Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr
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Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

Автор: Hermann Stehr

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831040

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СКАЧАТЬ ihn und die Kiste, kehrte sich um, ließ seinen Blick über das Stübchen gleiten, sah mich dann tief an, nickte schmerzlich mit dem Kopfe und sagte: »Ja, Herr Kastner...« Seine Stimme klang trauervoll, und mit einer Armbewegung, als werfe er etwas von sich, setzte er sich auf einen Stuhl, stützte seine Arme auf die Knie und legte die Hände flach gegeneinander, indem er genau Finger auf Finger paßte. Als ich ihn so sitzen sah, dem schweren Klang seiner Stimme in mir nachlauschte und im Überschauen die Unordnung gewahrte, in der sich das Stübchen befand, erblickte ich in mir nicht nur das schmerzensblasse Gesicht Fabers, wie es aus meinen unruhigen Nächten mich angesehen hatte, sondern mußte auch daran denken, wie sicher mein Ahnen gewesen sei, das mir vor kurzen Stunden den vor mir Sitzenden als einen Menschen gezeigt hatte, der, vom Trittbrette eines abfahrenden Zuges herab, noch einige Worte zu mir reden wollte. Eben hatte ich mir vorgenommen, das peinliche Schweigen durch die Erzählung meiner nächtlichen Heimsuchungen zu brechen, als Faber den Kopf hob und bitter zu mir heraufsprach: »Warum sagen Sie denn nicht, was Sie von mir eben denken?«

      »Da haben Sie recht,« erwiderte ich betroffen, »eben habe ich über Sie nachgedacht...«

      Allein, noch ehe ich vollenden konnte, stand er auf, rückte geräuschvoll den schief in die Stube stehenden Tisch vor das einfache Sofa und unterbrach mich mit sarkastischem Lachen: »Nun, mein lieber Herr Kastner, warum schießen Sie denn da nicht los? Sie wissen doch, daß wir uns vor dem anderen nicht verbergen können.«

      »Trotzdem Sie es wissen,« antwortete ich mit herzlicher Schonung des Aufgelösten, »unternehmen Sie es selbst, nicht bloß jetzt, sondern seit langem, einen Menschen zu täuschen, der den innigsten Anteil an Ihnen nimmt.«

      Er blickte mich betroffen an und lud mich dann ein, am Tisch Platz zu nehmen. Als wir saßen, ich trotz aller Widerspenstigkeit auf dem arg mitgenommenen Sofa, er auf einem Stuhle mir gegenüber, sagte er mit unsicherem Lächeln: »Wie wäre es nun aber, wenn Sie sich täuschten in der Annahme, daß ich es auf die Täuschung des anderen abgesehen habe?«

      »Dann bleibt zweierlei übrig: entweder der Zweifel an jeder Erkenntnis auf Grund von Tatsachen, oder die Überzeugung, der andere sei unsicher in sich.«

      Die Folge dieser scharf zupackenden Antwort war ein lautes Gelächter Fabers, das er ausstieß, aufsprang und mit großen Schritten auf- und niederging. Dann nahm er langsam wieder seinen früheren Platz ein und, als müsse er irgend etwas Störendes am Bein seines Stuhles untersuchen, beugte er sich nieder und fragte: »Nicht wahr, weil ich vor fünf Wochen mich so unbegreiflich auf der Konferenz benommen habe?« Und weil ich nicht den Mut hatte, es ihm schonungslos ins Gesicht zu sagen, richtete er sich auf und wiederholte dringend dieselbe Frage: »Wie? So sagen Sie es nur gerade heraus!«

      »Allerdings habe ich mir zum großen Teil wegen dieser Ihrer seltsamen Haltung die Meinung gebildet, Sie seien Ihrer nicht sicher. Denn wozu in aller Welt warfen Sie der engen, geknebelten Menge den Fehdehandschuh hin? Entweder Sie mußten frisch-fröhlich den Haufen niederrennen wollen, was doch wohl unmöglich ist aus vielen Gründen, die uns die Scham aufs Gesicht treiben müßte, oder Sie hätten am Ende des Vortrages in aller Kühle die Erklärung abgeben müssen, daß Sie die Entlassung aus dem Schuldienst erwarten, wenn man mit solchen Gedanken gegen den Geist des Amtes sündigt oder – – – Mein Gott, ich kann Ihnen sagen, daß ich in den Zeiten, da ich leidenschaftlich über dieses Ereignis nachgesonnen habe, noch eine ganze Menge von Möglichkeiten fand, die Ihrer würdig waren. Doch die Rebellion mit nachfolgender glatter Unterwerfung habe ich nicht anders erklären können, als daß Ihnen die Hand zum Schlage gejuckt hat, daß Sie aber vor den Folgen Ihrer geistigen Aufsässigkeit zurückschreckten.«

