Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August
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Название: Auf der anderen Seite der Schwelle

Автор: Raimund August

Издательство: Автор

Жанр: Короткие любовные романы

Серия:

isbn: 9783957448019

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СКАЧАТЬ Kapitel 16

      Eines Tages wurde der alte Sawatzky verlegt und Arno, der Sohn, blieb zurück.

      „Da wer’ ich mein Vadder kaum noch sehn“, kommentierte er die Trennung.

      Vom Kalfaktor erfuhr er, dass der Vater auf die andere Seite, also in eine der gegenüberliegenden Zellen verlegt worden war.

      Der Sohn winkte ihm durchs Fenster bei dessen täglichem Rundgang zu.

      Sebastian indes stieß sich am Wort „Verlegung“, als handelte es sich bei den Gefangenen nur um x-beliebige Gegenstände, die man dahin und dorthin legte und manchmal auch verlegte und nicht um lebende Menschen, mit ihren vielen differenten Schicksalen. Die Sprache, machte er sich klar, sagte schon viel über das Menschenbild eines politischen Systems.

      Zwei Tage später stand Martin mit seinem Bündel in der geöffneten Zellentür und bezog dann das Bett des alten Sawatzky.

      Martin Schüler erzählte auf Nachfrage, dass er von Beruf Elektriker sei und in Schwarzheide im Chemiekombinat gearbeitet habe. Verurteilt sei er wegen Totschlags zu zwölf Jahren Zuchthaus. „Ein Jahr ist ja schon rum“, sagte er grinsend. Als er bemerkte, dass alle ihn fragend ansahen, lachte er. „Na, mit Untersuchungshaft.“

      „Untersuchungshaft? So lange?“, fragte Sebastian erstaunt.

      „Die wollten mir ’nen Mord anhängen“, erklärte Martin Schüler.

      „Und deshalb auch die hohe Strafe für Totschlag?“, fragte Siegfried ein wenig unsicher.

      Der so Gefragte hob die Schultern und breitete ratlos die Arme aus. „Mein Anwalt hat auf Körperverletzung mit Todesfolge plädiert.“

      „Hatten die was gegen dich?“, fragte Sebastian.

      Martin nickte. „Könnte schon sein.“

      „Na wie’n Totschläger siehste nich gerade aus“, stellte Arno Sawatzky fest.

      „Richtig“, sagte Sebastian und die andern nickten. Keiner konnte sich vorstellen, dass dieser schlanke blonde Kerl mit dem intelligenten Gesicht jemanden absichtlich totgeschlagen haben sollte.

      „Wie is ’n das passiert?“, fragte wieder Arno Sawatzky.

      „Ich war Boxer“, antwortete Martin Schüler, „Bezirksmeister im Mittelgewicht …“

      „Und da haste Ee’ n nich bloß ko jeschlagen“, unterbrach Sawatzky den Boxer, „sondern gleich janz mausetot?“

      „Quatsch. Boxen ist doch ’n ganz normaler Sport. Nee“, fuhr Martin dann fort, „das war ganz anders. Zwei Kerle aus Schwarzheide, die ich kannte, hatten mich nach ’ner Tanzveranstaltung überfallen. Ich war alleine, als die mich als geilen Bock beschimpften und dann beide auf mich losgingen, der eine davon mit ’ner Latte in der Hand. Als der zuschlug, hatte ich mich weggeduckt. Angetrunken waren beide. Der Schlag ging vorbei, er stolperte über meinen Fuß und das hatte ihn mit dem eigenen Schwung umgeschmissen. Ehe der wieder auf die Beine kam, hatte ich den andern, einmal Leber, einmal Kinnspitze außer Gefecht gesetzt, wie ich glaubte. Der fiel auch gleich um. Der andere, der mit der Latte, rannte davon. Das war erst mal alles.“

      „Und der ko-Geschlagene blieb liegen?“, fragte Sebastian.

      „Ja natürlich. Man konnte da aber auch nicht gut sehen. Die Straßenlaterne stand ein Stück entfernt. Aber so was kannte ich ja auch. Der wird gleich wieder auf die Beine kommen, sagte ich mir.“

      „Und dann ist der nicht mehr aufgestanden?“, erkundigte Siegfried sich.

