Название: Die jüdisch-christlich-islamische Kultur Europas
Автор: Wilhelm Kaltenstadler
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783957440730
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Noch relativ wenig bekannt sind Fälschungen, welche im 16., 17. und 18. Jahrhundert erstellt und ins Mittelalter zurückdatiert wurden. Von vielen Beispielen will ich nur ein besonders typisches herausgreifen, nämlich das Freisinger Kloster Weihenstephan, seit der Säkularisation Sitz der zweiten bayerischen Staatsbrauerei (neben dem Hofbräuhaus): Für Weihenstephan gibt es weder für das Kloster noch für die dortige Klosterbrauerei ein sicheres Gründungsjahr. Das offizielle Gründungsjahr von 1040, auf welchem die bekannte Werbeaussage „Weihenstephan – die älteste Brauerei der Welt“ basiert, ist „nicht belegbar“ und erscheint in einer Urkunde des Jahres 1146, „in welcher dem Kloster das Schankrecht verliehen“61 worden sein soll. Karl Gattinger hat diese Urkunde „als Fälschung des 17. Jahrhunderts“62 erkannt. Sichere Hinweise auf die Existenz von Klosterbrauereien (das gilt auch für nicht klösterliche Braustätten) finden sich in den Klosterchroniken „erst am Ende des Spätmittelalters“.63
Es stellt sich somit die Frage der europäischen Chronologie vor der päpstlichen Kalenderreform des Jahres 1582 Anno Domini. Trotz dieser päpstlichen Reform begann das gregorianische Jahr nach wie vor entweder am 1. März (dem ersten Tag des alten römischen Mondkalenders) oder am 25. Dezember, am Dreikönigstag oder je nach Region oder Religion an weiteren Tagen. Den Dreikönigstag feierte man bis in die neueste Zeit hinein in Bayern als „Großneujahr“ oder „Obristen Tag“. Erst 1691 deklarierte Papst Innozenz XII., der von 1691 bis 1700 regierte, den 1. Januar, den bereits Julius Caesar als Beginn des neuen römischen Sonnenjahres eingeführt haben soll, von Seiten der katholischen Kirche amtlich als Beginn des bürgerlichen Jahres. Bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wechselte also der Jahresbeginn sehr häufig.
Neben den eigentlichen Fälschungen von Urkunden und vergleichbaren rechtsrelevanten Quellen stellen Chronologiemanipulationen und –fälschungen ein besonderes Problem dar, welches sich auch auf die Bewertung der Antike auswirkt. Es ist denkbar, dass die Kalenderreform in Verbindung mit der Ablösung des julianischen durch den gregorianischen Kalender im Jahre 1582 nicht nur zu chronologischen Verzerrungen der Jahreszählung, sondern darüber hinaus zu weiteren Geschichtsmanipulationen geführt hat. Gabowitsch stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob das Altertum nicht eine Erfindung der Renaissance64 sei. Seine überspitzt formulierte Frage ist verständlich, wenn man bedenkt, dass man im Mittelalter zwar über die Bibel Bescheid wusste (zumindest die weltliche und geistliche Oberschicht sowie die Mitglieder der geistlichen Orden), dass man aber, von einigen Gelehrten abgesehen, so gut wie keinen Begriff vom Altertum hatte.
Man darf zudem davon ausgehen, dass die große Masse der Menschen noch bis ins 18. Jahrhundert hinein weit davon entfernt war, ein historisches Bewusstsein zu haben. Selbst wenn man Ereignisse der Antike und des Mittelalters als wahr und real akzeptiert, dann kann man nicht ausschließen, dass die diesen Ereignissen zugeordneten Datierungen unrichtig sind und unter Umständen sogar um Jahrzehnte und evtl. sogar um Jahrhunderte vom ‘richtigen’ Datum abweichen können.
Interessant ist folgendes: In einer Schützenscheibe vom 10.09.1786 zu Ehren der Geburt von Prinz Ludwig, dem späteren bayerischen König Ludwig I., ist ein Chronosticon mit römischen Zahlen eingebaut. Die Summierung dieser römischen Ziffern ergibt jedoch das Jahr 786, nicht 1786. Thomas Weidner65 deklariert die Jahreszahl 1786 als kleinen Fehler, „da das M von ‘palma’ aus Versehen nicht als Großbuchstabe gestochen wurde“. Es verwundert, dass der Fehler für ein so offiziöses Dokument erst viel später entdeckt wurde.
