Seine Frau. Hanne-Vibeke Holst
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Название: Seine Frau

Автор: Hanne-Vibeke Holst

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Die Macht-Trilogie

isbn: 9788726569612

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СКАЧАТЬ er siebzehn war, waren sie zusammen. Ein Jahr oder zwei war er im siebten Himmel, wie man so sagt. Aber dann ... ja, was dann? Das ist die LP, die sich seitdem auf seinem Plattenteller dreht, mit dem Tonabnehmer immer in derselben Rille. Was ist da passiert? Warum hat er sie verloren?

      Bjarne holt eine senffarbene Schnupftabakdose aus der Außentasche seines Blaumanns und klemmt sich einen Klumpen Schnupftabak unter die Oberlippe. Eine Angewohnheit, die er aus den nordschwedischen Wäldern mitgebracht hat, in denen er als Waldarbeiter gearbeitet und sich allzu viele Jahre Gedanken gemacht hat, ohne der Antwort sonderlich näher gekommen zu sein. War es Sonny oder war es die Abtreibung? Dass diese beiden Dinge nicht voneinander getrennt werden können und entweder zusammen oder jedes für sich entscheidend waren, das hat er längst begriffen. Doch obwohl er das Rechenexempel immer wieder und aus immer wieder unterschiedlichen Perspektiven aufmacht, kommt er nie zu einem Schluss, an den er selbst glauben kann. Alles ist leicht und unkompliziert bis zu diesem Augusttag 1966, an dem Sonny gegen einen Laternenpfahl fährt. Er und Linda sind zusammen; sie sitzt hinten auf seinem Motorrad und schmiegt sich eng an ihn, die Arme um seine Taille, während er, Sonny und die anderen Jungen am Samstagabend ihre Paradefahrt die Vesterbrogade auf und ab machen. Lindas Röcke werden immer kürzer, ihre Haare immer länger und seine Lust auf sie immer größer. Doch obwohl sie so kess tut und ihn absichtlich scharf macht, darf er nicht. Nicht »das Freche«. Sie tauscht gern Zungenküsse mit ihm und tanzt eng mit ihm und lässt ihn seinen Unterleib gegen ihren pressen, wenn sie zu Are you Lonesome Tonight knutschen, doch obwohl er sich ein Jahr lang mit Haken und Hüfthalter abmüht, hält sie die Beine fest geschlossen. Sehr viel fester, als manche meinen. Denn der ganze Südhafen glaubt, dass er es von morgens bis abends mit Linda treibt. Und sie lässt sie natürlich in dem Glauben, aber eigentlich macht das alles nur noch schlimmer. Zuletzt ist er so verzweifelt, dass er ihr einen Antrag macht. Ihr vorschlägt, sich mit ihm zu verloben. Falls es das ist. Doch das will sie auch nicht. Sie lacht nur und sagt, dass er die Ruhe bewahren soll.

      Sonny, dem er als Einzigem seine Qualen anvertraut, lacht ihn aus und sagt, dass ihr Lindamädchen eben nicht »so eine« ist. Denn Linda ist schlau. Im Gegensatz zu so vielen anderen ist sie sich durchaus darüber im Klaren, was es für den Marktwert bedeutet, einen Ruf als »abgelutschtes Bonbon« zu haben. Außerdem ist sie nicht der Typ, der mit sechzehn schwanger wird. Linda hat Mumm, sie wird studieren und all das. Sonny sagt das nicht direkt. Aber auf die eine oder andere Weise schwingt eine Warnung in dem kameradschaftlichen Lachen mit. Wie ein im Stahlkamm verstecktes Sprungmesser. Er darf nicht zu weit gehen mit Linda. Sie ist ihr Mädchen. Sonnys und Max’.

      So wartet er diesen ganzen Sommer, ohne zu wissen worauf. Darauf, dass Linda erwachsen wird, vielleicht. Sie braucht nur noch ein Jahr bis zum Realschulabschluss, und ein Jahr hat schließlich nur dreihundertfünfundsechzig Tage – und Nächte! –, sagt er sich. Aber was, wenn sie bis zum Abitur warten will? Das sind noch weitere drei Jahre! Und wem sie da alles begegnen kann! Auf so einem Gymnasium. Wird sie ihn überhaupt noch beachten, wenn sie erst so weit gekommen ist? Obwohl er seine Lehre als Schlosser bald beendet und einen festen Job bei B&W hat?

