Название: Beim Zwiebeln des Häuters
Автор: Gerhard Henschel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783862870462
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Ja, hallo, hier Jünger, wer da?
Herr Jünger! Mein Name ist Bier, Ernst Bier.
Ja, guten Tag.
Was ich Sie als mein großes Vorbild und als meinen Mentor schon immer mal fragen wollte: Wie viele Leute haben Sie im Ersten Weltkrieg getötet?
Och, gar keinen, das ist ja alles nur so Wind, Presse – hallo? Hallo?
(Aufgelegt.)
Hallo? Jünger?
Ja, schönen guten Tag, Herr Jünger, damit hab ich jetzt aber gar nicht gerechnet ...
Ich aber. Wer spricht da bitte?
Ich, äh, äh, bin wohnhaft in Berlin. Detlef Lutz.
Guten Tag, Herr Lutz.
Ja, ich hab gerade den Artikel gelesen in der Berliner taz, und da stand diese Anzeige drin: »Kaum zu glauben, aber wahr ...«
Ja, das war sehr nett. Die taz les ich immer gerne ...
Wer hat denn das veranlasst?
Mein Freundeskreis. Aber ich hab auch gute Kontakte zu den jungen Leuten von der Presse.
Aha.
Ja, und wollten Sie auch was wissen? Haben Sie Krankheiten?
Ich?
Krankheiten? Oder Kriegsverletzungen?
Kriegsverletzungen?
Kriegsverletzungen haben Sie auch nicht? Sie sind weißer Jahrgang?
Wie nennen Sie das?
Sie haben nicht gedient?
Nicht gedient, nein.
Ja, dann tut’s mir leid – ich hab hier noch Kameraden zu sprechen. Aber ich wünsche Ihnen noch ein schönes Leben. Sie könnten’s ja mal in der Fremdenlegion versuchen. Haha! Das war jetzt ein Scherz von mir. Auf Wiederhören!
Wiederhören.
Jünger. Hallo?
Ja, also, äh, ich möchte nur gern wissen, wer hinter dieser Anzeige eigentlich steht.
Ja, das bin ich. Zum Geburtstag.
Nein, also, das ist nicht Ernst Jünger! Also bitte: Wer steht hinter dieser Anzeige?
Ja, man ist nicht mehr derselbe mit hundert, aber, äh, das Leben ist schön ...
Also hören Sie, was Sie mir da erzählen, will ich gar nicht hören. Ich möchte gern wissen, wer hinter der Anzeige steht!
Ja, das sind unter anderem meine Gratulanten und Freunde ...
Ach was! Also, Sie sind nicht Ernst Jünger! Sie sind derjenige, der hier das in Auftrag gegeben hat!
Ja, aber Sie wollen mich ja nur schmähen. Entschuldigung, ich hab so viele Feinde, mit denen möchte ich nicht so gerne sprechen ...
Ach, Unsinn, das ist alles Unsinn, was Sie sagen!
Auf Wiederhören.
Ja, Jünger. Hallo?
Ja, hier ist Günter Gerhard, Bad König, ich hab da ’ne Frage. Wer ist am Telefon?
Ich bin’s, das Geburtstagskind, und beantworte gerne Fragen zum Lebenslauf oder auch so andere Sachen, was Sie wissen möchten.
Was ich wissen möchte – wie Sie, Herr Jünger, den aufkommenden Nationalismus beurteilen, etwa in Österreich den Haider oder Le Pen oder bei uns die Nationalsozialisten, die ja stark im Kommen sind. In Russland, im ehemaligen, gibt’s ähnliche Tendenzen ...
Ja, ich bin da nicht dafür. Ich bin mehr ein konservativ denkender Mensch, und das ist nicht gut.
Ja, das ist nicht gut, aber was können wir dagegen tun?
Lichterketten, demonstrieren, Unterschriftenlisten, und ich spreche aber auch persönlich mit dem Präsidenten darüber.
Ja, das war schon mein Anliegen! Ich meine, ich hab gestern die ZDF-Sendung gesehen und hab auch »Marmorklippen« gelesen, und solche Fragen sind so aktuell, dass Sie als prominenter Philosoph und Schriftsteller da sich ’ne Meinung zu haben.
Das ist richtig.
Ich bedanke mich.
Ja, ich auch, und ich spreche mit dem Präsidenten Hindenburg darüber. Wiederhören!
Titanic 5/1995
Lieber Harry Rowohlt!
In Willi Winklers Nachruf auf Thomas Strittmatter in der taz haben wir gelesen: »Anfang vergangenen Jahres traf ich ihn wieder, bei der Silberhochzeit von Harry Rowohlt.« Da dachten wir ungefähr folgendes: »Silberhochzeit? Mit wem ist Harry Rowohlt denn verheiratet? Mit Ernst Maria? Ach nee, der ist ja ledig.«
Wir finden das lustig.
Titanic
Titanic 10/1995
Von Abraham bis Zwerenz
Was ist das: Es ist dick, es ist schwer, es hat 2.230 Seiten, es gehört den deutschen Lehrerbildnern, und wir alle haben es bezahlt?
Es ist die Anthologie »Von Abraham bis Zwerenz«, herausgegeben vom Bundesbildungsministerium und vom rheinland-pfälzischen Bildungsministerium als »Beitrag zur geistig-kulturellen Einheit in Deutschland«, vertrieben vom Cornelsen-Verlag – ein deutsches Dokument exorbitanter Dummheit.
»Diese dreibändige Anthologie«, heißt es im Impressum, werde »den Lehrerfortbildungseinrichtungen der Länder, dem Volkshochschulverband und den Universitäten für Aus- und Weiterbildungszwecke kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Anthologie gelangt nicht in den Buchhandel. Sie ist unverkäuflich.«
Aber der Reihe nach. 1992 organisierte das Bundesbildungsministerium den Schriftstellerkongress »Chancen für eine menschliche Gesellschaft« auf Rügen, 1993 das Kolloquium »Literatur und Umwelt« in Klingenthal und 1994 die Tagung »Literatur während der Wendezeit« in Katlenburg. Diese Butterfahrten für kontaktarme, vornehmlich aus den neuen Bundesländern angereiste Autoren seien »von hohem Wert als Anregung und Denkanstoß« gewesen, schrieb die Schweriner Zeitung. Der Ministerialrat Wilhelm Boeger berichtet im Vorwort der Anthologie, dass der Denkanstoß in Katlenburg direkt ins kleine Schwarze getroffen habe: »Die Lehrerbildner aus den neuen Bundesländern beschlossen spontan, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die Kursangebote mit den Texten der Anthologie entwickelt.«
Man sieht sie vor sich, die Lehrerbildner und die armen Poeten, wie sie am Resopaltisch hocken, mit den Fingern knacken und Kursangebote zur Verbreitung drögster Zonenprosa entwickeln. Überschrift: Die Spontaneität der Lehrerbildner. »So entstand eine einzigartige Sammlung dichterischer Zeugnisse über den schwierigen und dennoch schönen Prozess des Zusammenwachsens«, СКАЧАТЬ