Название: Der Teufel von Köpenick
Автор: Horst Bosetzky
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955522100
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»Einer ist jetzt der … der … der …«
Auf das Wort Jockey kam er nicht.
»… der … der … der Reiter.«
Karl-Heinz, blond und fünf Jahre alt, wagte es.
Doch kaum war er auf Brunos Rücken gekrabbelt, kam die Mutter aus dem Haus gelaufen. »Runter da! Und du …«, das war an Bruno gerichtet, »du lässt die Kinder in Ruhe, sonst …«
Bruno Lüdke ließ den kleinen Karl-Heinz wieder absteigen, richtete sich auf, griff sich seine Keule und lief weiter in Richtung Kuhgraben.
Ein Stückchen weiter kniete eine Frau, die viel jünger war als seine Mutter, in ihrem Gemüsebeet und zupfte Unkraut. Als Bruno genauer hinsah, kribbelte es in seinem Puscher, der ganz lang und steif wurde. Das passierte jetzt öfter, und er hatte Angst, dass er deswegen zum Arzt musste. Aber weh tat es ja nicht, wenn er da anfasste. Im Gegenteil, das war schön. Er fing an, vorn an ihm zu reiben.
Da entdeckte ihn die junge Frau, erschrak, sprang auf und schrie: »Hermann, da ist der Exhibitionist wieder! Komm mal schnell her!«
Bruno Lüdke wusste nicht, was das war, ein Ex … Ex …, aber dass es nichts Gutes sein konnte, hatte er am Klang des Wortes erkannt. Das waren seine Feinde, die Frau und ihr Mann. Also lief er los und verschwand kurz darauf im Wald.
Hier war er sicher, hier konnte ihm keiner was. Am besten, er setzte sich in ein Schiff und fuhr nach Amerika. Das konnte, seiner Meinung nach, nicht so weit weg von Köpenick sein, denn ein Onkel von ihm hatte neulich gesagt, er würde auch bald über den großen Teich gehen. Was ein Teich war, wusste Bruno, und der große Teich, das konnte nur der Müggelsee sein. Am anderen Ufer lag also Amerika.
Als er am Ufer stand, kam es ihm ganz nahe vor. Große weiße Dampfer fuhren hinüber. Da musste man nur aufpassen, dass nicht plötzlich ein Riese aus dem Ozean kam und den Dampfer versenkte. Der Onkel hatte was von Ozeanriesen erzählt.
Schwimmen konnte Bruno Lüdke nicht, sonst wäre er nach Amerika hinübergeschwommen. Aber rudern konnte er, und als er an einen Steg kam, an dem ein Ruderkahn lag, sprang er hinein. Eine Kette gab es nicht, der Strick war schnell losgebunden. Erst als er sich abgestoßen hatte und schon gut zehn Meter vom Ufer entfernt war, merkte er, dass im Kahn keine Ruder lagen. Mit den Händen als Paddel wollte er zum Steg zurück, doch der Wind wehte vom Ufer her und trieb ihn nach Amerika hinüber.
Es war ein Riesenspaß. Pech nur, dass ihn mitten auf dem See ein Boot der Wasserschutzpolizei stoppte. Sein Vater war an Bord, und alle schimpften ihn tüchtig aus. Weil er das Boot geklaut hatte und damit losgefahren war, obwohl er gar nicht schwimmen konnte.
»Aber das … das … das Boot kann doch schwimmen«, sagte Bruno.
Zwei
1921
Heinz Franzkes Hand war bereits oben, noch bevor der Lehrer seine Frage richtig formuliert hatte, und zudem schnipste er auch noch mit Daumen und Mittelfinger. Das wurde zwar auf dem Gymnasium nicht gern gesehen, brachte ihm aber dennoch den gewünschten Erfolg, und er wurde aufgerufen.
»Franzke, was verstehen wir unter der Benrather Linie?«
»Die Benrather Linie markiert in der Entwicklung der deutschen Sprache, das heißt bei der sogenannten zweiten Lautverschiebung, die Grenze zwischen dem ober- und dem niederdeutschen Gebiet.« Franzke hatte, nachdem er aufgesprungen war, kerzengerade dagestanden und so artikuliert gesprochen wie kaum ein anderer Schüler in Steglitz.
