Beim Zwiebeln des Häuters. Gerhard Henschel
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Название: Beim Zwiebeln des Häuters

Автор: Gerhard Henschel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783862870462

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СКАЧАТЬ aber auch »gegen eine Volksfrontregierung von SPD, Grünen und SED/PDS« kämpft im Allgäu unerbittlich Manuel Ochsenreiter, Jahrgang 1976, ein Schüler, der »die 68er Sesselhocker aus ihren Ämtern holen« und »innerhalb der Union zur konservativen Erneuerung beitragen« möchte. Früh wurde in ihm »das Interesse für die mährische Herkunft« geweckt, »so dass ich mich einem Verband der sudetendeutschen Vertriebenen anschloss«. Es war noch nicht der Wiederanschluss Mährens ans Deutsche Reich, aber immerhin schon der Anschluss Manuel Ochsenreiters an einen Vertriebenenverband.

      Fürs knallhart Katholische steht der Student Michael Hageböck ein: »Christus ist die Wahrheit schlechthin, er ist der Eckstein, der alle Dinge im Innersten zusammenhält, er ist das Alpha und Omega« – Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein, wenn Michael Hageböcks Christuskind alle Dinge im Innersten zusammenhält, also auch Nutella, Fürze und Viererketten. Zwischenfragen lässt Hageböck nicht zu: »Seit die Heilige Schrift der Interpretation des Volkes anheimgestellt wurde« – er meint: Seit dem Volk die Interpretation der Heiligen Schrift anheimgestellt wurde –, »haben sich zahllose Sekten gebildet, um das Wort Gottes zu zerfleddern. Dies ist ein Sakrileg! Zur Verkündigung des Glaubens besitzt einzig die Una Sancta Ecclesia Kompetenz.« Hageböck glaubt, er lebe in einer »Kloake aus Wohlstand und falsch verstandenen Freiheitsrechten«, die sich die Menschen herausnähmen, ohne den lieben Gott um Erlaubnis zu bitten. Am übelsten stößt Hageböck die Fleischeslust in der Kloake auf. »Ungeheuer liegt heute eine Last auf den Jugendlichen: ein Zeitgeist, der ihre Geschlechtlichkeit pervertieren und ihre Reinheit negieren möchte.« Untenherum ist es mit der Reinheit der Jugendlichen vermutlich nicht gar so weit her, wie Hageböck annimmt. Man kann nur hoffen, dass er das nicht merkt, sondern zu einem neuen Pfarrer Sommerauer reift, der unerschütterlich auf verlorenem Posten ausharrt und zur allgemeinen Erheiterung den »Sexy-Rummel« geißelt.

      Fragen des Fleisches beschäftigen auch Frank Liebermann, einen schwergewichtigen Türsteher. Als seine Vorbilder bezeichnet er Johannes Paul II. und Ernst Jünger, denn er versteht viel von Kultur: »Das Metzgerhandwerk ist die Speerspitze deutscher Kultur. Was sagt mehr über ein Land aus als die Reichhaltigkeit der Wursttheke? Gerade darin spiegelt sich die Schaffenskraft und der Überlebenswille eines Volkes wider. Aus Schweinen, Kühen, Rindern und Kälbern lassen sich die unterschiedlichsten Leckereien zubereiten. In Metzgereien finden sich die Ergebnisse dieser schöpferischen Potenz. Im Imbiss steht heute Leber mit Bratkartoffeln auf dem Menüplan. Innerlich verfalle ich in Jubel: meine Lieblingsspeise.« Man sieht es ihm an.

      Die gemeinen Menschen, angefüllt mit Jauche statt mit Blutwurst, tummeln sich unkeusch in der Kloake, aber die »89er« suchen die Achse von Schuld und Erlösung unerschrocken in der Metzgerei und verkörpern beim Leberverzehr das neue »Heroentum«, das sich die 1970 geborene Politologin Simone Satzger dringend wünscht. »Die Erleuchteten haben die Erde entzaubert und ihr die tautropfentrunkenen Spinnweben der Märchen und Mythen genommen, die seit ewigen Zeiten die Phantasie der Kinder nährt«, klagt sie. »Sie warfen das Wort ›lumière‹ in die Welt. Ihr Motiv war und ist die Angst vor dem Leben.« Die Gegenaufklärung des forschen Fräuleins läuft auf die Einsicht hinaus, »dass der Verlust des Lebens weniger schlimm sein kann als der Verlust der Haltung« – aus gutem Grund ist von der Wehrmacht ja auch niemals eine gefallene Haltung im Zinksarg mit militärischen Ehren in die Heimat überführt worden.

