Название: Der Teufel von Köpenick
Автор: Horst Bosetzky
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955522100
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Natürlich verlor Heinz Franzke auch diesmal, wenn es auch bis zum 34. Zug dauerte, bis der Onkel sein »Matt, mein Lieber!« verkünden konnte, was Rekord war.
»Du verstehst es schon großartig, ein Spiel systematisch aufzubauen und dafür zu sorgen, dass die Figuren sich gegenseitig decken. Was dir aber noch fehlt, ist die Fähigkeit, strategisch zu denken, also mehr als zwei Züge im Voraus zu planen.«
»Ich setze mehr auf originelle Einfälle«, erklärte Heinz Franzke.
Und damit sollte er im nächsten Spiel Erfolg haben, als er sich absichtlich viele wichtige Figuren schlagen ließ, so dass sich der Onkel schon gar nicht mehr richtig konzentrierte und ihm prompt in die Falle ging. Der König seines Onkels stand so eingeklemmt, dass Franzke ein und denselben Zug unendlich wiederholen konnte, und das bedeutete, dass die Partie remis gewertet wurde.
»Herzlichen Glückwunsch, mein Junge!«, rief der Onkel. »Auf diese Leistung kannst du stolz sein. Bist erst dreizehn Jahre alt und ringst mir schon ein Remis ab. Walter, für mich ein Glas Sekt und für den Jungen … Ach was, der darf das auch mit einem kleinen Schluck begießen.«
Sie hatten gerade miteinander angestoßen, als ein maskierter Mann ins Lokal stürzte. Mit nur zwei Sätzen war er am Tresen und schrie: »Geld her – oder ich schieße!« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, jagte er eine Kugel in die Decke.
Walter Franzke hatte an der Front zu viele Gefechte erlebt, um auch nur für eine Sekunde die Contenance zu verlieren. Seine Gäste hingegen duckten sich, sprangen auf und hetzten zur Toilette oder warfen sich, wenn gar nichts anderes möglich war, zu Boden.
So auch Heinz Franzke. Er ging unter dem Tisch in Deckung, wagte es aber nach ein paar Sekunden, neugierig, wie er war, das lang herabhängende Tischtuch ein wenig anzuheben und zu beobachten, was sich weiterhin abspielte.
Seelenruhig hatte sein Vater in die Schublade gegriffen und ein Bündel Geldscheine hervorgeholt. Der Maskierte riss sie an sich und schien zufrieden zu sein.
Während er so dastand und einen Augenblick brauchte, um die Menge des Geldes abzuschätzen, bemerkte Heinz Franzke, dass der Mann dunkelbraune Sandalen trug und am rechten Fuß ein großes Loch in der beigefarbenen Socke hatte. Genau am großen Zeh. Und der sah komisch aus – dick und unförmig. Ein sogenannter Hammerzeh war das. Eine Cousine seiner Mutter litt schon seit Jahren darunter. Komisch, dass auch Männer so etwas hatten.
Der Räuber ließ seine Beute in einer Aktentasche verschwinden und lief auf die Straße hinaus.
Die Anspannung der Gäste löste sich. Alles schnatterte durcheinander. Einige machten sich an die Verfolgung.
Als würde ihn das alles langweilen, griff Walter Franzke zum Telefonhörer, um die Polizei zu verständigen.
Sein Bruder lief zu ihm hin und bedauerte ihn wegen des gestohlenen Geldes.
»Ach, Richard!« Walter Franzke lachte, als wäre die Szene eben nicht blutiger Ernst gewesen, sondern nur Teil eines Theaterstückes. »Man wird ja öfter mal überfallen, und für diese Anlässe habe ich mir einige gut gemachte Blüten verschafft. Falschgeld kostet ja nicht viel. Und wenn der Mann es ausgeben will, dann …«
Die Kriminalpolizei rückte an und fragte die Gäste, was sie beobachtet hätten. Auch Heinz Franzke kam an die Reihe. Er gab zu Protokoll, dass der Räuber am rechten Fuß einen Hammerzeh hatte.
