Der Teufel von Köpenick. Horst Bosetzky
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der Teufel von Köpenick - Horst Bosetzky страница 3

Название: Der Teufel von Köpenick

Автор: Horst Bosetzky

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783955522100

isbn:

СКАЧАТЬ warten noch eine halbe Stunde, dann suchen wir ihn!«

      Emma Lüdke dachte das, was sie in diesem Falle immer dachte: Womit habe ich das nur verdient?

      Als Zweijähriger war ihr Bruno von einem Leiterwagen gefallen und hart mit dem Hinterkopf auf das Kopfsteinpflaster aufgeschlagen. Der Arzt hatte von einer Gehirnerschütterung gesprochen, und nach ein paar Tagen war Bruno auch wieder so munter gewesen wie früher, doch irgendetwas musste in seinem Kopf kaputtgegangen sein, denn von nun an blieb er in allem, was mit dem Denken und Sprechen zu tun hatte, deutlich hinter den Kindern seines Alters zurück. Vor allem war er zu langsam. Brauchten andere fünf Sekunden, um herauszufinden, was zwei mal zwei ergab, waren es bei ihm fünf Minuten, und es konnte vorkommen, dass dann auch noch eine Fünf auf seiner Schiefertafel stand. So kam es, dass er das Klassenziel der sechsten Klasse mehrfach nicht erreichte und auf die Hilfsschule musste.

      Ob Otto und Emma Lüdke dieses Kind liebten? Nein, sicher nicht, aber nie wären sie auf den Gedanken gekommen, ihren Bruno in ein Heim zu geben. Es war so, wie es war. Er gehörte zu ihnen, und es war ihre Pflicht, ihn durchs Leben zu bringen. Nie würde er in der Lage sein, die Wäscherei zu übernehmen, wenn sie einmal aufs Altenteil gingen, aber nützlich machen konnte er sich allemal. Es musste halt gehen. Irgendwie. Sie wussten, dass es Leute gab, die nicht bei ihnen waschen ließen, weil sie fürchteten, Bruno würde bei ihnen auftauchen. Dafür aber gab es andere, die aus Mitleid mit ihnen ihre schmutzige Wäsche in die Grüne Trift brachten. Es glich sich also wieder aus.

      Natürlich konnten sie mit der Firma W. Spindler nicht mithalten, der »Anstalt zur chemischen Reinigung, Wäscherei und Färberei« drüben in Spindlersfeld, Deutschlands größtem Wäschereibetrieb. Aber dafür waren die gerade von der Schering AG geschluckt worden, während sie, Lüdkes, weiterhin Herren im eigenen Hause sein durften. Und so klein war ihr Betrieb nun auch wieder nicht. Die große Halle war streng in zwei Abteilungen gegliedert: Eine war die »unreine Seite«, die andere die »reine Seite«. Auf der Seite mit der schmutzigen Wäsche, wo es an den Bottichen und Trommeln giftig dampfte und wallte, waren vorwiegend Männer am Werke, auf der anderen, wo die Bett- und Tischwäsche durch die Mangel gedreht und geplättet wurde, beherrschten Frauen das Bild. Zusätzlich gab es die Halle, in der die Wäsche zum Trocknen aufgehängt wurde, und die große Wiese, auf der im Sommer die Stücke zum Bleichen ausgelegt wurden. Hinzu kamen der Fuhrbetrieb und das Büro, denn alle Geschäftsvorgänge mussten registriert sowie Einnahmen und Ausgaben penibel festgehalten werden. Dies war das Reich von Emma Lüdke, während sich ihr Mann vornehmlich um den Betrieb und die An- und Auslieferung der Wäsche zu kümmern hatte. Ihre wichtigsten Kunden waren Gaststätten, kleine Hotels und Pensionen, Belegkrankenhäuser, Arztpraxen, das eine oder andere Altersheim sowie mittlere Industrie- und Handwerksbetriebe, in denen das Tragen von Kitteln zur Pflicht gehörte. Der gewöhnliche Bürger hatte es in der Regel nicht so dicke, dass er seine Wäsche hätte weggeben können, und die Hausfrau zog einmal im Monat zur großen Wäsche nach oben in die Waschküche oder nach unten in den Keller, um mit Hilfe naher Verwandter für saubere Bettlaken, Tisch- und Taschentücher, Unterhosen und Unterhemden sowie Strümpfe und Socken zu sorgen. Höchstens Riesenteile wie Gardinen und Stores wurden in die Wäscherei gebracht.

      »Hat einer Bruno gesehen?«, fragte Emma Lüdke, nachdem eine Dreiviertelstunde vergangen war. Niemand hatte ihn gesehen, also gab sie Weisung, dass alle, die nicht unbedingt im Betrieb verbleiben mussten, ausschwärmen sollten, um ihn zu suchen, wobei die Planquadrate vorab festgelegt wurden.

      Otto Lüdke war der Bereich um den Kuhgraben und die Neuen Wiesen bis hin zum Müggelsee zugefallen, und er schwang sich aufs Fahrrad, um alles abzuklappern. Ob nun Instinkt oder Zufall, meistens war er es, der Bruno fand.

