Die wilden Jahre. Will Berthold
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Название: Die wilden Jahre

Автор: Will Berthold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711727157

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СКАЧАТЬ versuchte er, einem Besucher eine Lizenz aufzureden, von deren Wert der Mann wahrscheinlich keine Ahnung hatte.

      Schließlich wollte der Captain ungeduldig die Postkartenerlaubnis ausstellen, als ihm der Mann, der jetzt nervös wirkte, aber doch wohl seine Chance erfaßte, sagte:

      »Bitte, verstehen Sie, Mr. Lessing, eine so große Sache möchte ich mit meiner Familie – vor allem mit meiner Frau besprechen.«

      »Gut«, sagte Felix lachend, »fragen Sie Ihre Frau; und kommen Sie wieder.«

      Flachbauer verließ das Vorzimmer des Captains so rasch, als sei er bedroht worden. Sein Gesicht war zerstreut. Er debattierte innerlich wohl schon mit seiner Frau und ging so achtlos an Martin vorbei wie vorher die amerikanischen Offiziere an ihm. Martin brauchte nicht erst zu fragen, ob er Erfolg gehabt hatte; aber er konnte nicht ahnen, wie reich dieser unscheinbare Flachbauer durch eine Unterschrift seines Freundes binnen weniger Jahre werden würde.

      Das Lächeln entspannte den Captain. Susanne war dem Mann mit den Knickerbockern dankbar dafür. Sie betrachtete Felix und sah, daß die Iris seiner Augen nicht mehr violett war, sondern blau, und der Blick auch nicht starr, sondern lebhaft.

      Er zog Susanne kurz an sich. Seine Hände streichelten ihre Haare. Sie sah überrascht zu ihm auf, denn sie wußte, daß er Zärtlichkeiten im Office nicht mochte.

      »Es ist noch ein Besucher da«, sagte sie.

      »Schluß für heute! Der Nachmittag gehört uns.«

      »Er hat schon so lange gewartet.«

      »Oder willst du nicht?« fragte Felix und spielte mit der Flasche. Er sah Susanne dabei an, als hinge es von ihrer Antwort ab, ob er weitertrinke.

      »Doch – aber drei Minuten bloß«, bat sie.

      »Eine«, erwiderte er. »Wie heißt denn der Kerl?«

      »Ritt«, antwortete sie.

      Die Flasche knallte auf den Schreibtisch. Felix Lessings Stimmung kenterte wie ein Boot im Sturm. Sein Gesicht wurde hart, sein Kinn spitz, seine Nase weiß, und seine Augen waren auf der Flucht.

      »Den gibt es doch nicht mehr«, sagte er, »den haben wir doch aufge …«

      Er stand benommen auf und ging mit schwankenden, taumelnden Schritten zur Tür. Seine unsichere Hand lag schwer auf der Klinke. Dann drückte er sie nach unten.

      Die beiden Freunde standen einander mit dem gleichen unsicheren Lächeln gegenüber.

      »Martin!« stieß Felix leise hervor; seine Stimme schien sich im Nebel von Landsberg zu verlieren.

      XII

      Die Mauer zwischen den beiden Freunden war neun Jahre hoch, und so standen sie links und rechts von ihr, in ihrem Schatten geduckt, und versuchten, sie flinkhändig einzureißen. Doch leicht machte es ihnen die Trennwand nicht, und so tauschten sie Banalitäten, leerten Gläser, versicherten sich gegenseitig, wie gut sie aussähen, miteinander sprechend, ohne sich etwas zu sagen.

      »Wir fahren zu mir«, sagte Felix schließlich.

      Er lief so rasch durch das weiträumige Gebäude der Militärregierung, daß Martin wiederholt hinter ihm zurückblieb; es sah aus, als schäme sich der amerikanische Captain seines deutschen Begleiters, aber Felix wollte zunächst nur Martins Fragen zuvorkommen und auch verhindern, daß er selbst fragte.

      Er hatte es schwerer als Martin, der auf die Begegnung eingestellt war. Der Freund war für Felix ein feierliches fernes Denkmal gewesen, vor dem die Erinnerung mit schwindendem Aufwand paradierte. Jetzt stand Martin vor ihm, robust, gesund, beweisend, wie sehr er lebte.

