Название: Beim Zwiebeln des Häuters
Автор: Gerhard Henschel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783862870462
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Für das zweite Vorwort hat das Ministerium den Literaturprofessor Heinrich Mohr aus Osnabrück aufgeboten. Und Heinrich Mohr hat sich einen Gedanken zu machen versucht: »Der angesprochene Leserkreis ist in der Pädagogik tätig: Lehrerfort- und -weiterbildung. Mir will einleuchten, dass gerade Menschen, die immer wieder pädagogisch stimmige und erfolgversprechende Konzepte durchdenken und realisieren müssen, Appetit auf die Wildnis haben. Hier ist die Wildnis.«
Wer hätte gedacht, dass es jetzt ein Regierungsziel ist, Lehrerbildner wild zu machen?
Im dritten und letzten Vorwort stellt die Literaturkritikerin Christel Berger fest: »Die Texte zusammen ergeben einen eigenartigen Teppich, seltsam miteinander verknüpft und verwoben.« Beim Verknüpfen und Verweben hat man sich im Bildungsministerium aber keine große Mühe gegeben. Die wilde Erfurter Poetin Gabriele Stötzer erscheint auf dem Schutzumschlag im Fettdruck unter dem Namen »Gebriele Stötzner«, und wenn man den ersten der drei Bände öffnet, fällt eine Errataliste heraus. Auch beim Motto hat man sich vertippt. Griechische Zitate, mit denen man prunken wollte, hauen vorne und hinten nicht hin, und gleich auf den ersten Seiten heißt es buchstäblich, es seien »geistige Schleusen geöffnet« worden, und die Texte stünden »anscheinend unverträglich, sich einander ausschließend nebeneinender« – die ganze Anthologie wimmelt von Druckfehlern und muss von Betrunkenen lektoriert worden sein.
Alle 104 beteiligten Autorinnen und Autoren hat der Bildungsminister von Klaus Ensikat und Harald Kretzschmar porträtieren lassen. Scheußlicheres hat die Welt noch nicht gesehen. Es sind arrivierte Langweiler dabei wie Günter Grass und Christa Wolf, in der Mehrheit jedoch unbegabte Zonenzausel, die Clique der Unvermeidlichen, die immer zur Stelle ist, wenn es etwas umsonst gibt – Hallenser, Halloren, Halunken.
Die Gelegenheit, einmal richtig Tacheles zu reden und den Lehrerbildnern Appetit auf die Wildnis zu machen, hat kaum jemand verstreichen lassen. Dieter Mucke aus Halle tut kund: »Ich bin so praktisch / Dass ich mir mit dünnen Gedichten den Mund abwische / Wenn keine Serviette zur Hand ist.« Günter Ullmann aus dem bildschönen Greiz hat als Antwort auf die Frage, wie er sich die Zukunft vorstelle, ein Gedicht mit dem Titel »Deutschland« eingereicht (»blaue straße / wohin führst du / uns // in die mauern / der kaufhäuser / in das ritual der ellenbögen«). Sehr schön dichten kann auch Matthias Biskupek (»Enfang ward Ande«). Sicherheitshalber hat der Ministerialrat Boeger bereits im Vorwort mitgeteilt, dass den Lyriker Biskupek »Sensibilität und Anteilnahme gegenüber den Schwachen« auszeichneten.
Darüber hinaus ist hier zu erfahren, was Volker Braun als erstes einfällt, wenn er an seine Familie denkt (»Geborgenheit, Gefangensein, Zärtlichkeit«), und welche Bitte Hanns Cibulka aus Gotha an »die Spatzen in unserem Leben« richten möchte (»Meine Bitte: Schenkt mir etwas von eurer Zutraulichkeit«).
Beim Ritual der Spatzenhirne scheint es darauf anzukommen, den Schnabel einfach möglichst weit aufzureißen. »Geistig knüpfe ich an die Ideen der Mystik und der Reformation, der Französischen Revolution und der deutschen Aufklärung an«, versichert Uwe Berger, Träger des Heinrich-Heine-Preises und »Abkömmling von Karlshafener Hugenotten«, wie er stolz vermerkt. Der Romancier Reinhard Jirgl wiederum ist der lebende Beweis dafür, dass man den Alfred-Döblin-Preis auch dann nicht zurückgeben muss, wenn man eine »Verbreiterung der Sprachsättigung« in die Literatur einführt. Jirgl schreibt Jirglisch, eine unübersetzbare Fremdsprache (»Die Geschichte eines Landes kontaminiert das Ich mit ihren Komponenten so, wie die Handelnden mit ihrer Sprache den jeweils Anderen okkupieren«). Inwieweit eine solche Verbreiterung der Sprachsättigung zur geistig-kulturellen Einheit beiträgt, sollte recht bald durch eine Kleine Anfrage im Bundestag in Erfahrung gebracht werden.
»Das klingt einleuchtend. Aber ich bin ein Lessing-Typ«, lässt der Hölderlinpreisträger Reiner Kirsch die Menschheit wissen. Der Lyriker Uwe Kolbe ist eher ein Elends-Typ: »Das Land das Nichtland, / das Sein das Nichtsein, / sind sie der Spiegel nicht / und wir die Elenden.« Doch, ganz recht, Uwe Nichtuwe Kolbe Nichtkolbe. Ihr seid die Elenden.
