Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August
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Название: Auf der anderen Seite der Schwelle

Автор: Raimund August

Издательство: Автор

Жанр: Короткие любовные романы

Серия:

isbn: 9783957448019

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СКАЧАТЬ entfuhr es dem Arzt.

      „Hier darf dir nichts Schlimmeres passieren“, ließ der Bezirksmeister im Mittelgewicht sich vernehmen. „Die lassen dich glatt verrecken.“

      „Herzversagen“, sagte der Arzt, „wäre dann immer eine probate Erklärung.“

      Sebastian lachte. „Probat ist richtig“, sagte er und hob die Schultern. „Wenn du tot bist, hat natürlich das Herz versagt …“

      „Die seh ’n doch wie du aussiehst, blind sind die nicht“, wandte sich der sonst eher zurückhaltende Siegfried empört an Sebastian. „Das kann doch wirklich nur Absicht sein. Eine Riesensauerei! Wo leben wir eigentlich? Da musst du schon froh sein, wenn du überhaupt überlebst. Das ist offensichtlich alles andere als eine Selbstverständlichkeit.“

      Sebastian stand da, hielt sich mit der linken Hand an einem Bettgestelle fest und drückte die rechte Handfläche gegen die hochgeschwollene Wange. Ein starker Dauerschmerz quälte ihn.

      „Den Zahn bist du los, der muss raus“, erklärte der Arzt.

      Sebastian war es inzwischen egal ob da ein Eckzahn fehlte oder nicht, wenn er nur erst mal die Schmerzen los werden würde.

      Der Arzt stand vor ihm und wiegte den Kopf. „Irgendwie muss der Eiter ja raus …“

      „Bloß wie?“, fragte Sebastian und bemerkte, dass ihm der geschwollenen Wange wegen das Sprechen schwerfiel. „Kann diese Vereiterung denn gefährlich werden?“

      „Ja“, sagte der Arzt, „wenn Eiter in die Kieferhöhle dringt … Nasenhöhle, Stirnhöhle, selbst die Augenhöhlen, alles hängt ja zusammen. Notfalls“, fuhr er fort, „notfalls könnte ich mit dem relativ scharfen Messer zum Brotschneiden den Abzeß öffnen. Das würde aber auch nur sehr vorübergehend helfen.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß was anderes“, sagte er nach kurzem Nachdenken und hob dazu die Hand. „Wie wär’s mit Hungerstreik? Das müssen die nach oben melden und nach drei Tagen nach ganz oben. Schließlich hast du als junger Kerl einen Wert als Arbeitkraft. Wenn auch nicht jetzt, aber vielleicht in einem oder zwei Jahren … Das ist denen da oben nicht gleichgültig wie dem Kommandoleiter hier. Offiziell hast du ein Recht auf die Behandlung durch einen Zahnarzt. Und außerdem“, fuhr Sedlmayr fort, „protestierst du mit dem Hungerstreik ja nicht gegen die DDR, die Politik der Partei, ja nicht mal gegen dein Urteil, sondern nur für dein Recht auf Behandlung durch einen Zahnarzt.

      Das ist es!“ Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Darauf hätte ich auch gleich kommen müssen“, sagte er. „Man ist hier im Schädel schon richtig blockiert“, schimpfte er vor sich hin.

      Vor der Ausgabe des Frühstücks gleich am nächsten Tag, erklärte Sebastian seinen Hungerstreik. „Sie sehen ja wie ich aussehe“, sagte er zum Schließer. „Ich verlange einem Zahnarzt vorgestellt zu werden.“

      So einen entschlossenen Ton hatte der Schließer nicht erwartet, das sah man ihm an. Er bequemte sich dann aber doch schweigend dazu, diese Meldung in seiner Kladde zu vermerken, zumal Sebastian bereits die Annahme des Frühstücks verweigert hatte. Andererseits konnte der aber schon auf Grund des vereiterten Kiefers kaum etwas essen.

      Doch bereits am Nachmittag, als er zuvor auch die Annahme der Spinatsuppe verweigert hatte, wurde er aus der Zelle geholt: „Sebaldt zum Zahnarzt!“

      „Na also, warum nicht gleich so“, sagte er und zog sich seine Holzschuhe an.

      Unten am Ausgang vor dem Kommandoleiterzimmer standen bereits vier weitere Häftlinge, zwei zum Arzt und zwei zum Zahnarzt.

