Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Auf der anderen Seite der Schwelle - Raimund August страница 41

Название: Auf der anderen Seite der Schwelle

Автор: Raimund August

Издательство: Автор

Жанр: Короткие любовные романы

Серия:

isbn: 9783957448019

isbn:

СКАЧАТЬ hatte dann aber nie erklärt, weshalb und wieso das alles bei ihm so sei, also das mit der Intimität … Wie hätte er reagieren sollen, wenn sie ihm zum Beispiel, wie geschehen, unterstellten, er hätte ja noch nicht mal ’ne nackte Frau auch nur von weitem gesehen. Hätte er denen sagen sollen, dass ihm Intimität zu wichtig sei, um das auf einer Kneipen-Toilette oder einem Feldrain abzumachen? Die in den Zellen hätten ihn ausgelacht. In solchen Fällen lachte dann aber immer er und schüttelte dazu vielsagend den Kopf.

      Nun war es aber auch so, dass es in längst nicht allen Zellen, ja sogar in den wenigsten in die er immer wieder verlegt worden war, so zu ging, dass zum Beispiel mal ein älterer Zelleninsasse, der wegen Unterschlagung in einem volkseigenen Betrieb zu 8 Jahren verurteilt worden war, meinte ihm erzählen zu können, dass er im Krieg eine junge Polin gehabt hätte, die so geil und feucht gewesen sei, dass, als sie so auf dem Bette gelegen habe, aus ihrer Muschi ein feiner Strahl in hohem Bogen gegen das Fensterlicht zu erkennen gewesen sei.

      Sebastian hatte dann dazu wieder etwas gequält gelacht und es als bloßen Witz gewertet, sich andererseits aber auch ziemlich geärgert, dass man ihm so einen lächerlichen Unsinn zumutete. Doch er war nun mal immer und überall der Jüngste. Im Laufe der Jahre würde sich das ja von selbst ändern.

       Kapitel 18

      Irgendwann neigte sich auch sein zweiter Winter in Gefangenschaft dem Ende zu. Während der letzten Februartage bis Anfang März rasten draußen Frühlingsstürme als wilde Jagd übers kahle Land und rissen die Rauchfahnen von den Kaminen der Lauben in den Kleingärten hinter der Zuchthausmauer. Verstreute Schneereste leuchteten dort noch weiß auf dunkler Erde und braunem Rasen. Die nassen Dächer von Häusern im Hintergrund glänzten im Widerschein eines zerrissenen Himmels voller jagender Wolken … So betrachtete Sebastian durchs enge Gitterfenster den Anbruch des Frühlings. Noch fehlten dort alle Farben. Schwarz starrten die nackten Äste der Bäume in einen aufgerührten Himmel.

      Was wird das Jahr bringen? fragte Sebastian sich. Ob der Sommer sich wieder so verregnet zeigen würde? 1954, das zurückliegende Jahr … Was war das eigentlich gewesen? Abgesehen von seiner Verurteilung. Zuerst wie eine Betäubung.

      Im Rückblick erschien alles noch immer leicht unwirklich, aber doch genau. Er erinnerte sich an alles bis in die Einzelheiten. Der Protest im ganzen Zellenbau damals, als sie ganz neu dort eingezogen waren. Und die neu gestopften Strohsäcke. Die Fußballweltmeisterschaft natürlich. Kein so großes Thema anfangs unter den Gefangenen, auch weil sie einfach nichts erfuhren. Doch dann wurden vor allem die Schließer munter, die das Ganze ja am Rundfunkgerät verfolgen konnten und so erfuhren auch die Gefangenen vom Stand der Dinge. Natürlich drückten alle in den Zellen der westdeutschen Mannschaft die Daumen.

      Sebastian erinnerte sich noch gut daran wie die Schließer den Gefangenen gegenüber auf einen Sieg der ‚Volksdemokratie‘ Ungarn schworen und wie zum Schluss dann doch der Klassenfeind den Sieg davongetragen hatte: Fußballweltmeister Deutschland! Das war doch was.

      Die Staatsfeinde in den Zellen sollten sich allerdings nicht zu lange darüber freuen können. Sofort einsetzende Schikanen einzelner Schließer sorgten dafür: Und so wurden dann bei der nächsten Freistunde Gleichschritt und Turnübungen besonders streng exerziert. Und durch die Spione in den Zellentüren waren die Insassen dahinter vor den Schließern nicht sicher. Schon das bloße Sitzen auf der Bettkannte konnte Folgen haben. Die verdüsterten Mienen mancher Wachposten ließen nichts Gutes erwarten. Vom Arrest über Schreibverbot bis zur Besuchssperre stand den Gefangenen alles offen. Rückwirkend fand er dennoch, sei die Zeit wie ein Nichts vergangen. Dabei zog sich jeder einzelne Tag unendlich langsam dahin. Und im Rückblick gabs dann nur wenige Anhaltspunkte. Doch tagtäglich musste jede Sekunde, jede Minute, jede Stunde in stets wiederkehrenden Belanglosigkeiten durchlebt werden, die den Tag zerrissen und die Zeit stauten, um sie dann nur wieder träge dahinfließen zu lassen.

