Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August
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Название: Auf der anderen Seite der Schwelle

Автор: Raimund August

Издательство: Автор

Жанр: Короткие любовные романы

Серия:

isbn: 9783957448019

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СКАЧАТЬ sagte der Arzt, „das blieb nicht aus.“

      „Du warst aber kein Überzeugter?“, fragte Sebastian.

      Sedlmayr pustete durch die Lippen. „Was ist das schon, überzeugt …?“

      „Du hattest also nur ’n guten Posten im Sinn?“

      Sedlmayr zuckte mit den Schultern. „Wenn du’s so nennen willst?“

      Sebastian stand dort vor dem Arzt, der auf seinem Hocker saß und winkte ab.

      „Ich kann in dieser Richtung sowieso nichts nachvollziehen“, sagte er. „Aber für zwölf Jahre muss man dir schon was angehängt haben.“

      Über das Gesicht des Arztes huschte wieder ein Lächeln. „Ja natürlich“, sagte er, „staatsfeindliche Nachrichtenübermittlung.“

      „Nicht Artikel 6?“, wunderte Sebastian sich.

      „Na klar, Artikel 6! Was anderes gibt’s doch gar nicht.“

      „Was haste denn da für staatsfeindliche Nachrichten übermittelt? Ich hab’ so was überhaupt noch nie gehört. Nachrichtenübermittlung? Und nicht Arbeit für einen westlichen Nachrichtendienst?“

      Der Arzt schüttelte nur den Kopf.

      „Aber Nachrichtenübermittlung … Was heißt denn das? Was hast du da wem übermittelt?“

      „Tja, wie schon gesagt, über die Lage unseres Gesundheitswesens. Die Mangelwirtschaft in Gesprächen mit westlichen Partnern, aber außerhalb der offiziellen Verlautbarungen.“

      „Also du hast denen bloß die Wahrheit gesagt?“

      „Na ja, die Schönrednereien, das ist mir einfach zu sehr auf den Geist gegangen.

      Aber natürlich gilt das als Staatsgeheimnis“, fügte er hinzu. „Schließlich ist das hier alles nicht vergleichbar mit dem Westen. Das soll aber niemand wissen, denn das Gesundheitswesen der DDR wird ja immer ganz groß herausgestellt.

      Und meine Gespräche im Westen, also ich hab’ mit der Situation hier nicht hinterm Berg gehalten, hat man mir bei Gericht als Verrat angelastet. Ich hätte damit dem Klassenfeind bedenkenlos in die Hände gespielt und so weiter und so fort …“

      „Woher wussten die das?“, fragte wieder Siegfried. „Da hat dich doch einer angeschissen …“

      „Die da im Westen sind naiv, das hatte ich nicht genügend beachtet. Da haben welche meine Meinung weitergetratscht, natürlich ohne zu ahnen, welche Folgen das zumindest für mich haben konnte. Na ja, wir sehns ja jetzt.“

      „Aber du warst doch schon öfter drüben. Warum hast du da nicht schon was erzählt?“

      Sedlmayr lachte. „Stimmt“, sagte er, „aber wie es so schön heißt: Einmal ist immer das erste Mal.“

      „Wie konnten die dir bei der Stasi und vor Gericht die Anklage beweisen?“, fragte Siegfried.

      Sebastian schüttelte den Kopf. „Na sag mal, so doof kannst du doch nicht sein.

      Die müssen dir doch nichts beweisen. Du musst denen beweisen, dass ihre Anklage nicht stimmt. Doch das gelingt kaum jemandem. Versuch das mal bei der Stasi. Nach tagelangem Schlafentzug weißt du nicht mehr, was du eigentlich wolltest …“

      „Da ist schon was dran“, meldete der Ex-Bezirksboxmeister im Mittelgewicht sich nach längerem Schweigen zu Wort. „Ihre Unterstellungen, ganz gleich ob bei der Stasi oder vor Gericht, werden dort zu Feststellungen. Da bist du ganz einfach machtlos, vor allem bei so politischen Geschichten. Das nennt sich die ‚Neue Justitz‘ und da hat man die alte reaktionäre rechtliche Regel: ‚Im Zweifelsfalle immer zu Gunsten des Angeklagten‘, auf den ‚Misthaufen der Geschichte‘ geworfen, wie sie das nennen.“

      Sebastian stieß sich vom Bettpfosten ab, gegen den gelehnt er gestanden hatte.

