Seine Frau. Hanne-Vibeke Holst
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Название: Seine Frau

Автор: Hanne-Vibeke Holst

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Die Macht-Trilogie

isbn: 9788726569612

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СКАЧАТЬ vielem anderen beigebracht hat, Schusterbillard zu spielen und Männer um den kleinen Finger zu wickeln. Jedenfalls hat es damals funktioniert. »Er schlägt mich richtig hart«, fahre ich fort, um eine Reaktion zu erzwingen. »Wenn das so weitergeht, bringt er mich um.«

      Jetzt grollt es da unten, aber er antwortet nicht. Er fragt nur; es ist immer die gleiche ängstliche Frage, die er mir stellt: »Bist du böse auf mich?« Und immer antworte ich wie der Spiegel von Schneewittchens böser Stiefmutter: »Warum sollte ich böse auf dich sein?« Und mein Vater lächelt sein Gustav-Winckler-Lächeln, das kann ich hören, als er wie gewöhnlich hinzufügt: »Wir beide verstehen uns, Lindamädchen. Das haben wir immer getan.«

      Ja.

      Ein Gartentraktor nähert sich tuckernd; ich richte mich auf und tue, als sei ich ganz normal. Nicht so eine, die die Toten um Hilfe bitten muss. Tausche die kleine Schnapsflasche gegen eine neue aus der Tasche aus und trinke auch die in kleinen Schlucken leer. Dann ist auch dieses Fest vorbei. Ich muss sehen, dass ich nach Hause komme, obwohl ich gern noch bleiben und mich von der immergrünen Vegetation aufsaugen lassen und darin verschwinden würde. Die kleinen leeren Flaschen lege ich ordentlich zurück in die Tasche. Sie werden heutzutage aus Plastik hergestellt, und ich bin kein Umweltschwein.

      Es ist rührend zu sehen, welche Mühe sich die Leute mit den Grabstätten ihrer Lieben geben. Man stelle sich einmal vor, so geliebt zu werden, dass die Verbliebenen die Grabstätte mit roten Weihnachtstulpen schmücken, mit Mooskränzen in Herzform, Leuchten in Elfengröße und ganzen Zwergenlandschaften, um das Andenken an die Verstorbenen wachzuhalten. Vielleicht weil es einfacher ist, sich den Toten gegenüber liebevoll zu verhalten als den Lebenden, denke ich mit einem angetrunkenen Hauch von Bitterkeit, als ich an einer Grabstätte nach der anderen vorbeigehe. Einige der Namen erkenne ich im Vorbeigehen wieder – da liegt die Milchverkäuferin, da unser Untermieter, der Fettberg, der so laut gepupst hat, dass wir es oben hören konnten, und da meine Schulkameradin Marianne, die vor zwei Jahren von der Carlsbergbrücke gesprungen ist. Sie war so tüchtig, war Gymnasiallehrerin am Rysensteen-Gymnasium. Ich defiliere an allen vorbei, Bekannten wie Unbekannten, und obwohl ich die Trauer über die Verlorenen wie eine Tür im Durchzug klappern spüre, stapfe ich hölzern weiter. Bleibe erst stehen, als ich fast aus der Abteilung für die gewöhnlichen Sterblichen heraus bin und zu einem frisch ausgehobenen Grab komme, das noch ganz mit Sargschmuck bedeckt ist. Aus dem »letzten Gruß« auf dem Schriftband geht hervor, dass hier ein junger Ehemann, »Mein Geliebter«, und »Paps« liegt. An einigen Kränzen stecken Kinderzeichnungen und in Plastikhüllen Briefe von Thea, Emilia und Matthias, die den Verstorbenen als Engel, Weihnachtsmann oder lächelnden Vater in einer gestreiften Badehose mit einer winkenden Tochter auf jedem Arm und einem kleinen Jungen auf der Schulter darstellen.

      Niemand kann mir vorwerfen, eine Heulsuse zu sein, auch Gert nicht, doch hier brechen die Dämme. Die Tränenflut bricht hervor, ich will das nicht, kann mich aber nicht beherrschen, sondern krümme mich in einem gewaltsamen Weinen zusammen, das erst nachlässt, als ich mit zitternden Fingern den Verschluss von der dritten Nur-für-den-Notfall-Flasche geschraubt habe und die augenblickliche, brennende Linderung des Alkohols spüre. Ich schniefe, putze mir die Nase mit einem Papiertaschentuch und wische vorsichtig die zerlaufene Mascara mit einem Zipfel des Tuchs weg. Reiße mich zusammen und setze mich wieder in Bewegung, als der Friedhofsgärtner mit seiner fleecegefütterten Ohrenmütze von seinem Traktor gestiegen ist und mit zielgerichteten, effektiven Bewegungen zu graben beginnt. Offenbar hat er mich nicht bemerkt.