      Auch die Studentin Ellen Kositza, Jahrgang 1973, verkörpert das neue deutsche Fräuleinwunder. Was erwartet sie von der Zukunft? »Befürchte: Amerikanisierung Europas; hoffe: auf ›befreite Zonen‹.« Außerdem verlangt sie die »Einführung der Todesstrafe für Kinderschänder, Vergewaltiger, Dealer«, und in den gewaltsam befreiten Zonen würden, wenn es nach Ellen Kositza ginge, auch die ungewaschenen Langzeitstudenten und Discothekenbesucher in Verschiß geraten, die ihr jetzt das Leben noch zur Hölle machen: »Die schweißnassen Dreadlocks eines besonders engagierten Tänzers peitschen in mein Gesicht. DRECKlocks eigentlich, die können unmöglich nur von Bier und Zuckerwasser so steinhart sein.«

      Wo die Untermenschen ihre Mähne herumschleudern und die tautropfentrunkenen Spinnweben der Märchen und Mythen beschmutzen, tritt schließlich Claus-M. Wolfschlag auf den Plan. Dem Studenten mit dem aparten Vornamen wurde eines Tages »die Gnade zuteil, ›Träger‹ zu sein«, aber nicht etwa Bierkisten- oder Hosenträger, sondern »Träger von seelischen Strömungen, von Ideen, die geistig schon existieren, bevor sie sich bestimmte Körper als Medien suchen«. In Claus-M. Wolfschlags Fall ist es Claus-M. Wolfschlags Körper, den sich die seelischen Strömungen als Medium gesucht haben. Seither sind »keltisches Triskell und germanische Lebensrune« Claus-M. Wolfschlags persönliche Symbole. Er glaubt »an die wundersame Göttlichkeit der Natur«, fordert einen sofortigen »Zuwanderungsstop«, den »Abriß aller Trabantenstädte« und den »Aufbau menschlicher, grüner Orte«. Er hatte einst ein schönes Vaterland: »Doch Seele besitzen die Konsumgüter keine. Der selbstbemalte Schrank einer alten Bauernfamilie drückt mehr Atmosphäre aus als so manches aus dem Möbelmarkt stammende Apartment Frankfurter Großverdiener.« Und er hat einen Traum: »Er handelt von reinen, natürlichen Menschen, denen ideelle Werte mehr bedeuten als Geld und rücksichtslose Konsumbefriedigung. Ich sehe starke, gefestigte Männer, die mit Mut die Würde ihrer Gemeinschaft verteidigen – und tapfere, schöne Frauen mit langem, leuchtendem Haar und ästhetischen Gewändern, bei denen es den Männern zur Ehre gereicht, sie ›Gefährtin‹ nennen zu können.«

      Claus-M. Wolfschlags Traum von willigen Walküren und heftiger Bauernschrankmalerei spielt sich in der grauen Lagune ab: »Ich träume davon, nackt im Main schwimmen zu können – und zehn nackte Mädchen springen mir hinterher.« Doch am Ende erweist sich auch dieser Träger des neuen Heroentums nur als kleinkarierter Bausparer: »Ich hoffe auf Gesundheit, Erfolg, ein Palais mit Pool, an dem sich eine schöne Frau sonnt.«

      So sind sie, die »89er« – mährischer Herkunft, gesamtdeutsch erzogen, charakterfest und immer obenauf. In langen Fuxenstunden haben sie das Volkstum zum Eckstein ihrer Geschlechtlichkeit gemacht. Jetzt träumen sie davon, dass tapfere Frauen mit leuchtendem Haar ihre schöpferische Potenz im Metzgerhandwerk ausagieren. Danach wird im Palais am Pool gefummelt.

      Zauberhaft.

      Was sie wohl als nächstes aushecken? Patrick, Roland, Dieter, Manuel, Michael, Frank, Simone, Ellen und Claus-M. mögen so viele Abenteuer beschieden sein wie Hanni und Nanni! Ich persönlich möchte jedenfalls noch viel Spaß mit den »89ern« haben, bevor sie erwachsen werden.

      Titanic 5/1996

      Johannes Mario Simmel träumt den unmöglichen Traum

      Wenn sie einen populären Roman verreißen möchten, beschreiben deutsche Kritiker das Arbeitszimmer des Autors gern als unsaubere Küche. 1970 verriet Jürgen Eyssen in der FAZ das Geheimrezept, nach welchem Johannes Mario Simmel verfahre: »Man nehme zu denselben Teilen Sex and Crime, mische sie unter kräftigem Rütteln tüchtig durcheinander, gebe eine Prise Vulgär-Sadismus hinzu und garniere das Ganze recht appetitlich frisch mit einigen besonders exquisiten Geschmacklosigkeiten« – fertig sei der neue Simmel. Wenn es so einfach wäre, müsste nach diesem Rezept im Handumdrehen jeder Verlag zu sanieren sein. Die Formel »Man nehme etc.« stimmt natürlich nicht; sie scheint nur gut zu klingen, nach höheren Einsichten in niedere Machenschaften. Welcher Verlag würde einen Lektor einstellen, der zu vulgär-sadistischen Prisen und Geschmacklosigkeits-Garnituren riete?

      Mit Johannes Mario Simmel haben sich die Kritiker nur selten größere Mühe gegeben. Bis ungefähr 1960, als ihm mit »Es muss nicht immer Kaviar sein« der Durchbruch gelang, habe er »glänzende Kritiken« bekommen und nur wenige Leser gefunden, hat Simmel einmal geschrieben. Danach sei die Leserzahl groß und die Kritik meist vernichtend gewesen. Eingehandelt hat er sich Rüffel von allen Seiten, von prüden Sittenwächtern ebenso wie von Linken, als der Vorwurf des Eskapismus noch im Umlauf war. In Frankreich oder in den Vereinigten Staaten sei das anders: »Dort zählt auch, wer eine Geschichte mit aktuellen Bezügen klar und spannend schreiben kann. Dort muss Literatur nicht immer gleich etwas Unsterbliches sein.«

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