Название: Der Penis-Komplex
Автор: Gerhard Staguhn
Издательство: Автор
Жанр: Социальная психология
isbn: 9783866746534
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Der steife, grotesk vom Körper abstehende Phallus ist bei nüchterner Betrachtung weder schön noch hässlich. Er überzeugt weniger in ästhetischer als in funktionaler Hinsicht. Ein zumeist recht kleines, belanglos wirkendes Ding wächst sich zu einem ziemlich großen, Aufmerksamkeit heischenden Monstrum aus – und dies im wahrsten Sinne des Worts. Denn das Wort ›Monstrum‹ (= großer, unförmiger Gegenstand) leitet sich von lateinisch monstrare ab, was ›herzeigen, hinweisen‹ bedeutet und sich zum Beispiel auch im Wort ›demonstrieren‹ verbirgt, ebenso in der Monstranz, diesem katholischen Kultgerät, das der Priester, symbolisch erigierend, vor seiner Gemeinde in die Höhe reckt als sichtbaren Beweis der Anwesenheit Gottes. Der Phallus ist, wenn man so will, ein Demonstrant. Als solcher will er mit fast schon drohendem Gestus auf etwas hinweisen beziehungsweise eine unmissverständliche Absicht bekunden und deren Verwirklichung einfordern.
Anschwellen und versteifen kann am menschlichen Körper so manches. Aber dass sich das Anschwellend-Versteifende dabei auch noch aufrichtet, macht immer wieder staunen, selbst wenn man als stolzer Eigentümer dieses körpertechnischen Wunderwerks schon unzählige Male dabei zugeschaut hat. Das weibliche Pendant zum Penis, die Klitoris, genauer: ihre aus dem Körper ragende Spitze, ist zwar auch zur Schwellung fähig, richtet sich dabei aber nicht auf, und selbst wenn sie es täte, würde es keiner bemerken.
Synchron zum Anschwellen des Penis schwillt naturgemäß auch die sexuelle Erregung des Mannes an, mehr noch, der Mann erlebt eine Art von innerem Anschwellen seiner ganzen Person und Persönlichkeit. Wer hier wen zum Anschwellen bringt – der Mann den Penis oder der Penis den Mann –, ist nicht eindeutig zu sagen: der klassische Fall einer dynamischen, sich selbst verstärkenden Wechselwirkung.
Das Anschwellen/Versteifen/Aufrichten könnte man von daher als ein dreifaches Synonym für den männlichen Sexus verwenden, ja vielleicht sogar für den Mann schlechthin. Der Ausdruck ›seinen Mann stehen‹ meint unterschwellig genau das: ein zutiefst sexuelles Gefühl. Freilich gilt dies auch in einem negativen Sinn für den Fall, dass der Mann meint, sich künstlich ›aufmanndeln‹ zu müssen, indem er sich körperlich aufrichtet, breitbeinig dastehend und in seinem ganzen Habitus versteifend, was beim Gegenüber höchste Potenz assoziieren soll. Zu allem Überfluss wird dann auch noch verbal erigiert.
In der allgemeinen Fixierung auf den erektilen Schwellvorgang beim Mann wird leicht übersehen, dass das Sexuelle schlechthin von anschwellender Art ist, bei der Frau nicht weniger als beim Mann. So schwillt bei der sexuell erregten Frau nicht nur die Klitoris, sondern es schwellen ebenso die großen und kleinen Schamlippen, wie auch die im Schwellen sich versteifenden Brustwarzen. Was den sexuell erregten Mann betrifft, so schwillt und versteift in gewisser Weise auch das sonst eher schlaff hängende Skrotum, wobei es sich im Idealfall als pralle Halbkugel an den Penis heranzieht, als suche es mit ihm jene verschworene Potenz-Gemeinschaft zu bilden, die in früherer Zeit als Gemächt bezeichnet wurde: Sinnbild eines mächtigen virilen Strotzens. Schließlich geht, was selten bedacht wird, die ganze sexuelle Kraft des Penis von den Hoden aus.
Der Penis als Waffe
Die zylindrische Grundform des erigierten Penis überzeugt bei einem Sexus, der die Penetration, also das Eindringen und Durchdringen, zum Ziel hat. Penetration ist ja überhaupt nur nötig, sobald der zu penetrierende Körper, genauer: dessen Öffnung, der Aufnahme des Fremdkörpers einen gewissen Widerstand entgegensetzt, den es penetrierend zu überwinden gilt. Denkbar wäre ja auch eine Begattung, bei der ein weiches männliches Geschlechtsorgan in eine weite weibliche Öffnung gehängt wird, ähnlich wie man einen Teebeutel in eine Tasse hängt. Denkbar wäre auch ein ohne Penetration auskommender Kloakensex, wie bei den Vögeln. Doch wenn es ums Penetrieren geht, dann stellt der an seiner Spitze gerundete Zylinder zweifellos die Idealform eines penetrierenden Sexualorgans dar. Die Evolution hat für die Säugetiere den zylindrischen Penis und die ebenfalls zylindrische Vagina gewiss nicht umsonst als bestes aller möglichen Genitalmodelle kreiert.
