Название: Es ist kompliziert
Автор: Rachel Held Evans
Издательство: Автор
Жанр: Биографии и Мемуары
isbn: 9783865069146
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Ich glaube, das spielt alles gar keine so große Rolle. Das Wort Glaubenstaufe scheint mir sowieso eine Fehlbezeichnung zu sein, weil der Begriff weit mehr Willenskraft suggeriert, als die meisten von uns unter diesen Umständen aufbringen. Ob du als Baby, das sich in den Armen eines nervösen Priesters windet, nass gemacht wirst oder als Erwachsener, der von einem Erweckungsprediger untergetaucht wird, du tust es jedenfalls in den Händen derer, die dich zuerst zum Glauben führten, den Menschen, die dich Jesus vorgestellt haben – oder dich ihm vorstellen werden. „In der Taufe“, schreibt Will Willimon, „ist der Empfänger der Taufe genau das – ein Empfänger. Man kann sich schlecht selbst taufen. Sie wird an dir und für dich ausgeführt.“7 Es geht um eine Adoption, nicht um ein Vorstellungsgespräch.
Die Gemeinde, die mich adoptierte, saß in den Südstaaten, war evangelikal und, folgerichtig, verrückt nach American Football. Unter der Trainerschaft von Gene Stallings rollte die Alabama Crimson Tide auf ihre zwölfte National Championship zu. Deswegen waren die traditionellen Kirchenbänke der Bible Chapel in Birmingham am Sonntagmorgen nach einem Spieltag voller rotweißer Haarbänder, Krawatten, Sportjacken und Blusen – die heiligen Gewänder der zweiten großen Religion Alabamas (oder der ersten – kommt darauf an, wen man fragt).8 Es gab ein paar wenige Auburn-Fans in der Gemeinde, aber die waren fast so schwer zu fassen wie Demokraten. Wir versammelten uns unter einer Gewölbedecke aus Sandkiefernholz und blickten, wie gute Protestanten eben, auf eine schwere, schmucklose Kanzel. Es waren die 80er, deswegen riechen meine frühen Erinnerungen an Jesus alle nach Haarspray.
Damals hatte ich noch keine Vorstellung von Evangelikalismus als einer relativ modernen Ausdrucksform des Christentums, deren Wurzeln im Pietismus des 18. Jahrhunderts und in den großen amerikanischen Erweckungsbewegungen liegen. Stattdessen verstand ich evangelikal als ein Adjektiv, das bedeutungsgleich war mit „echt“ oder „authentisch“. Es gab Christen, und dann gab es eben noch evangelikale Christen wie uns. Nur den Evangelikalen war das Heil gewiss. Alle anderen waren lauwarm und liefen Gefahr, aus Gottes Mund ausgespuckt zu werden. Unsere katholischen Nachbarn waren verdammt. 900 Meilen entfernt war mein zukünftiger Ehemann in Princeton, New Jersey, dabei, beim Pinewood Derby an der Montgomery Evangelical Free Church Pokale zu gewinnen. Er hat den Namen der Schule viele Jahre lang als „frei von Evangelikalen“ verstanden, wie bei „zuckerfreier Kaugummi“. Er erinnert sich daran, wie er einmal seine Mutter gefragt hat: „Aber sind die Evangelikalen denn nicht die Guten?“ Wie früh wir doch lernen, unsere Stämme zu identifizieren.
Unser Pastor in der Bible Chapel – Pastor George – stammte aus New Orleans und ließ das die Welt mit seinem donnernden Bayou-Dialekt und den gold-lila gestreiften Krawatten auch merken. Er war stämmig, verspielt und ein echter Erzähler, dessen Lieblingsillustrationen in seinen Predigten sich um Fische drehten, die entwischten, oder um Alligatoren, die ihn beinahe bei lebendigem Leibe gefressen hätten. Meine Mutter neckte ihn manchmal nach den Gottesdiensten, er sei so schlimm wie die Gideons, eine Gruppe Bibelverteiler, deren Geschichten über wundersame Ereignisse mit der Bibel sie nie ganz glaubte (etwa die, in der ein Hund seinem obdachlosen Herrchen eine zerfledderte Bibel brachte, bevor er in dessen Armen starb).
Bis auf ein paar Ausnahmen habe ich alle von Pastor Georges berühmten Predigten verpasst, weil meine kleine Schwester Amanda und ich normalerweise in den Kindergottesdienst geschickt wurden, wenn die Ankündigungen, die Lieder und der musikalische Part vorbei waren. Meine Mutter ist Sonntagsschullehrerin in dritter Generation und rigorose Verteidigerin altersgerechter Lehre, die nur wenig Toleranz für Leute aufbringt, die ihre Kinder im Gottesdienst behalten und auf dem Kirchenblättchen herumkritzeln lassen, während der Prediger lang und breit über das stellvertretende Sühneopfer schwadroniert. Weil sie als Kind gezwungen wurde, genau das zu tun – oft drei- bis viermal die Woche, in einer strengen unabhängigen Baptistengemeinde –, machte sie unserem Vater und jedem anderen, der danach fragte, klar, dass wir nur zweimal die Woche zur Kirche gingen: einmal am Sonntagmorgen und einmal am Mittwochabend. Wir waren Konservative, keine Gesetzlichen.