      Wenn Sebastian dabei an die noch vor ihm liegenden Jahre dachte hätte er eigentlich verzweifeln müssen. Doch seine Einsicht in die Janusköpfigkeit der Zeit schützte ihn gewissermaßen davor. Sich stets wiederholende Routineabläufe, denen er unterworfen blieb dehnten in der Wahrnehmung, das hatte er begriffen, die Minuten und Stunden der eben ablaufenden Zeit, während sie im Rückblick gerade deshalb verkürzt erschien. Dabei handelte es sich aber doch immer um ein und dieselbe Zeit. Die Stunden und Tage in steter Wiederkehr immer gleicher Ereignisse: Wecken, Zählung, Essen, Kübeln, Rundgang, Essen, Kübeln, Zählung, Einschluss … krochen also zäh’ dahin und rückblickend erschien dann ein Jahr wie im Augenblick vergangen. Ob aber die Qual des täglichen Einerlei durch den rückblickenden Eindruck von Zeitlosigkeit wirklich zu ersetzen war blieb dann wohl doch bloß so etwas wie eine psychische Fata Morgana. Aber ein jeder suchte halt Schutz vor dem Wegbrechen seiner ihm zugehörigen Zeit in erstarrender Monotonie.

      Nach der Verlegung nun auch des jungen ‚Buntspechts‘, war dafür ein Neuer mit seinem Deckenbündel vor der Brust in Sebastians Zelle eingezogen. Ein Arzt, Internist, wie sich bald herausgestellt hatte. Friedrich Sedlmayr, Anfang bis Mitte Vierzig schätzte Sebastian, war, soweit sich das seinen Auslassungen entnehnen ließ, im Gesundheitsbereich der DDR wohl so etwas wie ein höheres Tier gewesen. Viel war ihm darüber aber nicht zu entlocken. Verurteilt worden war er zu 12 Jahren Zuchthaus nach Artikel 6 der DDR-Verfassung. Seinen weiteren Erzählungen war zu entnehmen, dass er als sogenannter Reisekader medizinische Kongresse im Westen besuchen durfte. Offizielle Reisen von Funktionären und Wissenschaftlern in den Westen mussten stets von den entsprechend höheren Parteiinstanzen genehmigt werden.

      Sedlmayr sprach manchmal beiläufig auch von seinem Auto, einem weißen Wartburg-Cabrio, mit dem er, wie er erzählt hatte, auf der West-Autobahn einmal bei 150 Sachen von einem Porsche überholt worden war. Der Porsche-Fahrer, erzählte er weiter, habe seinen Wagen dann zurückfallen lassen, um den Wartburg interessiert zu betrachten, ihm kurz zuzunicken und wieder Gas zu geben. Sedlmayr lachte. „Da konnte ich dann doch nicht mithalten“, sagte er.

      „Wo ist denn dein Auto jetzt?“, konnte Sebastian es sich nicht verkneifen zu fragen.

      „Na weg“, antwortete der einst priviligierte Arzt, „beschlagnahmt als Tatwerkzeug.“, dazu lachte er wieder. „Ich habe damit niemanden umgefahren oder im Westen einen Unfall verursacht“, fügte er noch hinzu.

      „Tatwerkzeug? Welche Tat denn?“, wunderte Sebastian sich. „Ich dachte du durftest mit diesem Auto in den Westen fahren. Hast du jedenfalls gesagt.“

      „Stimmt ja auch“, bestätigte Sedlmayr, grinste leicht und lehnte sich auf seinem Hocker gegen die Wand zurück. In der Zelle war es kalt, einige hatten sich wieder ihre Decken umgehängt.

      „Aber 12 Jahre“, sagte Sebastian und wiegte dazu den Kopf. „Die haben dir Spionage angehängt oder?“

      Sedlmayr zuckte wieder leicht grinsend mit den Schultern. „Wenn man rüberfährt“, sagte er, „ist man dort nie alleine.“

      „Wie meinst ’n das jetzt?“, fragte Siegfried, der sich sonst ja selten einmischte.

      Sedlmayr sah diesen Siegfried an und schüttete leicht den Kopf. „Jeder wird dort beobachtet. Das ist doch kein Geheimnis. Du weißt nur nie wer’s gerade ist.

      Ich kam natürlich mit Westdeutschen ins Gespräch. Dazu war ich ja rübergefahren“, sagte er mit einer Handbewegung in den Raum. „Ich habe bei solchen Gelegenheiten neben fachlichem Austausch auch über die Situation unseres Gesundheitswesens gesprochen. Das konnte gar nicht ausbleiben. Aber im Ministerium, da hatte ich nicht nur Freunde“, fügte er nach einer Pause hinzu.

      „Und deswegen gleich zwölf Jahre?“

      „Ja, СКАЧАТЬ