten und sich dann, wenn nötig, bei der Morgenzählung, vorschriftsmäßig zum Zahnarzt melden. Doch zum Arzt oder Zahnarzt ins Krankenrevier ging es erst dann, wenn im Zellenbau mehrere Krankmeldungen zusammengekommen waren. Normalerweise bemühte sich kein Wachtmeister wegen eines einzelnen Gefangenen über den Hof ins Revier, zumal aus dem Zellenbau mit den Langstrafern sowieso keiner arbeiten durfte und es von daher auch nicht so wichtig war, ob einer nun gleich behandelt wurde oder noch warten konnte, ja auch ruhig noch warten sollte. Es gab keine klaren Anordnungen wie mit den Krankmeldungen Gefangener im einzelnen zu verfahren sei.

      Das blieb grundsätzlich dem Gutdünken des einzelnen Schließers überlassen.

      Am andern Morgen, der dumpfe bohrende Schmerz am Zahn hatte nicht nachgelassen, sich eher verschlimmert, und so sprach Sebastian auch in der Zelle davon und tippte dabei mit dem Fingernagel gegen den Zahn.

      „Seit wann denn?“, fragte der Arzt.

      „Seit gestern“, antwortete Sebastian. „eigentlich seit vorgestern“, setzte er dann zögernd hinzu.

      „Wie kommt’s denn?“ Der Arzt sah ihn fragend an.

      „Ist draußen schon mal aufgebohrt worden. Ich war in Behandlung, als ich abgeholt wurde.“

      „Zeig mal her? Welcher Zahn?“

      Sebastian sperrte den Mund auf und tippte dabei wieder mit dem Fingernagel gegen den Zahn.

      „Merkst du dabei was?“, fragte der Arzt.

      „Nö“, sagte Sebastian.

      „Puckerts oder ziehts?“

      „Nee, puckert nicht. Wird wohl’n Marmeladenkern sein.“

      „Ja, wahrscheinlich“, nickte der Arzt. „Ist nur eine Kleinigkeit. Lass dir den Zahn gleich zumachen, sonst passiert’s wieder.“

      Bei der Morgenzählung meldete Sebastian sich zum Zahnarzt.

      Der Schließer notierte das.

      „Hoffentlich bald“, mischte der Arzt sich ein, „es ist wirklich dringend.“

      Doch nichts geschah und Sebastian konnte sich erst am nächsten Tag wieder zum Zahnarzt melden.

      „Wie gehts dem Zahn?“, fragte dann gleich am Morgen Sedlmayr.

      „Es zieht ganz schön, vor allem wenn Luft dran kommt.“

      Der Arzt schüttelte den Kopf. „Das ist nicht so gut“, sagte er. „Unterm rechten Auge ist eine leichte Schwellung zu erkennen.“ Er stand vor Sebastian und drückte den Zeigefinger leicht dagegen. „Kann man deutlich spüren“, bestätigte er.

      Bei der Morgenzählung erinnerte Sebastian den Schließer an seine gestrige Meldung. „Ich habe ziemliche Zahnschmerzen“, sagte er mit Vorwurf in der Stimme.

      „Ich hab’s weitergegeben“, rechtfertigte der Schließer sich, „mehr kann ich nicht tun“, und er notierte die Meldung zum Zahnarzt erneut.

      Doch wieder geschah nichts.

      Sebastian beschwerte sich am nächsten und übernächsten Morgen, doch es passierte nichts.

      Ein anderer Schließer notierte die Meldung und wieder ein anderer, doch ohne Reaktion.

      „Der Zahn ist in der Wurzel entzündet“, schaltete auch der Arzt sich bei der Zählung wieder ein. „Wenn hier nicht bald ein Zahnarzt eingreift, ist der Zahn verloren.“

      Sebastian plagten inzwischen sehr starke Schmerzen. Die Wange schwoll an, bis sie ihn schließlich total entstellte.

      Die Wachtmeister sahen das natürlich bei der Zählung, aber auch geflissentlich darüber hinweg.

      Und so dämmerte es Sebastian wie auch den anderen in der Zelle allmählich, dass hier möglicherweise böse Absicht im Spiele war. Eigentlich, meinte Sebastian, hätte ihnen das schon eher auffallen müssen, aber er und auch die anderen СКАЧАТЬ