      Auf gings dann unter Führung eines Wachtmeisters in den klobigen Holzschuhen über den kopfsteingepflasterten Hof zum Krankenrevier. Dort mussten sie im Kellerflur warten, bis sie einzeln aufgerufen wurden.

      Über den Zahnarzt hatte Sebastian vom Kalfaktor erfahren, dass der schon als Kriegsgefangener zehn Jahre beim Russen gesessen hatte, zu 25 Jahren verurteilt, dann aber vorzeitig in die DDR überstellt worden war.

      Schließlich sah er ihn, als er den Behandlungsraum betrat: Ein kleiner Mann Mitte sechzig, schütteres dunkelblondes Haar und eine Brille mit kreisrunden Gläsern.

      Der forderte ihn auf, im Behandlungsstuhl Platz zu nehmen und schüttelte den Kopf, als er des entstellten Gesichts ansichtig wurde. „Warum kommst du denn erst jetzt?“, fragte er vorwurfsvoll.

      „Na, weil die mich nicht eher hergelassen haben. Ich war immerhin im Hungerstreik, nur deshalb sitze ich jetzt hier.“ Er sprach etwas gedämpft, sodass der Schließer an der Tür es nicht verstehen konnte.

      Der Zahnarzt nickte. „Das machen die des öfteren so“, sagte er abschätzig und ebenso gedämpft mit kurzem Blick zum Wachposten. Dann sah er sich die Geschwulst an. „Das ist dir wohl klar“, sagte er, „der Zahn muss raus.“ Eine Spritze funkelte in seiner Hand und schon saß die Nadel im Oberkiefer neben der Geschwulst.

      „Da ist aber Eiter drin“, bemerkte Sebastian etwas verunsichert, als der Zahnarzt die Spritze beiseite gelegt hatte.

      „Ach ja …“, sagte der und Sebastian meinte ein kurzes Zögern bemerkt zu haben. Vom Zahnziehen allerdings bemerkte er nichts Die Untereiterung schien den Zahn im Kiefer schon stark gelockert zu haben. Diesen Eiter spürte er nun im Mund und spuckte ihn in eine Emailleschüssel. Eiter und ein wenig Blut, wie er feststellte.

      Ob das mal gut war, das mit der Spritze, überlegte er noch, als er vom Schließer bereits wieder in den Kellerflur gebracht worden war. Irgenwo hatte er mal gehört oder gelesen, dass Eiter nicht in die Blutbahn geraten dürfe. Im Kellerflur konnte man nur stehend warten bis die andern auch verarztet worden waren. Sebastian horchte in sich hinein … doch noch bemerkte er gar nichts. Womöglich ist es wirklich nicht so schlimm. Mit der Zunge ertastete er ein großes Loch und natürlich Blut. Der Eiter war jedenfalls raus.

      Dann ging’s für den Trupp der vier Gefangenen wieder zurück über den Hof in den Zellenbau.

      Als Sebastian dann vor allem dem Arzt vom Zahnziehen berichtete und dabei die Spritze erwähnte, wurden seine leisen Bedenken dramatisch bestätigt.

      „Was sagst du, eine Spritze?“

      „Ja.“

      „Der muss nicht ganz bei Trost gewesen sein! Wirklich eine Spritze?“, fragte er noch einmal und sah dabei Sebastian eindringlich an, dem nun doch klar wurde, dass etwas passiert sein musste.

      „Ja“, sagte er, „neben dem Zahn in den Kiefer …“

      „Das hat natürlich geblutet.“

      „Ja klar, ein bisschen mit Eiter“, bestätigte Sebastian.

      „Das kriegen wir schon hin“, beschwichtigte der Arzt. „Gebt mal alle eure Decken her“, wandte er sich an die anderen in der Zelle und die folgten etwas verschreckt dieser Aufforderung. „Du wirst jetzt bald hohes Fieber kriegen“, wandte er sich wieder an Sebastian, „und einen mächtigen Schüttelfrost“, fügte er hinzu. „Du legst dich jetzt gleich auf dein Bett und ziehst dir zuvor Hemd und Hose aus.“

      „Warum das Hemd?“, fragte Sebastian.

      „Weil du gewaltig schwitzen wirst.Wir packen dann alle Decken auf dich.“

      „Warum das, wenn ich sowieso schwitzen werde?“

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