      Sie saßen nebeneinander im offenen Wagen. Der Fahrtwind blies den Alkohol aus den Köpfen, den Firnis, mit dem sie die Verlegenheit überzogen hatten. Es war später Nachmittag, Büroschluß, aber die Straßen waren fast ohne Verkehr. Dennoch sah Felix hartnäckig nach vorn, als sei er ein schlechter Fahrer, der pedantisch auf den Verkehr achten müsse; er wollte Zeit gewinnen.

      Martin schaute ihn von der Seite an, betrachtete das straffe Gesicht seines Freundes. Er sah die hohe zerklüftete Stirn, er bemerkte das vertraute Wetterleuchten. Er ist älter geworden und reifer, dachte er, geprägt von dem Jahrzehnt, das zwischen uns liegt. Neun Jahre genau: so lange haben die alten Griechen Troja berannt; so viele Leben hat uns die Zeit gestohlen.

      »Ich weiß mehr von dir, als du denkst«, sagte Felix. »Ich bin auf deine Militärakte gestoßen, nur …«

      Er bog von der Hauptstraße ab, wählte links eine Abkürzung, sah weit vor sich eine Frau in der Mitte der Fahrbahn, die zuerst nach vorn, dann zurück wollte und jetzt unschlüssig stehenblieb; obwohl er leicht an ihr vorbeigekommen wäre, hielt er an.

      »… nur wußte ich nicht«, sprach er weiter, »daß dieses Urteil nicht vollstreckt wurde.« Seine Stimme hallte unnatürlich wie in einem leeren Raum. Es kam daher, daß er die Worte einzeln abwog, bevor er sie aussprach, und dadurch den Ton verzog, ihnen den Fluß nahm. »Und so habe ich auch gar keinen Versuch gemacht, dich zu finden.«

      Der Wagen stand an der Kreuzung. Obwohl sie frei war, hielt Felix in übertriebener Vorsicht. Nach jeder Seite sichernd, wirkte er unsicher; er achtete auf alles, außer auf den wiedergefundenen Freund.

      »Zu dumm«, sagte er, sprach rasch, als sollten seine Worte seine Gedanken überrunden, »es wäre für mich natürlich eine Kleinigkeit gewesen, dich aus diesem verdammten Camp in Reims herauszuholen. Schade um die verlorene Zeit.«

      »Ein Jahr mehr oder weniger macht nicht mehr viel aus«, entgegnete Martin, »und auf eins kannst du dich verlassen: Ich werde diese gestohlene Zeit wieder hereinbringen – jeden Tag und jede Stunde!«

      Der Wagen hatte den Stadtrand erreicht. Dicke, satte Wolken drohten am Himmel. Die Wälder, Wiesen und Hügel waren von einem finsteren flimmernden Blau.

      »Erinnerst du dich an Rothauch?« fragte Martin.

      »Ungern.«

      »Ich traf ihn zufällig, und er sagte mir, wo ich dich finden kann.«

      »Er war bei einer SS-Einheit, die im Osten Polen und Juden …« Felix brach ab.

      »Warum stellt ihr ihn nicht vor Gericht?« fragte Martin.

      Der Captain antwortete stumm mit der gleichen resignierenden Geste, die Martin schon wiederholt an ihm bemerkt hatte, und sie mochte vielleicht heißen: Was geht es mich an? Oder: Es gibt zu wenig Ankläger. Oder: zu viele Schuldige.

      »Nun muß ich leider zur Sache kommen«, sagte Martin. Er mißdeutete das Verhalten des Freundes. »Mein Vater war damals in der Kristallnacht in Frankfurt schuld daran, daß …«

      »Das weiß ich«, unterbrach ihn Felix. Es hörte sich an, als spräche er mit vollem Mund.

      »Und«, fuhr Martin fort, bestrebt, es rasch hinter sich zu bringen, »er wurde in Landsberg …«

      »Auch das weiß ich«, sagte Felix und sah sich um wie gehetzt. »Bitte«, setzte er hinzu, bemerkte die Tankstelle am Wegrand und lief sie an wie ein Versteck. »Wollen wir nicht später …?«

      Der СКАЧАТЬ