Название: Der Dreißigjährige Krieg
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Sachbücher bei Null Papier
isbn: 9783962818555
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Da Kaiser Matthias ihm weder den rückständigen noch den laufenden Sold auszahlen konnte, nahm er eine Professur an dem Gymnasium in Linz an, wo er unter den Herren von Adel Anhänger seiner Lehre und Bewunderer seiner Schriften hatte und wo er geehrt und friedlich hätte leben können, wenn ihm nicht von der Heimat aus Unruhe und Beschwerde wäre bereitet worden. Es befand sich als Prediger in Linz sein Landsmann Doktor Hizler, mit dem er viel verkehrte; denn Hizler interessierte sich für Astronomie, Mathematik und Mechanik, war lebhaft, wissbegierig und fröhlich und verstand es, den schweigsamen und ungeselligen Kepler durch seine Munterkeit umgänglich zu stimmen. Er hatte kleine, lustige, kindliche Augen, aufwärts gesträubtes Haar und einen spitzen Bart, trank gern guten Wein und hatte meistens, das Theologische auf die Berufsgeschäfte einschränkend, eine mechanische Spielerei in Arbeit; so fertigte er damals ein von selbst laufendes Wägelein an, auf dem ein trompetenblasender und peitschenknallender kleiner Kutscher saß.
Eines Tages um Ostern, als Kepler der Sitte gemäß das Abendmahl nehmen wollte, fiel es Hizler ein, zu fragen, ob Kepler die württembergische Konkordienformel unterschrieben habe, was Kepler verneinte, da er es überhaupt nicht für richtig halte, seinen Glauben auf Formeln zu zwingen, vollends aber jener nicht zustimmen könne. Hizler war erstaunt und böse und bestand darauf, Kepler müsse die Formel unterschreiben, die gut und löblich sei, sonst könne er ihn zum Genuss des Abendmahls nicht zulassen. Kepler antwortete, wegen des Dogmatischen möchte es sein, aber dazu könne er sich nicht entschließen, die Anhänger Kalvins zu verfluchen, das sei gegen seine Überzeugung. Was? fuhr Hizler auf, ob er etwa die abscheuliche Ketzerei der Kalviner in Schutz nehmen wolle? Ob er etwa behaupten wolle, dass ein Mann durch etwas anderes als den Glauben selig werden könne? Ob er etwa der Ansicht sei, dass ein Untertan sich der von Gott eingesetzten Obrigkeit widersetzen dürfe? Ob er sich einbilde, dass ein Laie zum Predigen berufen sein könne? Ob der Teufel ihm eingeblasen habe, dass das Brot nicht der Leib Christi sei?
Dabei blickte er, die Hände auf den Tisch gestützt und weit übergebeugt, Kepler aus kleinen, funkelnden Augen drohend an.
Darauf wolle er sich nicht einlassen, antwortete Kepler; er habe im Sinn, bei der lutherischen Lehre zu bleiben, auf die er getauft sei; es möchte auch sein, dass die Lehre Kalvins Irrtümer einschließe, nur könne und wolle er nicht einsehen, warum man sie deshalb verfluchen müsse.
So? rief Hizler hohnlachend, den Grund wolle er wissen, warum man sie verfluchen solle? Kepler möchte doch ihm den Grund sagen, warum man sie nicht verfluchen solle, die der Wahrheit ins Gesicht lögen und wider die Rechtgläubigkeit anbellten!
So möchten er und andere sie immerhin verfluchen, sagte Kepler, nur er könne es durchaus nicht tun, weil er keinerlei Hass oder Abneigung gegen sie habe.
Dabei beruhigte sich Hizler aber keineswegs, sondern kam an den folgenden Tagen wieder, um Kepler abwechselnd zu bedrohen und zu beschwören, dass er die Konkordienformel unterschreibe. »Lieber«, rief er fast weinend, »was gehen dich die Erzschelme und Teufelskinder von Kalvinisten an? Ach Lieber, verfluche sie doch! Verfluche sie in Gottes Namen! Verfluche sie wenigstens mit der Zunge, wenn auch dein Herz nicht dabei ist!« Indessen trotz seiner Verträglichkeit tat ihm Kepler den Willen nicht, worauf Hizler ihn, wie er gedroht hatte, vom Abendmahl ausschloss. Dies glaubte Kepler als einen groben Schimpf sich nicht bieten lassen zu sollen und wendete sich klagend an das Konsistorium in Stuttgart. Wegen seiner Parteinahme für den Gregorianischen Kalender schon vordem gegen ihn eingenommen, entschied dasselbe dahin, Kepler sei ein Schwindelhirnlein, das sich allzu sehr aufblase, wenn er glaube, in theologischen Fragen andere meistern zu können; er solle richtige Kalender machen und fleißig in seinem Berufe sein, in der Theologie aber sich von denen zurechtweisen lassen, die dazu befugt seien.
Seitdem blieben die beiden Landsleute verfeindet; Hizler suchte Kepler, wo er ihn traf, durch ingrimmige Blicke und vor sich hin gemurmelte Scheltworte aus dem Gleichgewicht zu bringen. Unter diesen Widerwärtigkeiten litt Kepler umso mehr, als er neuerdings durch Nachrichten aus der Heimat empfindlich beunruhigt wurde; seine Mutter nämlich, die in Güglingen lebte, war der Zauberei verdächtigt worden.
Katharina Kepler, eine kleine, braune, durch vielerlei Mühseligkeiten früh gebeugte Frau, die aber munteren und beweglichen Geistes war, lebte, seit ihre hübsche sanfte Tochter Margarete sich mit dem Pfarrer Binder verheiratet hatte, ganz allein in leidlichen Verhältnissen. Ihr Mann war vor vielen Jahren, des häuslichen Lebens müde, in den Türkenkrieg gezogen und dort verschollen; ihre Söhne waren, bis auf Johannes, ohne höhere Bildung aufgewachsen, einer war, wie einst sein Vater, als Söldner dem Kriege nachgezogen und kam mit Frau und Kindern bettelarm zurück, nachdem er in der Fremde katholisch geworden war. Entrüstet wies ihn die Mutter, bei der er jetzt unterschlüpfen zu können hoffte, von ihrem Tische. In ihrer Einsamkeit vertrieb sie sich die Zeit, die sie sich durch Lesen nicht verkürzen konnte, denn das verstand sie nicht, mit wunderlichen Träumereien oder dadurch, dass sie Besuche aus der Nachbarschaft empfing, mit denen sie bei einem Glase Würzwein plauderte. Irgendwie verdarb sie es mit manchen von diesen Bekannten, vielleicht weil ihre Augen, obwohl sie fern an den Leuten СКАЧАТЬ