Название: Der Penis-Komplex
Автор: Gerhard Staguhn
Издательство: Автор
Жанр: Социальная психология
isbn: 9783866746534
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Bei manchen Arten von Plattwürmern verwachsen beide Partner nach der Begattung miteinander und bilden für den Rest des Lebens einen einzigen Organismus. Bei den ebenfalls zu den Plattwürmern gehörenden Bandwürmern ist es ohnehin so, dass jedes Körpersegment fast nur aus männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen besteht, wobei die männlichen Segmente neben zahlreichen Hodenbläschen auch einen beachtlichen ausstülpbaren Penis aufweisen. Bandwürmer wachsen beständig in die Länge und bilden dabei reihenweise immer neue Fortpflanzungsorgane. In der so entstehenden Gliederkette reifen die zwittrigen Geschlechtsorgane von vorne nach hinten, und zwar die männlichen vor den weiblichen. So können oftmals die vorderen oder mittleren männlichen Glieder mit ihren langen Penissen die hinteren, eben erst entstandenen weiblichen Glieder sofort begatten, ohne dass diese schon geschlechtsreif sind. Sie reifen gewissermaßen dem in ihnen abgelegten Samen entgegen. So bildet sich eine Art von Begattungskette, die auch dann noch funktioniert, wenn der Wurm zerteilt wird. Das führt zu einer extrem hohen Rate an Nachkommenschaft.
Als aus menschlicher Sicht geradezu skurril erweist sich das Sexualleben der Fadenwürmer. Bei einigen Arten nehmen die Geschlechtsorgane im Laufe ihrer Entwicklung stark an Umfang zu, bis am Ende das ganze Tier fast nur noch aus dem Geschlechtsteil besteht. Die Tiere kopulieren nicht mehr mit ihren Geschlechtsorganen, sondern als Geschlechtsorgane. Auf den Menschen bezogen wären wir Männer irgendwann nur noch Penis, was wir auf der gedanklichen Ebene ohnehin meistens sind. Die Frauen wären nur noch Vulva. Das muss man sich mal bildhaft vorstellen, zum Beispiel als menschliches Treiben auf einem großstädtischen Boulevard. Überall wären flanierende Penisse und Vulven unterwegs! Bei der Kopulation, die freilich nicht auf dem Boulevard stattfände – oder vielleicht doch –, würde der Penis-Mann vollständig in der Vulva-Frau verschwinden. Den meisten Männern dürften solche Fantasien nicht fremd sein. Das hat mit ihrer Neigung zu tun, sich besonders stark mit ihrem Geschlechtsteil zu identifizieren. »Solchen Tagträumen«, meint Ernest Borneman, »liegt die sogenannte Mutterleibsphantasie zugrunde, in der man sich beim Akt wünscht, in den Leib der Frau (= Mutter) zurückzukehren, was nur dann möglich ist, wenn der gesamte Körper (zumindest in der Phantasie) durch den Penis […] ersetzt wird.« (Lexikon der Liebe, 1978, S. 1260)
Und so endet dieses Kapitel, zumindest für uns Männer, in der Erkenntnis: Fadenwurm müsste man sein! Dann könnten wir endlich jenen unbewusst herbeigesehnten Liebesakt erleben, bei dem Eros und Todestrieb in eins zusammenfallen – der Anfang unseres Seins mit dem Ende.
Drittes Kapitel
Ein aufrichtiges Organ
Sobald ein Penis entblößt und aufgerichtet im Raum steht, wird er zum obszönen Gegenstand, der in dem Maße, wie er vom Körper absteht, dem Betrachter buchstäblich entgegensteht. Man stößt sich leicht an abstehenden Gegenständen; sie sind anstößig. Der erigierte Penis, dieses ›Ding‹ des Mannes, ist eigentlich ein Unding – wie alles Obszöne. Im schlaffen Zustand, wurstförmig am Körper hängend, ist er nicht mal ein Unding: ein formloses Etwas, das man nicht so recht definieren kann: ein Dings.
Anders als die normalen Glieder des Körpers, die dem Menschen als Gliedmaßen zur Verfügung stehen, erweckt der erigierte Penis den Eindruck, als gehöre er nicht zum Körper und wäre diesem nur aufgepfropft zu einem temporären Zweck. Er hat etwas von einer Bestückung oder Bewaffnung. Nicht umsonst preisen sich Männer in sexuell motivierten Kontaktanzeigen mit dem Terminus ›gut bestückt‹ an – oder gleich mit der Konfektionsgröße eines Kleidungs-Stücks: L, XL, XXL mit nach oben offener Skala.
Das männliche Glied ist einmalig unter den Gliedern. Es ist das Glied der Glieder, oder treffender, nämlich obszön ausgedrückt: der Schwanz der Schwänze. Unter den Schwänzen ist er auch deshalb einmalig, weil er vorne am Körper sitzt. Nur Satan, religiöser Inbegriff der Perversion, trägt seinen Penis hinten – oder er tritt gleich in phallischer Gestalt auf.