      Während ich das sprach, hatte Faber das Gesicht von mir abgewandt und sah zum Fenster hinaus, wo die Sonne hinter den Bergen einen inbrünstig roten Strom ihres verscheidenden Lichtes heraufsandte, der durch blasse Schleier gemildert wurde, die der aufstrebende Mond hineinhauchte. Sein Gesicht, das im Profil zu mir stand, hatte leidend scharfe Linien bekommen, und seine beiden Hände auf dem Tisch waren wie zu verzweifeltem Gebete geschlossen. Am ihm die Überzeugung zu nehmen, ich habe mich durch Rücksichtslosigkeit für die von ihm erfahrenen Kränkungen rächen wollen, erzählte ich alles, was ich um ihn gelitten hatte. »Nach allem, was geheim zwischen uns hin- und hergegangen ist.« damit vollendete ich meine Erzählung, »und was, wie ich immer deutlicher sehe, der Wahrheit unserer Gefühle entspricht, konnte ich nicht anders als ehrlich, ohne Rückhalt zu Ihnen sprechen, um Ihnen und mir zu dienen, und nun bitte ich, geben Sie die Verschlossenheit auf, die, wie ich ahne, zu lange gleich finsteren Wänden um Sie gestanden hat. Denn aus der Luft, die um Sie hängt und beklemmend Ihr ganzes Haus erfüllt, ersehe ich ...«

      Faber ließ mich nicht ausreden, er kehrte mir sein erschüttertes Gesicht zu, erfaßte meine Hände und sagte mit leise vibrierender Stimme nichts als die beiden Worte: »Du! ... Bruder!«

      Damit war auch äußerlich ein Band geschlossen, das lange unsere beiden Seelen auf geheimnisvolle Weise vereinigt hatte. Nachdem wir eine kurze Weile in dieser Stellung verharrt hatten, löste Faber nach einem vollen Druck seine Hände aus den meinigen und trat in einer Art ans Fenster, die mich aufforderte, ihm dahin zu folgen. Es war das linke der beiden Fenster, an das wir traten. Von dessen oberer Hälfte streckte ein Lärchenbaum, der die Ecke des Hauses schützte, seinen untersten Ast schräg vorüber. Ein Fink ging eben mit behutsamem Trippelschritt tiefer in das Geäst hinein. Wir beide sahen den zierlichen Bewegungen des Tierchens zu, das mit ängstlich starren Punktaugen nach uns blickte, und rührten uns nicht, um es nicht zu verjagen.

      »Es sucht sein Nest auf«, sagte Faber mit versonnentrauriger Stimme. »Es weiß, wo es ruhen soll, und wenn es dann am Morgen aufwacht, ist ihm sein Lied gewiß.« Mit einem tiefen Atemzug schloß er die Betrachtung.

      »Wenn er in der Nacht nicht einer Katze zum Opfer gefallen ist«, setzte ich hinzu, um ihn aus seiner, wie ich glaubte, sentimentalen Anwandlung zu reißen.

      »Wenn auch, so bleibt ihm doch die Qual erspart. Da es den Tod nicht kennt, leidet es nicht an seinem Leben«, antwortete er.

      »Oder umgekehrt«, erwiderte ich.

      »Mag sein. Trotzdem ist es seines Lebens sicher, solange es lebt«, sagte er finster nach einigem Sinnen.

      »Und warum sollten wir Menschen es nicht sein?«

      »Weil wir unseres Wesens nicht sicher sind, unserer Notwendigkeit, unserer Absichten; weil unser Ich ein so vielfältig gesponnenes Seil ist, daß, wer es entwirren will, in seiner tiefsten Seele schwindelnd, davon ablassen muß, weil jeder neue Gedanke über die alten stolpert, sich in ihren Netzen verfängt und so im Kreise gewirbelt wird, dem er entrinnen wollte. – ›Ich‹, mein lieber Kastner, ›Ich!‹ Wenn die Rechte die Linke faßt, haben wir das ›Ich‹. So kommt man nicht von der Stelle und sieht doch in qualvoll klaren Augenblicken das Land, wohin man wandern soll.«

      Er schloß mit schwebender Stimme, nicht als ob er am Ende sei, sondern als ob er sich nur unterbreche, und tat einen unauffällig sichernden Seitenblick nach mir hin. Ich hütete mich wohl, ihn durch irgendeine Frage in seinem harten Stolz zurückzuschrecken, denn nach all dem, was ich aus seiner Umgebung und aus seinen vieldeutigen Äußerungen entnehmen mußte, handelte es sich nicht um die Folgen seines Konferenzvortrages, also um einen vorübergehenden Verdruß, sondern hier riß eine Seele an ihrem Grundreis. So harrte ich schonend. Aber ich harrte vergebens. Mein neuer Freund schwieg, und als ich nach ihm hinsah, bemerkte ich, daß er sein vergrämtes Gesicht gegen die Fensterscheiben gepreßt hielt und mit weiten, unbeweglichen Augen in den sinkenden Abend starrte. Als ich dieses Antlitz mit weichem Schmerz so den Schatten hingegeben sah, die unhörbar aus dem Himmel sanken, stieg plötzlich das Bild des keck-trotzigen Mannes vor mir auf, der mich einst am Bach in Wecknitz von sich getrieben hatte. Und ich weiß heute noch nicht, wo ich die Brutalität hernahm, ihn aus gnädigem Versinken zu reißen. Aus bloßen Vermutungen heraus, aber sicher, als СКАЧАТЬ