Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen
Автор: Hermann Stehr
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831040
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Der spitzbübische Slave am Protokolltisch verzeichnete mit eifrigem Wohlgefallen die zerreibenden Sätze des guten Hirten.
Franz Faber erhob sich und erklärte mit unsicherer und gepreßter Stimme, daß sein Thema laute: »Hilfsmittel der Erziehung«, daß aber Jesus Christus einem katholischen Lehrer doch mehr als ein Hilfsmittel sein müsse, und er habe es vermeiden wollen, die Anwesenden mit Beweisen eines Axioms zu langweilen.
Trotz des starken Hiebes gegen Dr. Pfister waren seine Worte nichts als eine vollkommene Unterwerfung.
In Scham starrte ich auf seinen Rücken, der sich ruhig gegen die niedrige Bank preßte.
Der Vorsitzende nahm keine Notiz von Fabers Entgegnung; eine böse Falte legte sich quer über seine gut gepolsterte Stirn, und mit unterdrücktem Widerwillen in seiner Kastratenstimme lud er die Anwesenden ein, Erfahrungen und Fragen aus dem Amtsleben zum Besten zu geben. Niemand fühlte den Mut, Erfahrungen gehabt zu haben, und so erhob sich nach einer gewaltigen Prise der Slave zur Verlesung des Protokolls.
Er hatte die Absicht des geistlichen Rates nur zu gut verstanden und dem Protokoll eine Fassung gegeben, die eine nur leicht verkappte Denunziation Fabers wegen unchristlicher Gesinnung enthielt, denn die Entgegnung des Vortragenden war unterschlagen worden.
»Ich denke, es ist gut so?« fragte der Slave nach Beendigung der Vorlesung zu Dr. Pfister hinauf, und dieser lächelte zurück.
»Hat jemand gegen die Fassung des Protokolls etwas einzuwenden?«
Bei dieser Aufforderung des Vorsitzenden hob Faber ein wenig das Haupt, ließ es aber sobald wieder gleichgültig sinken.
Er mußte einen bewußtlosen Tag haben, daß er sich ergeben den Strick um den Hals legen ließ. Die Empfindung haben, es geschehe eine Infamie und schon aufstehen und die Anfügung der Worte Fabers beantragen, war eines bei mir. Ich tat es mit vor Erregung bebender Stimme.
»Es ist sehr schätzenswert von Ihnen, diesen kleinen Irrtum bemerkt zu haben«, redete Dr. Pfister mit seiner Wöchnerinnensüße und der bösen Falte im Fett seiner Stirn. »Ich möchte nur noch wissen, wie Herr Lehrer Faber sich zu dieser Frage verhält, die das Wesentlichste vom Gang der heutigen Konferenz nur ganz unerheblich berührt.«
Zu meiner Überraschung schüttelte mich der Wecknitzer auch diesmal ab.
»Ich bin ganz der Meinung des Herrn Rates,« sprach er, »daß es sich nur um eine Formalität handelt, habe aber nichts dagegen, wenn meiner bedeutungslosen Worte im Protokoll Erwähnung geschieht.«
Ha, was soll denn das heißen? fragte ich mich, ganz aus den Fugen geraten über so viel Widersprechendes. Der Kaisertoast brauste an mir hin, die Unruhe der hinausströmenden Versammlung trug mich die Stiege hinab, schob mich in den Schulhof, verlief sich, und nach, ich weiß nicht welcher Zeit, grüßte mich ein Mann, der eine blaue Leinwandschürze vorgebunden hatte und sagte:
»Ach, Herr Lehrer, warten Sie etwa auf den Rektor Metzner? Der kommt heute nicht mehr her.«
Ich fand mich unter der Tür nach dem Schulhof lehnen und erkundigte mich nun, ob der Frager der Schuldiener sei. Während er redselig begann, einen Abriß seiner Lebensschicksale zu geben, las ich zerstreut von meiner Uhr die Zeit ab und reichte dem Mann, der eben von seiner Verheiratung erzählte, ein Trinkgeld und ging davon, weil es schon einhalb ein Uhr Nachmittag war.