Aufgrund dieser Angabe konnte der Mann schon am nächsten Vormittag gefasst werden, und ein Kriminalkommissar lobte Heinz Franzke: »Junge, du bist ja der geborene Kripomann, du musst später unbedingt zu uns kommen.«
»Nein, ich werde einmal Staatsanwalt, der steht ja über allen Polizisten.«
Drei
1932/33
Wir kennen weder den Familien- noch den Vornamen des Mannes, der im Februar 1932 durch die Neuköllner Straßen lief, wissen aber einiges über seine äußere Erscheinung: Er ist zwischen 25 und 30 Jahre alt, etwa 1,75 Meter groß, hat die kräftige und schlanke Figur eines Sportlers, mittelblonde und glatt nach hinten gekämmte lange Haare, ein markant längliches und knochiges Gesicht und spricht Hochdeutsch mit heller, weicher Stimme. Bekleidet ist er mit einer zweireihigen, gürtellosen Joppe mit schrägen Seitentaschen und einer langen dunklen Hose. In der rechten Hand trägt er eine abgewetzte braune Aktentasche.
So oder so ähnlich beschrieben ihn verschiedene Augenzeugen, und es besteht kein Zweifel, dass er tatsächlich existiert hat. Man nannte ihn Norbert N., abgeleitet von N. N., nomen nescio – den Namen weiß ich nicht.
Norbert N. arbeitet als Buchhalter in einer Fabrik in der Lahnstraße und biegt rechts in die Bergstraße ein. Unter der Ringbahn hindurch geht er in Richtung Hermannplatz. Er läuft immer schneller, damit ihm wärmer wird. Die U-Bahn hat zwar schon vor zwei Jahren den Bahnhof Neukölln erreicht, aber er will das Fahrgeld sparen, und weit ist es ja nicht bis zur Wildenbruchstraße. Er hat andauernd quälende Kopfschmerzen, und dort soll es einen Homöopathen geben, Ziemann mit Namen, der als wahrer Wunderheiler gilt. Die Adresse hat Norbert N. von einem Kollegen bekommen.
Als er an der Magdalenenkirche vorüberkommt, will er am liebsten eintreten und beten. Er mag das große Kirchenschiff mit seinen Inschriften: Jesus Christus, gestern und heute, derselbe auch in Ewigkeit in Richtung Osten und Ehre sei Gott in der Höhe nach Westen hin. Doch vergeblich drückt er die Klinke nach unten, die Tür ist verschlossen.
Auf der anderen Straßenseite sieht er das Geschäft »Musik-Bading« und überlegt einen Augenblick lang, ob er hinübergehen und nach einer neuen Schallplatte suchen soll. Nein, denn seine Kopfschmerzen werden immer stärker. Nur schnell weiter, vorbei an »Blumen Jette«, der Hohenzollern-Apotheke, der Bickardt’schen Buchhandlung, dem Eisenwaren- und Haushaltsgeschäft von Gustav Kießling und »Koffer Panneck«.
Am Städtischen Lichtspielhaus Neukölln eilt er schnell vorüber. Kino ist Sünde. An der Passage hält er ein wenig inne und schaut hinein. Das Brückenquergebäude mit seinen Rundbogenfenstern ist zu jeder Jahreszeit ein Blickfang. Aber ansonsten … Norbert N. würde am liebsten alles abreißen, denn Gott hat den Menschen nicht geschaffen, damit dieser sich amüsiert, nein, er soll beten und arbeiten.
Hinter der Richardstraße ändert der Straßenzug seinen Namen, und auf den Schildern ist plötzlich Berliner Straße zu lesen. Eine Berliner Straße in Berlin hält er für albern, aber Rixdorf ist ja bis vor zehn Jahren eine eigene Stadt gewesen, früher nur ein Dorf, und von dem hatte eine große Straße nach Berlin geführt.
Nun beherrschen wuchtige Bauten das Bild. Links das Kaufhaus H. Joseph & Co., rechts das Amts- und das Rathaus, vorher an der Ecke Anzengruberstraße aber noch das Postamt.
Er überlegt kurz, ob er Briefmarken kaufen soll, lässt es dann aber, denn seine Kopfschmerzen werden immer ärger, und er fürchtet sich vor dem Anstehen am Schalter. Weiter. Je eher Ziemann ihn behandeln kann, desto besser.
Das Schaufenster des Photohauses H. Pogade lässt ihn kurz stehen bleiben. Einen Photoapparat hat er sich noch nicht leisten können. Wozu auch?
Angeekelt wendet er sich ab, als sein Blick auf ein Hochzeitsphoto fällt.
Der arme Mann, denkt er. Wieder einer, der einem Weib auf den Leim gegangen war.
Norbert N. hasst Frauen. Sie sind nur auf der Welt, um die СКАЧАТЬ