Begattung bedeutet bei den Säugetieren das Versenken eines mehr oder weniger harten Rohrs in einen elastischen Schlauch. Der Vorgang verspricht eine optimale, nämlich reibungsintensive Verbindung. Tiefgründige Penetration verlangt mit geradezu physikalischer Notwendigkeit nach dem Zylinder: dem vollen männlichen, der sich in den hohlen weiblichen zwängt und sich darin mehr oder weniger schnell vor- und zurückbewegt. Natürlich lässt sich der Penetrationsvorgang auch umgekehrt formulieren: Der hohle weibliche Zylinder stülpt sich über den vollen männlichen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Frau im Geschlechtsakt den aktiven Part übernimmt.
Das Aggressiv-Penetrierende der zylindrischen Form findet sich auch in archaischen, Körper durchdringenden Waffen wieder: Dolch, Schwert, Lanze, Speer, Spieß oder Pfeil. Ihnen fühlt sich der Penis insgeheim anverwandt. Entsprechend wurde die männliche Potenz im misogynen antiken Griechenland als ›Waffenkraft‹ verstanden und gegenüber der Frau auch so eingesetzt. Das Wort ›Kraft‹ ist hier im Sinne von Beherrschung gemeint. Doch jeder Wille zum Beherrschen hat seinen Ursprung in der Schwäche. Denn insgeheim weiß der Mann, dass er der weiblichen sexuellen Potenz unterlegen ist. Das Patriarchat verschafft ihm die Möglichkeit, seine Schwäche in Herrschaft umzumünzen – auf Kosten der Frau.
Seit der griechischen Antike, jener Gründer- und Hochzeit des Vaterrechts, hat man den heterosexuellen Koitus mit dem Zufügen einer klaffenden Wunde verglichen. Als solche wurde das weibliche Geschlecht ohnehin assoziiert. Nach antikem Verständnis fügt der penetrierende Penis der Frau auf paradoxe Weise eine Wunde zu, die sie schon hat und die, passend zum Bild, auch einmal im Monat blutet. Der Koitus mit einer Frau erscheint so als kriegerischer Kampf, bei dem die Frau unterworfen und besiegt werden muss, indem sie aufgespießt wird. Der Penis ist die Stich- und Stoßwaffe, die bei diesem Kampf zum Einsatz kommt. Am Ende, wenn der Mann ›abschießt‹, verwandelt sich sein Penis sogar in eine Schusswaffe, die freilich nur die Qualität einer harmlosen Spritzpistole hat.
Der soldatische Penis
Die Begriffspaare Mann/Penis und Soldat/Waffe stehen zueinander in einer auffallend starken Wechselbeziehung. Der strammstehende Soldat hat etwas von einem erigierten Penis, der ja auch nichts anderes tut, als stramm zu stehen – auf Befehl des Gehirns. Wenn der Soldat sein Gewehr ›präsentiert‹, verkörpert er gewissermaßen eine Doppelerektion: Der versteifende und sich dabei aufrichtende Soldat zeigt auf exhibitionistische Weise seine steil nach oben gerichtete Schusswaffe – stellvertretend für seinen erigierten Penis. Beim soldatischen Parade-Stechschritt, der besonders im NS seine groteske Übertreibung fand, wird das Gehen mit den nach oben geworfenen steifen Beinen in gewichsten Schaftstiefeln zu einer Art voranschreitender Dauererektion. Mehr noch: Im Wort ›Stechschritt‹ schwingt ein gewaltsames Penetrieren mit, insofern der obszöne Wortschatz mit ›Stechen‹ das Koitieren meint. In diesem Zusammenhang bringt sich auch der so genannte Hitlergruß als symbolische Erektion ins Spiel. Die Kommunisten ›erigieren‹ symbolisch auf ähnliche Weise, wobei der hochgereckte und dabei abgewinkelte Arm wegen der geballten Faust erst recht einem erigierten Penis gleicht.
Aus aggressiv-patriarchalischer Sicht verkörpern Krieger und Soldat den phallischen Mann schlechthin. Seine Selbstreduzierung auf die stets abschussbereite Phallus-Waffe geht, wie Klaus Theweleit in seinem Buch Männerphantasien (1977) überzeugend nachgewiesen hat, mit der Reduzierung der Frau auf die Vulva einher. Alle soldatischen Rohre, mit denen abgeschossen, also stellvertretend ejakuliert wird, zielen auf die als erdhaft vorgestellte ›Weib-Natur‹, wie sie sich für den Frontsoldaten in den feuchten, nassen, verschlammten und zuletzt verschlingenden Erd-Löchern des Grabenkriegs manifestiert. Der Aufmarsch einer Armee ist eine Art von kollektiver Dauererektion aller ihrer ›Glieder‹. Laut Theweleit berichtete der Psychoanalytiker Wilhelm Reich (1897 – 1957) aus seiner klinischen Praxis, »dass soldatische Männer tatsächlich oft unter Dauererektionen litten«. In logischer Konsequenz stirbt ein Soldat auch nicht, sondern er fällt. Doch fallen kann nur, was steht. Entspannung, also Erschlaffung, СКАЧАТЬ