Название: Seine Frau
Автор: Hanne-Vibeke Holst
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Macht-Trilogie
isbn: 9788726569612
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Gert Jacobsen wehrt lächelnd ab.
»Lässt sich der gegen ein Bierchen eintauschen?«, fragt er, und der in der Hierarchie hoch angesiedelte Gewerkschaftsangestellte nickt beifällig, er ist auch nicht für das süße Zeug, und als die Geschichte später die Runde macht, sind alle sich einig, dass das mit Sicherheit das erste Mal war, dass jemand Gert Jacobsen das Wort Bierchen hat in den Mund nehmen hören.
»Was zum Teufel will er?«, fragt Lonnie mit hochgezogenen Augenbrauen, als die Geschichte bei ihr ankommt. Doch ihr Vorbehalt hat kein Gewicht, denn alle im Haus wissen, dass er sie zum Erröten gebracht hat, als sie die fünfzehn roten Rosen und den Kuss auf die Wange entgegengenommen hat, der ihr allem Anschein nach gut bekommen ist. Und wie kann sie auch auf alten Positionen beharren, wenn sie sich noch lange danach an den Duft seines Aftershaves, Armani, und den leichten Druck auf ihrem Oberarm erinnert, von dem gewisse Frauen weiche Knie bekommen. Außerdem muss sie schließlich den anderen recht geben, dass es nichts bringt, an den Sympathien und Antipathien der Vergangenheit festzuhalten. Es ist immerhin ihre Aufgabe, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Allein deshalb müssen sie auf das richtige Pferd setzen. Das mit den überzeugendsten Gewinnchancen.
Was ich hier mache, ist weiß Gott obskur, und ich mache es auch nur, weil ich es meinem kleinen Bruder Niller versprochen habe. Er hat das Ritual erfunden; ich weiß nicht, ob er es von seinen suspekten Rockerkumpeln hat, es sollte mich aber nicht wundern. Jedenfalls hocke ich jetzt im streifigen Dezemberlicht im Urnenhain des Westfriedhofs, auf dem der Jensen-Clan seinerzeit in eine Familiengrabstätte investiert hat, und mache mich mit Kerzen und Kerzenanzünder zu schaffen. Das angezündete Grablicht stelle ich vor den Stein meines großen Bruders Sonny – »Danke für alles, kleiner Sonny, 9.4.1948 – 20.8.1966« –, und wie immer spüre ich einen Kloß im Hals und muss den Marmorfußball anfassen, für den die alten Kameraden aus seinem Verein Frem gesammelt haben, obwohl er zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr bei ihnen spielte. Er hatte auf dem Gl. Køge Landevej einen Unfall mit seinem neuen Motorrad und war auf der Stelle tot, achtzehn Jahre alt, und dass mein Vater und nicht meine Mutter ihm im Grab Gesellschaft leistet, ist eine der teuflischen Ungerechtigkeiten, die man Schicksal nennt. Denn meine Mutter wünschte sich nichts sehnlicher, als ihrem Sohn zu folgen, je eher, desto besser, während mein Vater sich Tag für Tag weiterkämpfte, verbissen die Melodie der Zeit pfeifend, bis er vor acht Jahren den Löffel abgab und mit Schürze und auf dem Sargdeckel liegender Kutschermütze begraben wurde. Meine gebrechliche Mutter hingegen, die Märtyrerin der Familie, scheint uns alle zu überleben; vermutlich ist sie so mit Medikamenten vollgepumpt, dass nichts sie kleinkriegt. Niller, mein kleiner Bruder, der Bandidos-Rocker, der für einen Skandal sorgte, als er zum Begräbnis meines Vaters in der Rockerlederjacke anrückte, hat dem alten Max die letzte Ehre erwiesen, indem er andächtig ein Starkbier über dem Sarg ausleerte. Eine Handlung, die die Trauernden sozusagen in zwei Parteien teilte. Die, zu denen auch Gert und meine Mutter gehörten, die feine Kaufmannstochter aus Hjørring, die noch nie etwas so Geschmackloses erlebt hat, und die, zu denen meine Vetter und die anderen alten Carlsberg-Kameraden zählten, die laut und befreit gelacht haben. Seitdem besteht Niller darauf, die Tradition fortzusetzen und dreimal im Jahr ein Bier über dem Grab meines Vaters auszuleeren – am Geburtstag meines Vaters, an seinem Todestag und zu Weihnachten. In diesem Jahr sitzt er zufälligerweise in U-Haft im Westgefängnis und kann das Ritual nicht selbst zelebrieren, deshalb muss ich es tun. Das ist das Einzige, worum er mich in all den Jahren gebeten hat. Abgesehen davon, Gert zu verlassen, was er immer verlangt, wenn wir uns ein seltenes Mal sehen oder miteinander telefonieren. Und da ich ihm den Wunsch nicht erfüllen kann, erfülle ich ihm eben diesen.