»Und weiter?«, fragte Dr. Jerxheimer.
»Südlich der Benrather Linie wandelten sich verschiedene Laute, und es entwickelte sich das heutige Hochdeutsch, nördlich davon – im Englischen, Holländischen oder im Platt – blieben sie bestehen. Das / t/ beispielsweise wandelte sich unter bestimmten Voraussetzungen im Hochdeutschen zu / ss/ oder / ts/, also wie in water zu Wasser oder two zu zwei, und / p/ wurde zu / ff/ beziehungsweise / pf/, zum Beispiel ape zu Affe oder pound zu Pfund. Zusätzlich wandelte sich das / d/ zu / t/ wie in day zu Tag oder deep zu tief. Schließlich wurde aus dem alten / Þ/, das wir im Englischen heute noch haben, im Hochdeutschen das/d/, also thing zu Ding und thanks zu danke.«
»Danke, Franzke! Setzen, Eins!«
Bei Dr. Jerxheimer hing zu Hause über dem Schreibtisch der große Satz des Heraklit: Erziehung heißt, ein Feuer entfachen, und nicht, einen leeren Eimer füllen. Dem Erreichen dieses Zieles galt sein stetes pädagogisches Streben, obwohl er aus langjähriger Erfahrung wusste, dass es höchst utopisch war, denn nur wenige Schüler waren vom Intellekt und Willen her so ausgestattet, dass sie sich entzünden ließen, die meisten waren ganz gewöhnliche Eimer, manche sogar nur aus Blech und nicht einmal aus Emaille.
Aber dieser Franzke war einer, bei dem sich das besagte Feuer entfachen ließ. Der war begierig danach, Wissen in sich aufzunehmen, der hatte ein ganz ausgezeichnetes Gedächtnis, der konnte wunderbar formulieren. Und außerdem war sein Verhalten durchweg tadellos. Wenn sich andere Schüler seines Alters pubertären Späßen hingaben, zog er in die Arena und trainierte, um einmal ein berühmter Mittel- und Langstreckenläufer zu werden wie Paavo Nurmi aus Finnland.
Trotz seiner guten Noten in allen Fächern, mit Ausnahme von Musik und Zeichnen, ging Heinz Franzke keineswegs gern zur Schule, denn in seiner Klasse war er nicht übermäßig beliebt. Die einen hielten ihn für einen Streber, den anderen galt er als Schleimer, weil er sich bei Konflikten zumeist auf die Seite der Lehrer schlug, den Dritten schließlich war er zu ernsthaft und kaum einmal für Späße und Streiche zu haben.
Dabei wäre Franzke so gern zum Vertrauensschüler gewählt worden, doch nie erhielt er mehr als drei Stimmen – seine eigene mitgezählt. Da half es auch nicht, dass er die ganze Klasse zum Essen und Trinken in die Gaststätte seines Vaters einlud.
Nun stand wieder eine Wahl bevor, und niemand zweifelte daran, dass Robert Cholet, ein schwarzhaariger Filou hugenottischer Herkunft, nahezu alle Stimmen bekommen würde. Bis auf die von Franzke und dessen beiden Freunden Werner Rosinski und Lothar Lemke.
Die drei tuschelten in jeder Stunde und suchten nach Möglichkeiten, um Robert Cholet die Gefolgschaft abspenstig zu machen.
»Ich schlage ihn dermaßen zusammen, dass er für eine Weile ins Krankenhaus muss«, sagte Werner Rosinski.
Franzke verdrehte die Augen. »Mensch, dann wird er doch zum Märtyrer, und sie wählen ihn erst recht alle.«
Lothar Lemke sah das auch so. »Das muss man viel klüger anfangen. Wir müssen ihn in eine Falle locken.«
Dr. Glinka, ihr Lateinlehrer, fuhr dazwischen: »Lemke, hörst du wohl auf zu schwatzen! Zur Strafe schreibst du bis morgen hundertmal Ave Caesar, morituri te salutant. Das heißt?«
»Äh …«
»Nicht äh! Setzen, Fünf! Sondern … Cholet?«
»Sei gegrüßt, Kaiser, die dem Tod Geweihten grüßen dich.«
»Richtig! Und wer bei mir keine Vokabeln kann, der ist dem Tode geweiht. Also, Rosinski: famem perferre?«
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