      „Das alles erinnert so’n bisschen ans Mittelalter“, sagte er, „also wie bei den Hexenprozessen damals: Da wurdest du in einem zugebundenen Sack ins Wasser geworfen. Dem Gottesurteil unterwerfen nannten die das damals. Wenn du abgesoffen warst galt das als Beweis deiner Schuld. Hattest du’s aber, kaum vorstellbar, überlebt, das soll ja sogar vorgekommen sein, warst du mit dem Teufel im Bunde. Wieder ein Beweis deiner Schuld. Was ist denn heute hier im Prinzip anders?“, fragte er mit ausgebreiteten Armen und sah sich dazu in der Zelle um.

      Sedlmayr nickte zustimmend. „Überbordende Bürokratien“, sagte er, „unübersichtlich und undurchschaubar für den Bürger sind aber auch schon eine moderne Form von Willkür. Das kann in jeder Demokratie geschehen.“

      „Du meinst auch im Westen?“

      „Ja“, sagte Sedlmayr lächelnd. Dann zitierte er: … „nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss“, und blickte sich dazu in der Zelle um. „Na“, fragte er, „von wem ist das?“

      „Schiller!“, ließ Martin Schüler, der Ex-Boxer, sich vernehmen.

      „Setzen! Eins!“, sagte Sedlmayr.

      „Danke, danke …“, antwortete Martin lächelnd. „Aber noch mal zum Mittelalter und den Hexenprozessen. Bei dem, was ich inzwischen gehört habe sind wir wirklich nicht viel besser dran als die armen Menschen damals. Und ich habs wie auch viele andere an mir selbst erlebt. Mein Vater ist Facharbeiter, ich auch, bin Elektriker. Das alleine heißt aber nicht immer was im Arbeiter- und Bauernstaat. Jetzt sitze ich hier als Totschläger und muss noch froh sein, dass sie mich nicht zum Mörder gemacht haben.“ Dazu lief er im schmalen Gang zwischen den Betten langsam auf und ab, drei Schritte hin, drei zurück und blieb wieder stehen. „Dabei wissen die, dass das kein Totschlag, sondern ein Unglücksfall war.“

      „Du bist ein guter Boxer“, warf Sedlmayr, der Arzt, von seinem Hocker aus ein.

      Bezirksmeister im Mittelgewicht, das ist doch schon was, aber du hast dich damit auch überschätzt. Bei uns hier in der DDR“, sagte er, „da gehts doch nicht primär ums Können, in der Hinsicht sind die meisten führenden Genossen, wo auch immer, die reinsten Luschen. Nein, nicht ums Können gehts, sondern ums Kennen. Und wenn du dann auch noch gut sein solltest und die richtigen Leute kennst und die hast du gekannt“, betonte Sedlmayr, „und ins politische Horn bläst, was du abgelehnt hast, beziehungsweise nicht wahrnehmen wolltest, kannst du dir vieles leisten. Andersherum kann dir’s aber auch gehen wie jetzt gehabt. Du hättest jedoch wissen müssen, dass ein guter Sportler hier halt nur Spitzensportler werden und damit ein Vorbild vor allem der Jugend sein kann, wenn er das hohe Lied der Partei singt. Und danach hast du dich eben nicht gerichtet. Du warst nämlich schon ganz schön weit, Bezirksmeister!“ Und der Arzt nickte bedeutungsvoll. „Das war ein Fehler von denen“, sagte er, „du hättest ohne ihre direkte Einwilligung gar nicht so weit kommen dürfen. Eine Menge Leute kannten dich schon. Du hattest Anhänger und Bewunderer, aber du hast nicht mitgemacht im Spiel: ‚Wes’ Brot ich ess’, des’ Lied ich sing’‘ und hast geglaubt, du könntest dir ohne da mitzusingen deine eigene Melodie pfeifen.“ Der Arzt schüttelte den Kopf. „Nee, mein Lieber“, sagte er, „da spielt es überhaupt keine Rolle, ob du gut und Arbeiter und Kind eines Arbeiters bist.

      Das ist doch alles bloß Mimikry. Du warst lediglich naiv und hättest eben auf öffentliche Auftritte verzichten müssen, also keine Beteiligung an Meisterschaften СКАЧАТЬ