Der Teufel von Köpenick. Horst Bosetzky
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Название: Der Teufel von Köpenick

Автор: Horst Bosetzky

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежные детективы

Серия:

isbn: 9783955522100

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СКАЧАТЬ sie ihn angehimmelt und war ihm willig gefolgt – erst ins Heu, dann vor den Traualtar. Immerhin. Er konnte sich keine bessere Mutter für die vielen Kinder wünschen, die er zu zeugen beabsichtigte. Fünf waren es geworden, und Heinz war das jüngste. Außerdem war Ida die Schönste weit und breit gewesen, und auch heute noch kamen viele Männer ins »Heimatstübchen«, um sich den nötigen sexuellen Appetit für zu Hause zu holen. Daneben war Ida Franzke eine glänzende Köchin.

      Heinz hatte keine besonders enge Bindung zu seiner Mutter. Bei fünf Kindern konnte die Ration an Liebe und Zuwendung, die jeder Einzelne bekam, ohnehin nicht groß sein, aber er hatte das Gefühl, dass sie ihn geradezu hasste. Vielleicht lag es daran, dass er diese etwas überhebliche Art an sich hatte, diese Arroganz des Gebildeten allen dumpfen Menschen gegenüber, und seine Mutter verstand von Politik, Kunst und Kultur nur wenig, und die Briefe, die sie schrieb, wenn sie überhaupt welche schrieb, wimmelten von Fehlern. Die Glucke, die er sich immer gewünscht hatte, die wärmende und alles umfassende Mutter war sie auch nicht. Wenn sie ihn nur einmal so gestreichelt hätte wie ihre Katze oder ihren Hund!

      Dabei versuchte er durchaus, der Mutter zu gefallen, indem er viel im Haushalt half und das erledigte, wozu sie keine Zeit mehr fand, zum Beispiel Jagd auf die Getreidekäfer zu machen, die sie seit kurzem in der Küche hatten. Wenn die Beamten vom Lebensmittelaufsichtsamt die bei ihnen entdeckt hätten, wäre sicher der Teufel los gewesen, und womöglich hätte man die Schließung des »Heimatstübchens« angeordnet.

      Franzke nahm sich eine Lupe und ging auf die Jagd. Die Käfer waren etwa drei Millimeter lang und so schmal wie ein dicker Bleistiftstrich. Wenn sie entdeckt wurden, dann stellten sie sich häufig tot, und oft hatte er schon ein Teeblatt zerdrückt und in seiner Liste vermerkt. Darum also die Lupe. Immer auf der Suche nach Brotkrümeln, aber auch Nusssplittern, wie sie in der Schokolade steckten, streiften die Tierchen umher. Riss er die Schranktüren auf, verharrten sie entweder und hofften, für einen toten Gegenstand gehalten zu werden, oder aber sie krabbelten los und flitzten in Richtung irgendeiner Ritze. Aber bevor sie ihm entkommen konnten, hatte er sie bereits mit dem rechten Zeigefinger erwischt und genüsslich zerquetscht. Es war ein lustvolles Gefühl, die Welt von Ungeziefer zu reinigen. Ein jeder Käfer ergab einen Strich auf seiner Liste. Sein Rekord lag bei dreißig Stück am Tag, und er hoffte, noch auf fünfzig zu kommen. Sie mussten irgendwo hinter den Schränken ein Nest haben, jedenfalls fehlte es nie an Nachschub. Manchmal ließ er, obwohl es ihm schwerfiel, einen Tag verstreichen, um dann am nächsten eine größere Ausbeute zu haben.

      »Morgen kommt der Kammerjäger«, sagte sein Vater.

      »Nein, bitte nicht!« Franzke fürchtete um den Verlust seiner Lieblingsbeschäftigung. »Ich schaff das schon alleine.«

      Das war zu einer Zeit, als er Joseph Fouché, den französischen Polizeiminister, bewunderte. Der war 1793 nach Lyon geschickt worden, wo es einen Aufstand gegen die neuen Herren gegeben hatte. Man wollte den König wiederhaben. Um die Gegenrevolution niederzuschlagen, ließ Fouché an die 1600 Todesurteile vollstrecken und bekam dafür den Namen mitrailleur de Lyon, der Schlächter von Lyon.

      Das imponierte Franzke. Man musste alles ausmerzen, was die Ordnung störte. Diese Gedanken bewegten ihn auch, als er in der Zeitung las, dass in der Gegend um den Schlesischen Bahnhof herum, insbesondere im Luisenstädtischen Kanal, immer wieder Leichenteile gefunden wurden. Ein Frauenmörder trieb dort sein Unwesen. Mit seinen Freunden Werner Rosinski und Lothar Lemke diskutierte er das lang und breit.

      »Wer kann so was nur machen?«, fragte Werner Rosinski.