Einzigartig am Penis ist vor allem die Fähigkeit, auf einfache und gerade dadurch beeindruckende Weise seine Gestalt zu verändern. Souverän bewegt er sich in zwei Welten: schlaff in der urologischen, steif in der sexuellen. Damit müssen wir ihn als ein ›urogenitales Mischglied‹ betrachten. Oder mit den Worten Heinrich Heines (1797 – 1856): »Was dem Menschen dient zum Seichen, damit schafft er seinesgleichen.« Hierzu passt ein anderes Bonmot des Dichters: »Der frühen Zeit gedenk’ ich, / Da alle Glieder noch gelenkig. / Bis auf eins. / Diese Zeiten kehren niemals wieder, / Versteift sind alle Glieder. / Bis auf eins.«
In seiner phallischen Gestalt ist der eben noch schlaffe Penis nicht wiederzuerkennen – eine echte Metamorphose: Ein amorphes, eher unansehnliches fleischiges Püppchen verwandelt sich im Idealfall in eine ansehnliche, vor Kraft strotzende Erektions-Imago, die freimütig und für jeden verständlich mitteilt, wonach ihr einzig der Sinn steht: Penetration. Sieht man dieser phallischen Entpuppung nicht zu, sondern nimmt nur ihr Endergebnis wahr, so könnte man meinen, das schlaff, ja geradezu defätistisch hängende Ausgangsobjekt habe mit dem harten, aufrecht stehenden, fordernden Endprodukt nichts zu tun. Es wäre gewiss nicht einfach, den Fotos von schlaffen Penissen das jeweilige Erektions-Foto zuzuordnen. Das gilt vor allem für kleine schlaffe Penisse (so genannte Blutpenisse), die beim Erigieren nicht nur viel stärker an Größe zulegen als große schlaffe Penisse (so genannte Fleischpenisse), sondern auch einen größeren Formwandel zeigen.
In seiner triumphalen Feldherrenpose gleicht der erigierte Penis einem dicken ausgestreckten Finger, der einem unmissverständlich sagt, wo’s langgeht. Erigierter Penis und erigierter Finger sind auf dem Felde des Sexus nicht nur Brüder im Geiste, sondern auch Brüder der Tat. Nicht umsonst spricht man vom Penis als dem ›elften Finger‹– eine Metapher, die auch der Erotiker Goethe im obszönen Teil seiner Venezianischen Epigramme verwendet hat: »unklug schob er den kleinsten der zehen finger ins ringchen, nur der gröszte gehört würdig, der eilfte, hinein.« Auch in Träumen und archaischer Symbolik ist mit dem Finger fast immer der Penis gemeint. Selbst der erhobene Zeigefinger des Moralisten muss als verschlüsselte Drohung mit Penetration gedeutet werden. Beim erigierten Mittelfinger weiß ohnehin jeder, mit welcher Art von Penetration gedroht wird.
Somit ist der erigierte Penis verkörperte Sprache. Eine Erektion ist Körpersprache in ihrer einfachsten, klarsten und direktesten Form; sie spricht Klartext. Stehend sagt ein Penis alles, was er zu sagen hat; er verheimlicht nichts. Freilich ist es immer das Gleiche, was er sagt. Aufgerichtet ist er absolut aufrichtig. Er bringt die Sache, um die es ihm geht, knallhart, unübersehbar und unmissverständlich auf den Punkt. Er behauptet steif und fest das männliche Begehren in seiner rohen Einfachheit. Im Gegensatz dazu manifestiert sich das weibliche Begehren fast gänzlich im Verborgenen. Vom Schlüpfrigwerden ihrer Vagina weiß oft nicht mal die Frau etwas.
Das phallische Aufrichten ist ein schamloses Aufzeigen eines inneren Zustands des Mannes: seiner Geilheit. Damit ist der zum Phallus sich wandelnde Penis ein äußerst verräterisches, den Mann bloßstellendes Organ. Er steht im wahrsten Sinne des Wortes für das Obszöne, nach dem ihm der Sinn steht. Sein Stehen ist verkörperte Obszönität. Im Erigieren wandelt sich der Penis vom banalen ›Seich-Zeug‹ zum exponierten ›Zeig-Zeug‹: ein ›Zeug‹, das nicht nur einen Gefühlszustand des Mannes aufzeigt und bezeugt, sondern zu allem Überfluss auch noch zeugen kann.
Schon Hegel (1770 – 1831) philosophierte, nicht anders als Heine, über das triviale biologische Faktum, dass das männliche Organ des Seichens auch das Organ des Zeugens ist. Dazu passt der Hinweis, dass mit ›Zeug‹ ursprünglich das Pfluggerät gemeint war. Mit dem Pflug – und mehr noch mit dem Schwert – hat sich der patriarchalische Penis von jeher, wenn auch unbewusst, identifiziert. Die Frau wird, nicht anders als Mutter Erde, vom Penis-Pflug aufgerissen, um anschließend den Samen in sie ausschütten zu können. Hierzu sei nur nebenbei bemerkt, СКАЧАТЬ