      Auch heute befürchtete er, dass sein Sohn wieder etwas anstellen würde. Alles harmlose Sachen, aber die Berliner regten sich gern darüber auf. Dabei war es doch eher so, dass die Leute Bruno gefährdeten und nicht Bruno die Leute. Ein Rentner hinten an der Nachtheide hatte schon gedroht, Bruno in Notwehr zu erschießen, wenn der es wagen sollte, sein Grundstück zu betreten.

      Bruno Lüdke liebte alle Tiere. Nicht die in den Ställen und Käfigen, sondern die im Wald und die auf den Feldern und Wiesen. Die brauchten nicht zur Schule zu gehen und mussten nicht jeden Tag dieselbe Arbeit machen. Die waren frei und konnten fliegen und laufen, wohin sie wollten. Sie durften alles, was ihnen in den Sinn kam, ohne dass jemand gemeckert hätte. Sie mussten nur aufpassen, dass sie nicht gefressen wurden. Deshalb wäre er auch gern ein Adler, ein Löwe, ein Elefant, ein Wolf oder ein Bär gewesen. An die wagte sich niemand heran. Auch an ihn, Bruno, wagte sich niemand heran. Weil er der Stärkste war.

      Heute war er aber kein Tier, heute war er ein Neandertaler. Das hatte ihm am Müggelsee ein Radfahrer hinterhergerufen, als der beim Ausweichen fast gestürzt wäre. »Ab in den Wald, du Neandertaler!«

      Pennigstorff hatte ihm erklärt, was ein Neandertaler war: einer unserer Vorfahren, der, mit Fellen bekleidet, in einer Felshöhle lebte und mit einer Keule durch die Wälder zog.

      Ein Fell hatte Bruno schnell gefunden – die alte Fuchsstola seiner Mutter. Als Keule diente ihm der abgebrochene Stiel einer Grabgabel. Felsen gab es am Kuhgraben nicht, so musste er sich seine Höhle aus Zweigen und Blättern bauen. Aber da drinnen zu hocken war langweilig, also zog er lieber los, um etwas zu erleben.

      Erst ging er durch die Straßen. Deren Namen wusste er nicht, da er die Straßenschilder nicht lesen konnte, von der Grünen Trift einmal abgesehen. Dennoch konnte er sie auseinanderhalten, denn die Bäume, Zäune, Straßenbeläge und Häuser waren immer ganz unterschiedlich. Noch nie hatte er sich verlaufen. Manchmal schnitzte er sich als Markierung in die Baumrinden ein Kreuz, ein Herz oder ein L.

      L. wie Lüdke, das hatte er sich eingeprägt. Auf diese Idee war er gekommen, als er seinen Vater einmal gefragt hatte, warum denn Wotan, ihr Schäferhund, gegen alle Bäume und Laternenpfähle pinkeln würde.

      »Der hinterlässt da seine Duftmarken, damit er wieder nach Hause findet.«

      Das hatte Bruno anfangs auch getan, doch spätestens nach einer Stunde war von seinem Urin nichts mehr zu sehen gewesen. Während der Suche nach seinen Spuren hatte er beobachtet, dass jemand ein Herz und ein paar Buchstaben in den Stamm geschnitzt hatte. Gar nicht so dumm, dachte er, das konnte er auch. Überhaupt, sein Taschenmesser war sein ganzer Stolz. Das hatte nicht nur zwei Klingen, eine kleine und eine große, sondern auch noch eine Nagelfeile und einen Schraubenzieher. Der ließ sich vielfach einsetzen.

      »Hörst du Idiot wohl auf damit, unser Namensschild abzuschrauben!« Ein Mann kam aus seinem Haus gestürzt und hetzte zum Zaun, um Bruno Lüdke zu vertreiben.

      Der sammelte in letzter Zeit Schilder jeglicher Art, und dieses Namensschild hier war besonders schön, oval und sicherlich aus Gold, so sehr glänzte es. Der Name war schön lang und hatte Buchstaben, die nach oben und unten weggingen.

      Herr Gollenberg riss den Gartenschlauch vom Boden, drehte den Hahn auf und richtete den Strahl auf Bruno Lüdke.

      Der freute sich anfangs über die Erfrischung, aber dann tat es in den Augen weh, und er machte, dass er weiterkam.

      Bruno Lüdke liebte kleine Kinder, und er spielte gern mit ihnen. Am liebsten Galopprennen, seit ihn sein Vater einmal mitgenommen hatte nach Hoppegarten. Das hatte er sich gemerkt, weil sich das so nach Hoppe, hoppe Reiter anhörte.

      Vor einem Grundstück spielten ein paar Kinder mit Murmeln.

      Bruno Lüdke blieb stehen, um ihnen dabei zuzusehen. »Ich auch mal!«

      Sie ließen ihn mitmachen.

      Als alle Murmeln ihm Loch waren, bot er ihnen an, Galopprennen mit ihm zu spielen. Dazu kniete СКАЧАТЬ