Also hole ich ein Starkbier aus meiner Tasche, das nach dem Herumrollen in der Tasche überschäumt, als ich es mit dem Flaschenöffner aufmache, der immer in meinem Schminktäschchen liegt.
»Ein richtiges Männerbier!«, höre ich Paps schnaufen, als ich den Schaum vom Flaschenhals sauge. Schon als kleines Mädchen durfte ich einen Tropfen von Vaters Starkbier trinken, und genau wie meine Brüder habe auch ich zum ungeteilten Stolz meines Vaters die Vorliebe des Jensen-Clans für den Hopfen geerbt. Für ihn war das der Beweis, dass auch ich die Familientradition weiterführen und zu Carlsberg gehen würde.
»Ja, Paps, ein richtiges Männerbier«, bestätige ich trocken und leere die Flasche in einer kreisenden, gießenden Bewegung über Grabstein und Bepflanzung aus wie ein Pyromane, der den Tatort mit Benzin übergießt. Anschließend verstecke ich die Flasche unter der hohen, kurz geschnittenen Taxushecke, die dieses Stück Erde umgibt, und erfrische meinen Gaumen mit Aalborg Aquavit. Fröhliche Weihnachten!, proste ich ihnen zu und leere eine kleine Schnapsflasche in kleinen Schlucken, wobei ich mit einer Fingerspitze erst über den einen und dann über den anderen Stein streiche. Ich werde mich nie daran gewöhnen, ihre Namen in Granit gemeißelt zu sehen, doch seltsamerweise habe ich keine Schwierigkeiten damit, meinen eigenen Namen auf dem leeren Platz unter Bierkutscher Max Jensen zu sehen. Aber dieser Platz ist besetzt, dort wird einmal der Name meiner Mutter stehen. Wo werde ich dann hinkommen? Werden sie mich in das Jacobsen-Mausoleum in Frederiksberg werfen? Als zusätzliche Strafe? Alles in allem wäre es cleverer, meine Mutter und mich die Plätze tauschen zu lassen, sodass sie dort draußen zu liegen käme und mit den feinen Leuten Umgang hätte, während ich in Ruhe neben meinem Vater liegen könnte.
Ich glaube, dass auch er das vorziehen würde. Anstatt noch im Jenseits eine Frau mit sich herumzuschleppen, die ihm nie vergeben hat, dass es ihm als schlagfertigem Kopenhagener Matrosen auf einem Flottenbesuch in Aalborg gelungen ist, sie mit seinem Charme zu verführen und damit ihre guten Chancen zunichtezumachen. Sie hätte in der Gesellschaft aufsteigen sollen, nicht absteigen. Und vor allem hätte sie nicht als hart arbeitende Arbeiterfrau in einer engen Wohnung im Kopenhagener Südhafen enden sollen. Dass er auch sie nicht verdient hatte, sondern mit jeder anderen ein lustigeres Leben gehabt hätte, ist ihr seltsamerweise nie in den Sinn gekommen.
»Er schlägt mich«, flüstere ich dem Grabstein zu, den ich rau unter meinen Fingerkuppen spüre. Das habe ich ihm hier draußen schon früher anvertraut, aber er pflegt nur zu antworten, dass ich es, zum Teufel, doch selbst darauf angelegt habe und dass es hin und wieder nötig sein kann, einem widerspenstigen Weib eine zu langen. Davon hat schließlich noch niemand Schaden genommen. Nicht wahr?
Heute bekomme ich keine Antwort, obwohl ich СКАЧАТЬ