      Als ich einen Abstecher zum See hinuntermache, der zugefroren ist und wie ein angelaufenes Silbertablett daliegt, erinnere ich mich wieder an meinen Erzeuger, der immer darauf bedacht war, dass die junge Generation die »großen Sozialdemokraten« wertschätzte. Die Kämpfer, die hier um das idyllische Seeufer zur Ruhe gebettet sind, wo ich mehr als einmal, sommers wie winters, im Gebüsch geküsst worden bin. Vor allem Stauning musste andächtig Ehre erwiesen werden, und auch H. C. Hansen und Hedtoft haben verdient, dass die Herren die Kappen abnehmen. Krag dagegen war schon zweifelhafter, und Hækkerup hat seinen Ruhm verspielt. Aber Grabsteine haben sie auch bekommen, gekauft und bezahlt von der Sozialdemokratie, und sogar ihre Frauen sind hier bestattet. Wenn Krag, Gerts Vorbild, sein Privatleben im Griff gehabt hätte, wären auch Gelder der Partei geopfert worden, Frau Krags Namen eingravieren zu lassen. Jetzt liegt er seltsam allein da, wie ein Single auf einer Veranstaltung für Paare. Genau in dem Augenblick, als ich mir Krags Initialen, J. O. – Jens Otto –, ansehe wird es mir klar. Um was es eigentlich geht. Für Gert und Per V. und all die anderen. Klar in der ganzen jämmerlichen Einfachheit. Derjenige zu sein, dem ein Denkmal gesetzt wird. Derjenige, der einen Platz hier unten im ersten Rang am Roten Meer bekommt. Eine VIP-Grabstätte mit einem Kranz zu Weihnachten; sie alle haben so ein von der Partei gesponsertes Moosteil bekommen, stelle ich fest, und einen Platz in den Geschichtsbüchern. Und wenn ich mich ordentlich benehme und zusammenreiße, kann ich nicht nur die First Lady werden; als Frau meines berühmten Mannes wird es mir erlaubt, ewig um meine eigene Achse zu rotieren. Frau Staatsminister. Das ist doch was. Ich hätte darauf angestoßen, hätte ich den mitgebrachten Proviant nicht bereits geleert. Die drei kleinen Schnapsflaschen sind die gesamte Tagesration. Ich habe meinen Verbrauch rationiert; morgen kommt Ole-Stig, und er soll mich nicht durch die Gegend torkeln sehen.

      Ich schlage den Pelzkragen hoch und ziehe die Handschuhe an. »Ewig besitzt man nur das Verlorene«, flüstert mir einer der Kämpfer mit feierlichem Pathos zu. Ja, daran hätte er früher denken sollen. Da hat Thad Jones’ Motto schon mehr zu bieten: Live Life This Day. In meinem überspannten Gehirn wird diese Ermahnung zu einem Trompetensolo für Frauen, die – Friedhöfe – zu sehr lieben, und ich eile hastig weiter zum Ausgang bei der Kapelle, während ich, ohne stehen zu bleiben, die Zigaretten aus der Tasche fische. Ich höre Stimmen. Bin verrückt, wie er sagt. Doch die Schneeflocken, die langsam auf mich herunterfallen, als ich den ersten Zug nehme, sind wirklich. Und so, wie mein Leben sich entwickelt hat, sind selbst ein paar Schneeflocken zwei Tage vor Weihnachten ein gutes Zeichen. Etwas, das mich fröhlich macht und zum Lächeln bringt, einfach so.

      Es ist seine verdammte Schüchternheit, die ihn zögern lässt. Als er sich endlich zusammenreißt, um ihren Namen zu rufen, ist sie in einem Schneeschleier verschwunden. Dafür weiß er jetzt, wo er sie mit langen, wiegenden Schritten Richtung Kapelle gehen sieht, endgültig, dass es wirklich Linda war, die er vorhin im Urnenhain gesehen hat. Seine Linda von damals. Linda Lykke, die Glückliche, an die er jedes Mal denkt, wenn er die Grabstätte ihrer Familie in Ordnung bringt und sie nahezu aus den Gräbern zu ihm herauszuspringen scheinen. Lebendig. Sonny und Max. Sonny auf seinem Motorrad, mit dem Stahlkamm, der aus der Tasche seiner Lederjacken guckt, und Max, warum auch immer, mit einem Würfelbecher in der Hand unten im Las Vegas sitzend. Eigentlich ungerecht, dass gerade dieses Bild hängen geblieben ist. Denn so oft ist er nicht ins Wirtshaus gegangen, der alte Max, und so viel gewürfelt hat er auch nicht. Aber er muss in diesem Moment etwas Lustiges gesagt haben, da er ihm so in Erinnerung geblieben ist. Vielleicht war es aber auch Linda, die die Zeit hat stillstehen lassen. Vielleicht hat sie gerade eine ihrer gescheiten Bemerkungen von sich gegeben. Vielleicht hat sie genau in diesem Augenblick fest seinen Oberschenkel gedrückt oder die Beule in seiner Hose mit ihren langen, schnellen Fingern unter dem Tisch gestreift, die überall und nirgends zugleich sein konnten.

      Bjarne war verrückt nach Linda, wer war das nicht. Der ganze Südhafen konkurrierte darum, Linda ins Enghave-Kino einzuladen, bei der Tombola auf dem Mozarts Plads Rosetten für sie zu schießen, sie auf getunten Mopeds zur Bavnehøj-Schule zu bringen oder abzuholen und ihr in der Engelbert-Petersen-Konditorei Kuchen zu kaufen. Die Frühreifsten luden sie sogar in den Vergnügungspark Bakken ein oder – was auch vorkam – ins feine Tivoli. Doch der Unterschied zwischen Bjarne und den anderen Jünglingen war der, dass er sie geliebt hat. Alles an ihr hat er geliebt. Ihr lautes Lachen, ihr schiefes Lächeln und ihre Tollkühnheit. Er hat sie geliebt, weil sie ein kluger Kopf war. Weil sie dem Teufel ein Ohr abquatschen und wiederum ganz still sein konnte. Weil sie ihn, Bjarne, verstand, obwohl er sich nicht richtig ausdrücken konnte. Jedenfalls nicht mit Worten. Er hat sie geliebt, weil sie Sonnys kleine Schwester war. Na schön, auch СКАЧАТЬ