Aber selbst als Kind lernt man recht schnell, dass Kirche nicht zu den im Schaukasten angegebenen Zeiten anfängt und aufhört. Nein, Kirche zog sich wie die letzte Schulstunde, während wir mit Dad im heißen Auto auf Mom warteten, die im Gemeindesaal noch Kontakte pflegte. Kirche begleitete uns in die in Gold getauchten Sonntagnachmittage unserer Kindheit, an denen Amanda und ich in unserer weißen Unterwäsche wie kleine Bräute durchs Haus tobten. Wenn die ganze Familie die Grippe hatte, klingelte die Kirche an der Tür und brachte Hähnchenauflauf vorbei. Manchmal rief sie noch nach Mitternacht an, um um Gebet zu bitten und zu weinen. Sie tratschte in der Abholzeit an der Schule und war freitagabends unser Babysitter. Sie neckte mich und zog mich an meinen Rattenschwänzen und lehrte mich singen. Die Kirche veranstaltete eine riesige Überraschungsparty zu Dads 40. Geburtstag und weihte mich vorher in das Geheimnis mit ein. Die Kirche kam viel öfter zu mir, als dass ich hinging, und darüber bin ich froh.
Angesichts des normalen Wochenrhythmus der Helds fühlte es sich komisch an, an einem frühen Sonntagabend zu unserem Taufgottesdienst in die lange, baumbesäumte Auffahrt der Bible Chapel einzubiegen. Amanda und ich saßen nervös angeschnallt auf der Rückbank unseres Chevy Caprice. Teilweise hatten wir meine Taufe auch deswegen hinausgeschoben, damit sie und ich am gleichen Tag getauft werden konnten. Ich betrachtete das als nur ein weiteres Beispiel für Amandas unheimliche Begabung, mir in Sachen Reife immer eine Nasenlänge voraus zu sein, obwohl ich drei Jahre älter bin als sie. Sie ist altklug, hat Grübchen, olivenfarbene Haut und tiefgründige, moosgrüne Augen, die bis heute sofort verraten, was ihr Herz bewegt – ob Freude oder Liebeskummer. So konnte Amanda auch dem verknöchertsten Kirchenältesten ein Lächeln entlocken. Sie war vertrauensvoll, leicht zu beeindrucken, leicht zu durchschauen und gut – der letzte Mensch auf der Welt, den man weinen sehen wollte.
Pastor George nannte Amanda „Miss AWANA“, weil sie bei den Treffen, in denen wir jeden Mittwochabend Bibelverse auswendig lernten, so hervorstach. AWANA stand dabei für Approved Workmen Are Not Ashamed (anerkannte Arbeiter schämen sich nicht) und war weit weniger sozialistisch gemeint, als es klingt. Vielmehr beinhaltete es den Erwerb von Auszeichnungen und Anstecknadeln für das erfolgreiche Aufsagen von Versen, die in unseren spiralgebundenen Broschüren abgedruckt waren. Die ganze Sache roch köstlich nach Zuckerkeksen und dem frisch laminierten Papier unserer Auswendiglernbücher, und Amanda trug den Duft jede Woche mit sich nach Hause, zusammen mit einem Arm voll Schleifen und Pokalen. Aber anstatt damit anzugeben, bot sie mir an, ihre Ausbeute mit mir zu teilen. Wenn sie merkte, dass ich mit leeren Händen nach Hause gekommen war, schob sie mir manchmal leise einen der Kronen-Anstecker aus Plastik in die Finger, die sie verdient hatte. Die sollten die Kronen symbolisieren, die wir einst im Himmel dafür bekommen würden, dass wir so viele Bibelverse auswendig gelernt hatten. Es machte mir Angst, wie sehr sie zu mir aufsah, wie sehr sie mir vertraute und zu mir hielt, selbst wenn ich es nicht verdiente. Ich war ihr eine gute große Schwester, bis ich in die Pubertät kam und es ihr in der darauffolgenden Krise übel nahm, wie mühelos sie geliebt wurde. Einmal, als ich meinte, sie wäre nicht ausreichend gerügt worden, nachdem wir uns zu Hause in irgendeinem Malheur wiedergefunden hatten, nannte ich sie Zimperliese und verspottete sie, indem ich hämisch das Lied „Holy, holy, holy“ sang. Das ist das Gemeinste, was ich je jemandem angetan habe. Überhaupt jemals. Sie hatte so ein zartes Gemüt, dass ich sofort wusste, dass ich etwas Wertvolles verletzt hatte, nur aus Spaß, und dass ich imstande war, Böseres zu vollbringen, als ich mir je vorgestellt hätte. Nicht einmal das Wasser der Taufe konnte diese Sünde wegwaschen, dessen war ich mir sicher.
An unserem Tauftag folgten wir unserer Mutter in СКАЧАТЬ