Seine Frau. Hanne-Vibeke Holst
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Название: Seine Frau

Автор: Hanne-Vibeke Holst

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Die Macht-Trilogie

isbn: 9788726569612

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СКАЧАТЬ lassen. Er teilt nicht die Furcht der Amerikaner vor dem in ihren Augen naiv schutzlosen Europa; er ist überzeugt, in dem Flugzeug sicherer zu sein als in der immer wieder von Erdbeben erschütterten Bay Area oder in jeder beliebigen amerikanischen Großstadt. Und was Kopenhagen angeht – Dänemark insgesamt –, ist das seiner Meinung nach noch immer ein rührend unschuldiges Märchenland, bevölkert von freundlichen Zwergen jenseits the real world.

      Eine Meinung, die nur noch bestätigt wird, als er sich während des Landeanflugs die Nase am Fenster platt drückt und, nachdem das Flugzeug eine Kurve über Schonen geflogen ist, sich Kopenhagen wie eine beleuchtete Insel in einem dunklen Meer unter ihm ausbreitet. Eine kleine Insel, denkt er zufrieden, denn wie alle Emigranten möchte er das Vaterland in einer versiegelten Zeittasche halten, und deshalb ist jede Veränderung oder Entwicklung nur von Nachteil. Trotzdem starrt er fasziniert auf den gestrichelten Lichtstreifen mitten im Sund, bei dem es sich, wie er sich ausrechnen kann, um die neue Brücke über den Øresund handeln muss. Die Brücke, deren politischer Vater zu sein Gert so stolz ist. Wüsste man es nicht besser, könnte man den Eindruck gewinnen, dass es allein sein Verdienst ist, dass überhaupt etwas aus der Brücke geworden ist. Dass es ihm und seinem politischen Weitblick zu verdanken ist, dass Dänemark und Schweden miteinander verbunden sind. Doch als sein kleiner Bruder hat Ole-Stig gelernt, die Kirche im Dorf zu lassen, wenn es um Gert geht. Denn sein großer Bruder ist ein Prahlhans, das ist er immer gewesen. Er ist auch ein Hitzkopf, ein arroganter s.o.b., ein silly old bastard, und seltsam ehrliebend. Alles in allem wäre er ziemlich unausstehlich, wäre er nicht noch so vieles andere. Superbegabt, intellektuell stimulierend und – das vor allem anderen – sein großer Bruder, der ihn immer beschützt hat. Ohne Gert hätte Ole-Stig die Kindheit in Tansania nicht überlebt. So einfach ist das. Ole-Stig hatte nicht nur eine weißere Haut als Gert und rötere Haare, was ihm an sich schon negative Beachtung einbrachte, um es mit einer erwachsenen Umschreibung auszudrücken. Er war auch eine Heulsuse und hatte nie gelernt, mit der Steinschleuder zu schießen, und kam selbst bei einer Schlägerei mit dem unterlegensten Gegner in Bedrängnis. Er verstand es einfach nicht, sich zu prügeln. Hatte nicht diesen killer instinct, der Gert zum Häuptling der Jungen machte, sowohl der weißen wie der schwarzen. Und obwohl Gert sich nicht zurückhielt und seinen kleinen Bruder wegen seiner mädchenhaften Neigung aufzog, mit Puppen zu spielen und schöne Damen aus den Wochenzeitschriften auszuschneiden, die sie aus Dänemark geschickt bekamen, duldete er es nicht, dass andere mit Fingern auf ihn zeigten. Auch nicht ihr Vater, der es nicht ertrug, dass sein jüngster Sohn sichtlich »entartet« war. Verstiegen wie er war, glaubte er, mithilfe von Strafen aus seinem Sohn »einen richtigen Jungen« machen zu können. Eine Erziehungsmethode, die er konsequent und mit harter Hand durchzog, bis Gert groß genug war, sich zwischen die beiden zu stellen und den Leiden seines kleinen Bruders ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Ob Gert jemals, in seinem tiefsten Inneren, die Homosexualität seines Bruders akzeptiert hat, ist zweifelhaft, aber zumindest hat er immer für dessen Recht gekämpft, homosexuell zu sein. Deshalb hat Ole-Stig trotz der offensichtlichen Fehler und Mängel seines großen Bruders eine Schwäche für ihn. Seinetwegen kann er gern die Ehre für sämtliche Brückenverbindungen, die er will, in Anspruch nehmen, darf prahlen und verschlossen sein, darf dozieren und irritieren. Er vergibt seinem großen Bruder alles.

      Nur ein einziger Punkt stört ihn. Denn obwohl er seinen großen Bruder liebt, ja, ihn irgendwie sogar vergöttert und ihm alle Macht und Ehre dieser Welt gönnt, ist es nicht in Ordnung, not okay, dass er dort weitermacht, wo ihr Vater aufgehört hat. Nicht, dass sie jemals darüber gesprochen hätten. Aber er ist schließlich nicht blind – als Kind einer misshandelten Mutter sieht man so etwas. Die Unruhe, die Angst, die Nervosität. Und die klinischen Spuren natürlich. Er ist immerhin Arzt. Oft schon hat er zerschlagene Frauengesichter repariert und Frauen, die verzweifelt um eine neue Identität gekämpft haben in der Hoffnung, sich so vor ihrem Verfolger verstecken zu können, ein neues Gesicht gegeben. Er hat es sogar gratis gemacht. Für die finanziell Unterprivilegierten. Und das sind schließlich die meisten in dieser Situation.

