Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ Schröfel noch um achte.«

      »Er soll morgen noch einmal nachfragen. Es wird sich ja zeigen.«

      Liese hatte während dieses Gesprächs die verirrten Stühle geordnet und bückte sich eben nach der Kleiderkiste. Bei den letzten Worten Fabers schrak sie herum und stotterte erbleichend:

      »Ich sollte ihn aber doch abbestellen.«

      »Nein, es kann sich doch wohl noch ändern«, antwortete Faber gezwungen – leicht, ihren plötzlich ratlos gewordenen Blicken ausweichend.

      Einen Augenblick stand das Mädchen betroffen da. Dann sagte sie dumpf: »Nu da«, und ging hinaus. Ihre abfallenden zierlichen Schultern waren noch hängender, das Köpfchen auf dem schmalen Hals tief geneigt, das ganze krankhaft feine Figürchen eingesunken. Zögernd knarrte die Tür ein; unentschlossen, dann und wann aussetzend, hörten wir ihren leisen Schritt auf der Stiege.

      Wir sahen schon am Tisch, und Faber lauschte mit dem Ausdruck der Trauer ihrem verhuschenden Gange. Plötzlich riß er sich zurück und sagte:

      »Ja, das nutzt eben nichts!«

      Dabei zuckte er leidenschaftlich die Achseln und atmete tiefer aus.

      Weil ich ahnte, daß zwischen den beiden eine tiefere, feinere Unstimmigkeit herrschte, als die gelegentliche Mißhelligkeit zwischen Herr und Dienstbote, hütete ich mich, mit einem Wort daran zu rühren, sondern kam, ein klein wenig innerlich beklemmt, der Aufforderung Fabers, tüchtig zuzulangen, nach. Denn ich war gewiß, die nächsten Stunden würden auch über diese Angelegenheit Licht verbleiten. Das behagliche Gespräch, wie ich es beim Mahle liebe, war aber mit meinem Gegenüber nicht in Gang zu bringen. Er begnügte sich mit halben Antworten und hantierte dann wieder leidenschaftlich mit dem Eßgerät, stumm und eilig, wie es die Art Einsamer ist.

      »Dein Vater übernahm nach dem Tode seiner Mutter das Anwesen?« fragte ich darauf, denn ich hoffte, Faber so wieder in Bewegung zu setzen.

      »Anwesen. Na ja. Es war ein einstöckiges, holzgedecktes Häuschen, eng und verwinkelt, das ein wenig in die stille Wiesenstraße hineinsprang.«

      »Von seinem Bruder hat er auch damals nichts erfahren?«

      »Nichts. Das Gericht erließ, wie das in den Fällen üblich ist, eine Aufforderung in allen Zeitungen an ihn, sich zu dem Erbe zu melden. Ohne jeden Erfolg. Es war wenig zu holen, und ihm lag wohl daran, verborgen zu bleiben.

      »Dein Vater blieb lange ledig?«

      »Ja, aber wie kommst du zu der Ansicht?«

      »Nun, ehe seine Seele sich mit der toten Mutter ganz auseinandergesetzt hatte, mußte wohl eine lange Zeit vergehen.«

      Faber sah mich verlorenen Auges lange an und antwortete dumpf:

      »Hast recht, hast ganz recht. Vielleicht war es ihre Absicht, meine Geschwister und mich überhaupt zu hintertreiben. Es sieht wirklich fast aus, als sei ich unberechtigter Weise auf der Welt.«

      Bei diesen Worten nickte er schwer mit dem Kopfe, indeß er hüstelnd Brotkrümchen auf dem Tischtuch zusammenlas.

      »Aber Faber!«

      »Nein, nein«, antwortete er heftig auf meine Mahnung. »Muß eine Mutter, die im Leben vollständig Schiffbruch gelitten hat, nicht sehnsüchtig wünschen, daß ihren Kindern ein gleiches Los erspart bleibe, und kann der Mensch anders vor der Qual des Lebens bewahrt werden, als daß man seine Geburt verhindert? So ist wohl der Schatten der Toten immer drohend mit meinem Vater aus- und eingegangen und hat an seinem Bett gesessen und sich über seine arbeitenden Hände gebeugt. Es sind gewiß schlimme, finstere Jahre für ihn gewesen. Mit seinem Handwerk ging es auch nicht vorwärts. Oft waren Pfennige seine ganze Barschaft. Er hat mir manchmal davon erzählt. Aber zuletzt – zuletzt – es kann nicht anders gewesen sein – die toten Menschen haben eine größere Kraft über uns als die lebendigen; ihre Liebe ist Unerbittlichkeit; ihr Mahnen Drohen; ihr Ernst hat nur Peitschen, und ihre Enttäuschung über uns wird zur Verzweiflung des Herzens. Ob wir zurückweichen vor ihnen, ob wir ihren blassen Spuren folgen: es ist gleich, wir verfallen immer tiefer jenem unwandelbaren Erstarren, aus dem heraus die Entschlafenen schrecken oder anziehen. Und ehe mein Vater von seiner toten Mutter ganz ausgesogen war, stellte er in der Notwehr zwischen sie und sich milde, still verzückte Augen, eine reine, tiefe Seele und ein heiliges, liebes Herz: sein Weib, meine Mutter.«