Höchst aufschlussreich ist auch die Tatsache, dass man im Vatikan und in Italien bis heute die Jahrhunderte ohne die Jahrtausendangabe zählt, also nicht mille quattrocento, sondern quattrocento für das 15. Jahrhundert. Erschwerend für die Ermittlung richtiger historischer Daten kommt noch hinzu, dass man in Ost- und Westrom bis ins hohe Mittelalter in der Regel nicht nach Monatsnamen (z.B. 5. Juli 1002), sondern nach den altrömischen Iden, Nonen und Kalenden, vielfach im Rahmen von Indiktionen66, gerechnet hat. Erstaunlich ist, dass nach Wikipedia erst der in Ostrom (Istanbul) herrschende Kaiser Justinian 537 den 15jährigen Indiktions-Zyklus im Rahmen der Novelle 47 einführte. Erst die Ottonen kombinierten die Jahreszählung nach Indiktionen mit der Anno-Domini-Chronologie (ab incarnatione domini, ab der Geburt des Herrn). Das gilt auch noch für Urkunden, welche der erste salische Kaiser Konrad II. bis 1033 ausstellte.67 Diese neuen Erkenntnisse zur altrömischen Indiktion lassen nach Manfred Neusel den Schluss zu, „dass karolingische Urkunden in ottonischer Zeit geschrieben oder datiert wurden.“68 Das würde den Kreis der echten karolingischen Urkunden weiter reduzieren.
In Verbindung mit der Frage der neuen gregorianischen Chronologie von 1582, welche ohne die neuen ‘arabischen’ Ziffern undenkbar wäre, ergibt sich die zentrale Frage, „wie und auf welche Art der alte Julianische Kalender über einen Zeitraum von über 1500 Jahren mitsamt seinen vielen Schaltjahren verwaltet worden ist.“69 Solche grundlegenden Fragen der Chronologie ließ die konventionelle historische Forschung bis heute unerörtert. Die nach der Kalenderreform von 1582 getätigten Chronologierekonstruktionen wie z.B. die von Scaliger bilden auch noch heute die Grundlage unserer Chronologie. Seitdem hat sich hier, wenn man von einem nicht konventionellen Forscher wie Morosov70 absieht, nichts wesentlich Neues getan.
Davidson hat als erster deutlich auf den höchst merkwürdigen Tatbestand hingewiesen, dass im Alten Testament die klassischen Autoren und Ereignisse der altgriechischen Geschichte und umgekehrt bei den klassischen griechischen Autoren das Alte Testament und die Ereignisse im alten Palästina keine Erwähnung finden. Auch bei Herodot, dem ‘Vater der europäischen Geschichtsschreibung’, konnte ich nichts finden, was auf die Existenz eines jüdischen Volkes und jüdischer Schriften hingewiesen hätte. Herodot berichtet zwar über Palästina, kennt aber dort keine Juden oder Hebräer, sondern nur Syrer im „palästinischen Syrien“.71 Die Griechen bezeichneten die Assyrer und Kappadoker anders als die Barbaren als „Syrier“ (Herodot I 72 und VII 63), die Perser die Syrier als Kappadoker (Herod. VII 72). Auch das arabische Küstengebiet wird von Syrern bewohnt (Herod. II 12). Sie gehören zur dritten persischen Satrapie und sind somit nicht autonom (III 90). Bei Herodot grenzt Ägypten an Syrien und die Phöniker leben in Syrien (Herod. II 116). Er berichtet allerdings über Phöniker und Araber („Königreich Arabien“ III 5) an verschiedenen Stellen. Ist es denkbar, dass er die Juden einem der drei semitischen Völker zurechnete und somit eine besondere Erwähnung nicht für nötig hielt?72 Selbst wenn dem so wäre, so verwundert, dass Herodot nicht auf die heiligen Schriften der Juden zu sprechen kam. Diese seltsame Nichterwähnung eines jüdischen Volkes (Juden, Hebräer) bei Herodot und anderen antiken Autoren versucht Shlomo Sand, Professor für Neuere Geschichte an der Universität von Tel Aviv, in seinem ursprünglich in Hebräisch verfassten Buch73 damit zu erklären, dass sich das Judentum „traditionell aus vielen religiösen Gruppen“ zusammensetzte und „erst im Laufe der zionistischen Geschichtsschreibung zur ‘Nation’ umgedeutet“ worden sei.74 Der Begriff der „Nation“, so wie Sand ihn deutet, ist allerdings ein rein politisches Konstrukt des nationalistischen 19. Jahrhunderts. Sand beachtet bei seinen Aussagen jedoch nicht, dass im Alten Testament die Juden mehrfach als „Gottesvolk“ und „auserwähltes Volk“ bezeichnet werden. Den religiösen Begriff des „Volk Gottes“ überträgt dann das Neue Testament zuerst auf die Judenchristen und dann allgemein auf alle Christen. СКАЧАТЬ