      Eine Stewardess tippt ihm auf die Schulter. Er hat vergessen, die Stuhllehne aufzurichten. Sie lächelt, blond und skandinavisch. Erinnert ein bisschen an Linda, vor zehn, fünfzehn Jahren. Er erwidert das Lächeln, drückt auf den Knopf und gelobt sich, diesmal etwas zu unternehmen. Mit Gert zu sprechen. Er muss aufhören, seine Frau zu schlagen.

      Es ist nicht ihre Schuld, dass das Flugzeug Verspätung hat. Oder dass er Ankunftszeiten und eventuelle Verspätungen nicht im Videotext gecheckt hat, bevor sie von zu Hause losgefahren sind. Es ist auch nicht ihre Schuld, dass der junge Mann in der Information offensichtlich nicht weiß, wen er vor sich hat, als er nur eine verkürzte und nichtssagende Erklärung herunterleiert, statt ihnen ordentlich zu erklären, warum das Flugzeug Verspätung hat und warum die Gepäckauslieferung so lange dauert. Und es ist schließlich nicht ihre Schuld, dass es so lange dauert, im Café Select neben der Ankunftsschleuse einen Kaffee zu bekommen. Doch sie bekommt alles ab. Sie faucht er an und schimpft er aus, bei ihr beklagt er sich. Zum Beispiel als sie nach einer Pfeffernuss greift und dem Barkeeper mit einem allzu zuvorkommenden Lächeln »Frohe Weihnachten!« wünscht.

      »Nimm dich doch zusammen!«, sagt er und zieht an ihrem Ärmel.

      »Entschuldigung«, murmelt sie und verschüttet etwas Kaffee über den Mantel.

      »Tsst!«

      »Entschuldigung!«, sagt sie wieder und reibt mit einer Serviette über den Fleck. »Das muss ich wohl auf der Toilette machen«, fügt sie mit einem allzu gehetzten Ausdruck hinzu, den er kaum mehr ertragen kann.

      »Da kannst du auch gleich etwas von dieser Kriegsbemalung entfernen. Du siehst aus wie ein geplündertes Weihnachtsbüfett.«

      Stumm dreht sie sich um und verschwindet in Richtung Toiletten. Er hofft, dass Ole-Stig auftaucht, während sie weg ist. Er erträgt diese übertriebenen familiären Willkommensszenen nicht, in denen die beiden Experten sind. So gesehen, sieht er diesem Weihnachtsbesuch auch nicht mit ungeteilter Begeisterung entgegen. Es ist einige Jahre her, dass sie mit ihm allein gewesen sind, ohne Bob. Und es ist einige Jahre her, dass sie so viele Tage unter demselben Dach verbracht haben. Das macht ihn unruhig. Angespannt. Obwohl er sich auch freut, ihn zu sehen. Sehr sogar. Ole-Stig ist trotz allem der Mensch auf der Welt, der ihm am nächsten steht.

      Er hat nicht das Budget für so etwas, der Chefredakteur. Aber er macht es trotzdem. Von seinem eigenen Geld. Spendiert eine Flasche Maltwhisky für die beste Rubrik des Jahres. Er allein bestimmt, wer den Preis bekommt. Und er zweifelt nicht einen Augenblick, wen er am 23. Dezember in sein Büro rufen wird, bevor die Redaktion ihre Arbeit während der Feiertage auf Sparflamme herunterfährt. Die Flasche geht an den supertalentierten Mikael Rud für sein Dead Man Walking. Das Präziseste, was bisher über Per Vittrup geschrieben worden ist. Und deshalb bereits überall zitiert und kopiert wird. Auch auf dem Rathausplatz. Und in Viby. Häh.

      Erst nach den Mittagsnachrichten am 24. Dezember wird Per Vittrup klar, dass er ein Problem hat. Es besteht nicht darin, dass er mit den Weihnachtskarten hinterherhinkt, die sich, geschriebene wie ungeschriebene, auf seinem Schreibtisch stapeln. Das tun sie immer, obwohl seine effektive Sekretärin im Staatsministerium stets dafür gesorgt hat, dass sie trotzdem rechtzeitig herausgingen – jedenfalls die an die anderen Staatsoberhäupter, die Kommissionsvorsitzenden, die Generalsekretäre und die Konzerndirektoren. Dass sie sich dafür entschieden hat, das Angebot anzunehmen, im Büro des Staatsministers zu bleiben, kann er ihr nicht zum Vorwurf machen, obwohl er doch ein wenig enttäuscht war, dass Tove Munch nicht mit ihm gegangen ist. Er fand, sie hatten einen guten Modus Vivendi. Ja, ein nettes persönliches Verhältnis. Never mind. So ist das. In Christiansborg. Und sein Problem ist eigentlich auch nicht, dass man von ihm als ehemaligem Staatsminister nicht mehr erwartet, dem amerikanischen Präsidenten eine Weihnachtskarte zu schreiben, noch dass er selbst keine erwarten kann. Sein Problem knistert wie ein Wackelkontakt in einer Lautsprecheranlage. Ein Knistern, das immer lauter und enervierender СКАЧАТЬ