      Faber hatte zu essen aufgehört und starrte, die Arme aufgestützt, jetzt stumm auf den Tisch.

      »Du willst damit sagen,« sprach ich, »daß eigentlich nicht Liebe sie zusammengeführt hat?«

      »Liebe,« erwiderte er dumpf, »wenn man darunter die Tanzwanderung nach einer außerirdischen Sonne versteht, nein; aber insofern Liebe des Lebens tiefste, unumgängliche Notwendigkeit ist, ja. Trotzdem ehelichte mein Vater meine Mutter nicht, sondern nahm sie nur zu sich.«

      »Er schloß also eine Gewissensehe?« fragte ich.

      Faber lächelte spöttisch.

      »Nein, nein! Alles war komplett: Aufgebot, Trauung mit Ring, Weihe und Pfarrer. Gott bewahre! Aber sie blieben Getrennte auch nach der Vereinigung. Das weiß ich gewiß, denn ich erlebe es an mir bis heute. In jeder Neigung und Hoffnung, in jeder Sehnsucht und jedem Entschluß bin ich gespalten. Wir müssen, nicht weil wir wollen, sondern aus Zwang, aus unerbittlicher Not heraus. Ich kann eher aus der Welt hinausspringen als aus dem Tanz, zu dem die da drunten mir aufspielen.«

      Ich begnügte mich damit, den Kopf verneinend zu bewegen.

      »Nicht?« fragte mich Faber und sah finster aus.

      »Nein,« antwortete ich fest und ruhig, »denn dann hätte unser Leben keinen Zweck und keinen Sinn, als die Zwecklosigkeit und den Widersinn derer, die wir zeugen und dadurch in den Tod hetzen. Siehe, alle unsere Handlungen nach der Vergangenheit werten, heißt immer in der Nacht bei Lampenlicht arbeiten. Erinnerung ist eine Denktätigkeit. Können wir nicht Denkfehler begehen, und hast du vorhin nicht selbst gesagt, daß unter zweifelsüchtigem Bohren dein ganzes Leben sich in Spuk auflöst?«

      Faber saß auf diese Entgegnung eine Weile betroffen da, dann sprang er so heftig auf, daß sein Stuhl polternd zurückfuhr und begann, die Hände tief in die Taschen gewühlt, stark in der Stube auf- und niederzuwandern. Kaum war er dreimal die kurzen Dielen hin- und hergeschritten, als Liese die Tür geräuschlos öffnete, erschreckt stutzte und, weil ich auch aufstand, herankam und den Tisch abräumte. Sie war noch immer tiefblaß und verängstet. Faber aber trat sofort ans Fenster und sah hinaus. Ich nahm ein Buch, und darin blätternd warf ich dann und wann einen Blick auf die beiden. Ohne das Auge zu erheben, ordnete Liese alles, langsam und Peinlich genau, wie mir schien, mit Absicht trödelnd. Doch mein Freund regte sich nicht, sondern war in dem Anblick der schönen Nacht versunken. Da ging sie endlich, hielt in der Tür einen Augenblick inne, richtete ihren Blick nach Faber hin, als wolle sie ihn anreden, atmete aber nur tief und verschwand. Auf das Einschnappen des Schlosses erhob sich Faber eilig und ging ihr nach. Ich hörte ihn auf der Treppe gedampft und gütig auf sie einreden, die mit Trauer in der Stimme antwortete. Als er wieder hereingekommen war, trat er vor mich hin und schüttelte lächelnd den Kopf.

      »Ein seltsames Mädchen! Sie bildet sich ein, wir könnten sie noch zu dieser oder jener Hilfeleistung brauchen und ist mit nichts zu bewegen, nach Hause zu gehen. – Da wird sie nun da unten sitzen und gespannt auf jeden Laut und Schritt von uns lauschen. Was soll man da machen?«

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