Bernd-Dieter Hüge aus Chemnitz merkt trotzig an, dass er sich »marktgerechter Gefälligkeit« verweigere, doch seine Lyrik spricht nicht dafür, dass er die Wahl hätte: »TEUTSCHLAND MEINE SCHAUER: / du auch mein Glück. Aus vieler Völker Schreie Fluch auf dir / und meiner gallischen Vorväter / Verdammung in mein pruzzisches Blut / geflossen; aber sei dennoch. / Lieben muss ich dich, / will fest sein für dich, / hart«, ja, das ist gut, Bernd-Dieter, steck ihn tiefer rein, den Harten! Bernd-Dieter Hüge reitet auf Deutschland. Gut so. Dann kommt er wenigstens nicht zum Dichten.
An Deutschland leiden die meisten der hier vereinigten Autoren, weil ihnen nicht genug Aufmerksamkeit und Geld geschenkt wird. Der gelernte Rinderzüchter und Lyriker Wilhelm Bartsch aus Eberswalde beklagt »eine spürbare Ausgrenzung achtbarer und gestandener Autorinnen/Autoren aus dem Osten« und tut sich dicke (»Und der Chilene Neruda / legt mir die Hand auf die Schulter«). Für die Dichter aus der Zone sei in Deutschland »nicht einmal Platz am Katzentisch«, schreibt der DDR-Nationalpreisträger Jurij Brezan, ohne daran zu denken, dass der Bundesbildungsminister diesen Katzenjammer finanziert.
Alle fühlen sich ausgegrenzt, missachtet und diskriminiert, belogen und betrogen. »Die Diskriminierung ehemaliger DDR-Autoren müsste aufhören.« Dies wünscht sich Elfriede Brüning. »Wir werden doch abgegrenzt, ›abgewickelt‹. Am liebsten sollten wir gar nicht vorhanden sein.« Der Leipziger Reinhard Bernhof giftet sich darüber, dass die Verlage – er hat keinen – seit neuestem Einnahmen benötigen: »Somit degenerieren sie den Schriftsteller oder töten ihn ab.« Sanitäter! Reinhard Bernhof (»Ja, Poesie ist in uns und das Blut der Freiheit«) schwebt in Lebensgefahr!
Unzufrieden ist auch der Nationalpreisträger Günter Görlich: »Die Suche nach Veröffentlichungsmöglichkeiten ist zeitaufwendig und oft auch ungewohnt deprimierend.« Das Werk der am Katzentisch sitzenden Lessing-Typen »sollte in ganz Deutschland stärker bekannt und beachtet werden«. Volker Ebersbach aus Leipzig behauptet: »In den Mechanismen des freien Marktes überleben Schund und Kitsch besser.« Als die hohe Kunst des Volker Ebersbach. Und er fordert: »Mehr Wettbewerbsvorteile für die Literatur, wenn es sein muss, aus dem Steuersäckel!« Damit Volker Ebersbach sich auf unsere Kosten nach Herzenslust auskäsen kann.
»Ich bin ein Tausendfüßiges geworden / Das durch entstellete Gräser schlappt / Das einen Trippeltrappel hat und / Einen Appel / An der Stirn.« Das hat Kerstin Hensel gedichtet, und sie verlangt dafür eine Extrawurst: »Ich fände es sehr gut, wenn es für freiberufliche Schriftsteller mehr oder überhaupt einen Anspruch auf einen Halbtagsjob gäbe.«
Jeder Müllkutscher leistet bessere und wichtigere Arbeit als diese Tausendfüsigen, aber sie bestehen darauf, ihrer Unverzichtbarkeit wegen unentwegt bezuschusst, bevorzugt, gerühmt und gefüttert zu werden.
Von dem Podium herab, das der Staat ihnen untergeschoben hat, beschweren sie sich darüber, dass sie kein Podium hätten, und sie erheben weitere Forderungen. »Die Verblödung durch das Fernsehen schreitet rasant voran. Man sollte jeden Sender verpflichten, sich zur Literatur zu bekennen und Entsprechendes in sein Programm aufzunehmen«, schreibt der Dichter Günter Kunert. Man sollte doch, man müsste mal – das hätte gerade noch gefehlt, dass Günter Kunert auch noch in der Lindenstraße oder im Aktuellen Sport-Studio eine Kostprobe seiner Dichtkunst zum besten gäbe.
Im Grunde wollen alle nur das eine: Geld. Beate Morgenstern (»Küsse für Butzemännchen«) hat auch schon einen Plan, wie sie an die Otzen kommt: »Beispielsweise könnte man Veröffentlichungen belletristischer Gegenwartsliteratur subventionieren. Mindestens sollte bei einer Erstauflage eine erhebliche Starthilfe gegeben werden, so dass das Verlagsrisiko kleiner wäre.«
Eberhard Panitz (Erich-Weinert-Medaille, Kunstpreis der FDJ, Heinrich-Greif-Filmpreis, Literaturpreis des Demokratischen Frauenbundes, Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste, Nationalpreis, Goethe-Preis, Kunstpreis des СКАЧАТЬ