      Martin, der Boxer, nickte. „Richtig“, sagte er, „, damit hatte ich aber nicht rechnen können …“

      „Und was war dann mit dem ko-Gegangenen?“, unterbrach Sebastian den Boxer.

      „Der war tot, mit ’m Kopf auf ’ne Bordsteinkannte gefallen, doch so haben die mir’s beim Verhör nicht gesagt. Das Ganze ging aber schon am selben Abend los. Und wenn man’s richtig nimmt“, dazu winkte er ab, „schon seit Wochen.

      „Die beiden“, fuhr er nach kurzer Pause fort, „es waren da im Saal anfangs noch drei andere mit von der Partie gewesen, doch die beiden stänkerten schon den ganzen Abend. Und als dann bei der Damenwahl“, sagte er lachend, „gleich drei der schönsten Mädels mit mir tanzen wollten, waren vor allem die beiden Stänkerer ziemlich sauer.“

      „Det globe ick schon“, ließ Arno Sawatzky sich hören, „So ’n jutaussehender sportlicher Typus“, dazu wies er mit der Hand auf den jungen Bezirksmeister im Mittelgewicht, der dort gegen einen Bettpfosten gelehnt stand. „Klar, da waren die sauer, kann ick mir jut vorstellen. Und dann die Weibsstücke hinter dir her“, wandte er sich an den Boxer. „Und die Blödköppe haben an den Abend nischt abjekriegt.“

      „Beide waren FDJ-Funktionäre, hauptamtlich bei der Kreisleitung“, gab der Boxer zu bedenken. Und einer von denen, offizieller SED- Kandidat.“

      „Na da brauchste dir nich zu wundern“, trumpfte Sawatzky auf.

      „Und du warst kein FDJ-Mitglied?“, fragte Sebastian.

      „Doch, war ich. Wenn ich weiter boxen wollte, musste ich das. Ich hätte ja sonst schon gar nicht um die Bezirksmeisterschaft kämpfen dürfen.“

      „Sag’ bloß“. Sebastian blickte vom Schemel, auf dem er inzwischen saß, erstaunt zum Boxer hoch, der langsam und nachdenklich zwischen den Betten die wenigen Schritte auf und ab ging, schließlich bei Sebastian stehen blieb und nickte.

      „Klar“, sagte er dann, „Vor ’nem Kampf um die DDR-Meisterschaft“, das wurde mir lange im voraus mitgeteilt, „müsste ich mich schon um eine SED-Kandidatur bemühen.“

      „Kandidat?“, fragte Sebastian und wiegte den Kopf. „Also wenn du den Kampf verlierst, bleibst du weiter Kandidat und wenn du gewinnst, wirst du Parteimitglied …?“

      Martin, der Boxer, nickte wieder. „Durchaus möglich, dass das so abläuft, wenn ich mitgemacht hätte.

      Ohne Bewerbung um eine Partei-Kandidatur, hätte ich gar nicht erst bei ’ner DDR-Meisterschaft antreten dürfen.“

      „Ist denn das überall so? Ich meine auch bei anderen Sportarten?“

      „Weiß ich nicht. Ich denke schon, aber Ausnahmen wirds auch ’ne Menge geben. Das ist doch immer und überall so.“

      „Wieder diese beschissene Willkür“, schimpfte Siegfried mit etwas gedämpfter Stimme. „Auf nichts kannst du dich berufen, wenns drauf ankommt. Du bist immer im Unrecht, sitzt stets am kürzeren Hebel, bist unsicher und hast dauernd Angst.“

      „Den Sport beginnen die mächtig aufzublasen“, erklärte Martin. „Das soll wohl so was wie ein internationales Aushängeschild werden. Ich erinnere mich noch gut. Keiner hatte mir vorher was gesagt und plötzlich wurde ich fürs Training von der Arbeit freigestellt, sozusagen von jetzt auf gleich. Aber es stimmt schon“, fuhr er nach einer Weile fort und nickte nachdenklich. „Ich habe in der Kneipe öfter mal zu viel gequatscht.“

      „Du weißt aber, dass du immer beobachtet worden bist?“

      „Das СКАЧАТЬ