      »Ich war es nicht!«, antwortete Lothar Lemke.

      »Doch, dein Opa wohnt ja in der Koppenstraße, und da fährst du immer hin.«

      »Nein, geht nicht«, warf Franzke ein. »Es heißt ja, dass die Leichenteile immer nachts ins Wasser geworfen werden, und da liegt Lothar bestimmt zu Hause in seinem Bettchen. Aber vielleicht war es ja sein Opa.«

      »Du kriegst gleich ein paar gescheuert!«, rief Lothar Lemke.

      Werner Rosinski war immer knapp bei Kasse und hätte gern durch die Ergreifung des Täters sein Taschengeld ein wenig aufgebessert. »Ist denn ’ne Belohnung ausgesetzt?«

      Franzke schüttelte den Kopf. »Nein. Aber die Kriminalpolizei, das ist ja sowieso nur ein Haufen von Stümpern. Seit Jahren finden sie nun schon Leichenteile, und noch immer haben sie den Kerl nicht gefasst. Dabei ist die Sache doch ganz einfach: Man braucht nur Polizisten als Lockvögel am Schlesischen Bahnhof herumlaufen zu lassen.«

      »Das fällt doch auf«, wandte Lothar Lemke ein. »Spätestens dann, wenn der denen an die Wäsche will.«

      »Mensch, dann haben sie ihn doch!«, rief Werner Rosinski. »Ob wir uns nicht auch verkleiden können?«

      Sie überlegten ernsthaft, wie sie das anstellen konnten, und wären womöglich auch ausgezogen, den Lustmörder zur Strecke zu bringen, wenn die Polizei nicht am 21. August 1921 Karl Großmann verhaftet hätte, die »Bestie vom Schlesischen Bahnhof«.

      Eine wichtige Bezugsperson für Heinz Franzke war sein Onkel Richard, Richard Franzke, von Beruf Staatsanwalt. Schon sein Äußeres war furchteinflößend. Auf dem massigen Körper, weit über einhundert Kilo wog er, saß ein Schädel von Kürbisgröße, kahlgeschoren und glänzend wie eine Billardkugel. Durch die dicken Gläser seiner schwarzen Hornbrille wurden die dunkelbraunen Augen derart vergrößert, dass die Angeklagten das Gefühl hatten, bis in den letzten Winkel ihrer Seele und ihres Gedächtnisses durchleuchtet zu werden. Aber nicht nur durch diese Wucht wurden sie eingeschüchtert, sondern ebenso durch die schneidende Stimme Richard Franzkes und seinen scharfen Verstand. Nicht zufällig war er ein blendender Schachspieler und hatte seinem Verein bei Wettkämpfen schon viele Punkte eingebracht. Wäre er von seinem Beruf nicht aufgefressen worden, hätte er es, so sagte man, durchaus zum Großmeister bringen können.

      Als Junge genoss es Heinz Franzke, mit seinem Onkel, wenn der sich einmal vom Dienst freimachen konnte, am frühen Abend hinten in der Gaststube zu sitzen und Schach zu spielen. Ins Wohnzimmer durften sie nicht, da der Onkel Zigarre rauchte und Ida Franzke um ihre Gardinen fürchtete.

      Zum Aufwärmen kam er dem Jungen ein jedes Mal mit einer Denksportaufgabe. »Welches sind die größten Philosophen des Abendlandes?«

      Heinz Franzke musste nicht lange nachdenken. »Aristoteles, Platon und Sokrates.«

      »Gut, mein Junge! Platon und Sokrates unterhalten sich. Sagt Platon: ›Sokrates’ nächste Behauptung wird falsch sein.‹ Antwortet Sokrates: ›Platon hat die Wahrheit gesagt.‹ Na, Heinz, was sagst du als großer Logiker, wer hat recht?«

      »Das kann man nicht entscheiden, das geht einfach nicht, das ist wie die Quadratur des Kreises.«

      »Richtig, das nennt man eine Paradoxie.« Der allmächtige Onkel war zufrieden. »Nun aber zu unserer ersten Schachpartie! Möchtest du lieber Weiß, wo du die Initiative ergreifen kannst, oder Schwarz, wo du nur reagieren musst?«

      »Weiß natürlich!«

      »Mutig, mein Junge, mutig! Soll ich dir die Dame vorgeben, oder soll ich auf meine beiden Türme verzichten, damit du auch mal eine Chance hast?«

      Heinz Franzke guckte böse. »Hör auf, mich zu beleidigen, sonst … Du weißt, wenn es zum Duell kommt, schieße ich viel besser als du.«

      Sein Vater hatte es ihm heimlich beigebracht. Man wusste ja nie, wozu es gut war.

      Der Onkel grinste. »Ich wollte ja nur einmal sehen, ob du auch wirklich standhaft bist. Ich könnte СКАЧАТЬ