      Vermutlich erinnert er sich falsch, doch in seiner Erinnerung ist es ein besonders warmer und schwüler Sommer, in dem der süßliche Gestank des Hopfens über der Brauerei hängt. Sie hat einen Sommerjob drüben bei Carlsberg bekommen, arbeitet im Dreischichtbetrieb in einer der neuen Kolonnen in der neuen Zapfhalle, wo sowohl seine wie auch ihre Mutter die Bierkästen kontrollieren. Doch während die älteren Frauen immer müde sind und sich grau und erhitzt aus dem Tor schleppen, ist Linda verblüffend frisch, ob er sie nun um sechs nach der Nachtschicht abholt oder nach der Abendschicht um zweiundzwanzig Uhr. Nachmittags ist er selbst auf der Arbeit und kann nicht da sein. Aber ansonsten ist er zur Stelle, sowohl was das Bringen als auch was das Abholen angeht. Jedes Mal schwillt er vor Stolz an, sodass er aus seinen eigentlich durchschnittlichen Dimensionen herauswächst und sich wie ein amerikanischer Filmheld fühlt, wenn sie ihm winkend entgegengelaufen kommt und ihre langen Beine vor den Augen von Hunderten schwitzender Männer über den Sattel schwingt, die sich alle wünschen, dass sie so ein Motorrad hätten und Linda ihr Mädchen wäre. Dieses verliebte Ziehen im Bauch hat er seitdem nie mehr erlebt, und so war dieser Sommer – schwindelerregend, erregend. Trotzdem hat er die ganze Zeit diesen unheilverkündenden Druck empfunden, gespürt, dass die Wolken sich zusammenzogen und der Himmel bald von Blitzen zerrissen sein und das Unwetter losbrechen würde. Über seinem sündigen Haupt, denn seine Gedanken kreisten unentwegt um die fleischliche Vereinigung mit Linda, nach der er sich so sehr sehnte. Und das Unwetter kam. An einem Samstag im August wurde die Hitzewelle, die, auch nachdem sie wieder mit der Schule begonnen hatte, weiter anhielt, jäh von einem plötzlichen Wolkenbruch abgelöst, der alle überraschte. Unter anderem die Campingtouristen auf dem Tomtelli-Campingplatz am Mosede-Strand, zu dem die ganze Bande regelmäßig fuhr, um von Samstag auf Sonntag zu zelten, Bier zu trinken und laute Rockmusik auf den mitgebrachten Koffergrammofonen zu spielen. Es waren immer viele Mädchen da draußen, doch Linda bekam nur selten die Erlaubnis mitzufahren. Und an jenem Wochenende musste sie einen Aufsatz schreiben und ihrer Mutter bei der Wäsche helfen, und deshalb hatte er auch keine Lust zu fahren. Aber Sonny fuhr. Dieser Junge war, um es mit Max’ Worten zu sagen, mit einer hohen Oktanzahl im Blut geboren, sein Motto lautete leb intensiv, stirb jung, und deshalb schwang er sich gleich nach Feierabend in der Autowerkstatt, in der er gerade eine Lehre als Mechaniker gemacht hatte, auf seine Yamaha YDS3 und preschte dröhnend davon. Eine Stunde später als die Kameraden, weil die Werkstatt einen Wagen des Taxiunternehmens Sydhavnsbiler hereinbekommen hatte, bei dem hier und jetzt der Kühler abgedichtet werden musste. Doch er holte schnell einen Teil der Verspätung ein, denn man konnte rekonstruieren, dass er die Strecke von der Bådehavnsgade bis zum Kilometerstein 24 bei Tomtelli in weniger als zwanzig Minuten zurückgelegt hatte. Was bei dem Wetter viel, viel zu schnell war. Mithilfe schockierter Zeugen und der Polizei konnte man auch rekonstruieren, was passiert war. Sonny war im strömenden Regen, der die ohnehin schlechten Sichtverhältnisse noch weiter verschlechterte, mit hoher Geschwindigkeit den Gl. Køge Landevej entlanggerast, der auch die Landstraße des Todes genannt wurde. Deshalb hat er den ihm entgegenkommenden Lieferwagen nicht gesehen, der in dem Augenblick den Hügel herunterkam, in dem er sich angeberisch in die Kurve legte, um nach links auf den Campingplatz abzubiegen, ein Kunststück, das dazu gedacht war, den Eisessern am Kiosk zu imponieren. Im Übrigen umsonst, weil an diesem Tag niemand dort stand. Alle hatten vor dem Regen Schutz gesucht. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, bremst er gewaltig, doch wie jeder Motorradfahrer weiß, ist es fast unmöglich, eine jähe Bremsung auf einer regennassen Fahrbahn vorzunehmen, ohne die Gewalt über die Maschine zu verlieren. Er kommt ins Rutschen und wird in die Luft geworfen und direkt gegen einen Laternenpfahl geschleudert, der erst Jahre später entfernt wird. Es zertrümmert ihm die Schädeldecke; Helme sind etwas für Schlappschwänze.

      Danach war der Sommer vorbei, obwohl er noch endlose Wochen weiterging. Ja, in gewisser Weise war alles vorbei, als der Sarg im Flammenmeer des Krematoriums verschwand. Jedenfalls was Bjarne anging. Auf dem Begräbnis biss er die Zähne zusammen, während Linda hemmungslos schluchzte. Dafür war sie diejenige, die die Zeit danach am besten durchstand. Die sich um das Praktische kümmerte. Die sich des erst vierjährigen Niller annahm und den Haushalt führte, als Åse, die Mutter, zusammenbrach und nach Dianalund kam. Linda war diejenige, die sich von der Schule beurlauben ließ und mit Max im Brauereiwagen herumfuhr und allen Gastwirten und Kneipenbesitzern auf ihrer Route erzählte, was passiert war. Sie war diejenige, die ihren Vater aufmunterte und ihm das Bier rationierte, als er allzu viel zu trinken begann. Und sie war auch diejenige, die ihn, Bjarne, tröstete. Sie ließ ihn abends bei sich weinen; sie strich ihm übers Haar und versicherte ihm, dass ihn keine Schuld traf. Aber sie widersprach ihm nie, wenn er sagte, dass es besser ihn, Bjarne, getroffen hätte statt Sonny. Bestenfalls konnte er sie dazu bewegen, einen ihn zum Schweigen bringenden Finger auf seine Lippen zu legen oder zu flüstern, dass er so etwas nicht sagen durfte. Allmählich wurde die Verzweiflung darüber, dass sie ihn, der er am Leben war, weniger liebte als Sonny, der tot war, zu einem größeren Schmerz als die Trauer um den verlorenen Freund. Und unreif, wie er war, endete es damit, dass er sie eines Abends so fest an den Oberarmen packte und eine Antwort verlangte, dass sie stöhnte. Wünsche sie sich, dass nicht Sonny, sondern er, Bjarne, bei dem Unfall umgekommen wäre? СКАЧАТЬ