Ich lief in dem Städtchen umher, ging nach Hause, begann meine Schularbeiten, schlief, arbeitete, trödelte umher, und immer ward ich die quälende Vorstellung nicht los, daß ich Schiffbruch gelitten habe. Ich? Aber so ist es ja. Alles, was geschieht, geschieht an uns. Allein eben, weil ich nicht ergründen konnte, was eigentlich mit Faber vorgegangen war, kam ich in mir nicht zur Ruhe. Es half nichts, die Schnur meiner Vermutungen stets aufs neue abzugreifen, ich stand am Ende immer vor anderen, einander widersprechenden Ergebnissen. Er will sich ducken; er will es. Zu dieser Überzeugung kam ich am leichtesten. Aber, warum hatte Faber dann überhaupt diese rebellische Arbeit vorgelesen, gleichsam sein Haupt auf einer Schüssel seinen Gegnern ostentativ überreicht? Ostentativ. Ja, wenn es Bekehrung war, steckte in diesem aufgewandten dramatischen Apparat eine Menge Pose. Jedoch, warum hatte er den Schluß des Vortrages mit erhobener Stimme, wie eine unabwendbare Kriegserklärung gelesen? Und wenn er sich unterwerfen wollte, warum hatte er meine Hilfe, die ihn von den üblen Folgen disziplinarer Scherereien bewahren sollte, abgelehnt? Vielleicht, weil er jener seltenen Art starker Menschen angehörte, die die Buße von Übeln sich nicht schwer genug bereiten können. Warum? Warum? Ich spann immer neue Schleier von Vermutungen und litt zuletzt unter einer Abspannung, einem leisen Taumel, wie er uns erfaßt, wenn wir lange mit gleichen Schritten um einen kreisrunden Platz gegangen sind. Ich sah Fabers Bild nicht mehr in den Nächten. Aber die Stelle, von der es mir verschwunden war, lag jetzt in mir, und alle Stunden, auch die ruhigsten, erfüllte ein Vibrieren des Fernsten meiner Seele.
Bald aber trat jene Wandlung ein, die ich fast nicht zu hoffen wagte, und die mir für immer den unumstößlichen Beweis erbracht hat, daß ehrliche Sympathie auch die andere Seele, nach der es uns hindrängt, ebenso bindet wie uns. Denn etwa fünf Wochen nach der Konferenz erhielt ich einen Brief von Faber, in dem er mich um einen Besuch in seiner Wohnung bat. Es fiel mir nicht ein, diese Bitte als eine neue Bestätigung seiner Anmaßung zu deuten, sondern, indem ich die ganze Reihe innerer und äußerer Vorkommnisse, von der dieses Brieflein das letzte Glied darstellte, durchlief, wurden mir seine so schlichten Worte bedeutungsvoll, beluden sich mit den Gebilden meiner lebhaften Einbildungskraft und erfüllten mein Gemüt mit Beklemmung. Wir wissen mehr als uns bewußt wird. Nach Schluß des Nachmittagsunterrichts entwickelte ich bei den Vorbereitungen zum Besuch eine solche Eile, als gelte es mit einem Menschen schnell noch ein paar entscheidende Worte zu sprechen, der schon auf einem sich in Bewegung setzenden Bahnzug Platz genommen hat. In voller Aufregung sprang ich die Treppe des Schulhauses hinunter, an Christoph Dünnbier vorbei, der unter der Tür seiner Wohnung erschienen war, mich mit mißbilligenden Augen ansah und die Haare seines nackten Schädels beschützte. Als ich über die Schwelle der Haustür schritt, wagte er, mir ein sehr bedenkliches: Hm, Hm! nachzusenden.
Dann hatte ich das Dorf hinter mir, die sanfte Anhöhe hängte sich in die Knie, und ich mäßigte meine Schritte. Alles Feld lag so seltsam geduckt um mich, die Raine zwischen den Ackerbreiten dehnten sich in ungewohnten Linien in eine Luft hinaus, die mit dem Dunst der leidenschaftlichen Fruchtbarkeit des Mai erfüllt war, einer grauen, ruhelosen Schicht, in der die Laute der Vögel gedämpft erklangen und alle Dinge mit zweiten leuchtend-zerfließenden Umrissen umwittert waren, die den natürlichen Farben einen satteren Ton und eine größere Leuchtkraft gaben. Die Lerchenlieder verloren sich schmachtend in die blauende Höhe, die Birken trugen das verhuschende Grüngewölk der ersten Belaubung mit ihren schlanken Gliedern. Kurz, alles hatte einen so sonderbaren, niegesehenen Ausdruck, daß ich es plötzlich nicht begriff, wie ich auf den Weg nach Wecknitz komme. Solche Fremdheit und Unbegreiflichkeit des Handelns überfällt СКАЧАТЬ