Die wilden Jahre. Will Berthold
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Название: Die wilden Jahre

Автор: Will Berthold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711727157

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СКАЧАТЬ er dem Klang der Worte Martins nach. Der Mann aus Polen deutete auf das Wohnungsschild.

      »Meinen Sie – den da?«

      »Ja.«

      »Er ist nicht hier.«

      »Wo finde ich ihn?«

      »Kommen Sie doch herein«, sagte der Mann in der offenen Tür zögernd.

      Die Teppiche fehlten, auch zwei Bilder an der Wand. Sonst stand noch alles am alten Platz, aber es war seltsam fremd.

      »Wissen Sie etwas von ihm?« fragte Martin.

      »Vielleicht«, versetzte der Pole. »Sie sind also der Sohn?«

      Der Mann im überlangen Sakko sah und erfaßte viel. Er hatte in Polen überlebt, durch spontane Entschlüsse, nach rechts oder nach links zu gehen. Ob man an den Burschen mit der Nickelbrille oder an den Uniformierten mit den Sommersprossen herantrat, konnte Leben oder Tod bedeuten, und zwar Sekunden später schon.

      »Dieses Haus wurde beschlagnahmt«, erklärte der Mann, »Vermögenskontrolle. Einstweilen wurden zwanzig displaced persons eingewiesen.«

      »Verschleppte Personen«, übersetzte Martin, »also Ausländer?« fragte er den Polen.

      »DPs«, erwiderte er hartnäckig. »Mit anderen Worten: vorwiegend Überlebende der Konzentrationslager.«

      Ihre Augen erfaßten einander, und solange verstanden sie sich wieder. Der Pole öffnete die Schreibtischschublade, nahm ein Päckchen Camel, zögerte kurz, dann warf er Ritt eine Zigarette zu, der sie in der Luft auffing, sich beiläufig bedankte und nicht wußte, welch fürstliches Geschenk ihm gemacht worden war, da er noch nicht gemerkt hatte, daß Zigaretten die neue Währung bestimmten.

      »Ihr Vater wurde verhaftet«, sagte der Pole und nahm von Martin Feuer. »Landsberg, Kriegsverbrechergefängnis.«

      Er sah Martin voll an; Spannung zeigte sich in seinen Augen.

      »Und?« fragte Martin.

      Der Pole sah Martin unverwandt an, während er die Schublade noch einmal öffnete und ihr ein Telegramm entnahm.

      »Lesen Sie englisch?« fragte er.

      »Es geht.«

      »Gut«, sagte der Mann. »Setzen Sie sich. Nehmen Sie einen Schnaps?«

      »Gern.«

      Martin setzte sich und betrachtete das geöffnete Telegramm, vom Kriegsverbrechergefängnis Landsberg ordnungsgemäß an die Zivilanschrift von Friedrich Wilhelm Ritt gerichtet, weil man in Landsberg offensichtlich nicht wußte, daß die arisierte Villa mittlerweile für zwanzig DPs requiriert worden war. Es war an eine Frau Ritt gerichtet, die es nicht mehr gab.

      Falls sie auf die leiche friedrich wilhelm ritts anspruch erheben stop bitten wir um mitteilung bis morgen neun uhr stop war crime prison landsberg.

      Martin las langsam, Wort für Wort. Erst allmählich begriff er, daß er den Vater nicht mehr belangen konnte.

      Er las, trank, rauchte.

      Der Mann mit dem langen Sakko hatte sich abgewandt.

      Martin sah noch einmal auf das Datum und stellte fest, daß die Mitteilung schon fast einen Monat zurücklag.

      Der Pole drehte sich um und betrachtete den Mann in der gefärbten Uniform voll.

      »Noch eine Zigarette?« fragte er leise.

      »Bitte.«

      »Noch einen Schnaps?«

      Martin nahm beides und sagte: »Danke.«

      Dann gab er dem Polen die Hand und stand auf.

      Er dachte an seinen Vater. Vielleicht war es besser so. Vielleicht war das eine nötige, unabwendbare Lösung, dachte Martin. Der Haß gegen den Vater schlug um, trieb wie ein toter Fisch auf dem Rücken, glitschig und steif.

      Er verließ nicht die Wohnung seines Vaters, sondern das Haus eines Toten. Und bald würde diese Villa ohne Teppiche so ohne Erinnerung hinter ihm liegen wie eine Jugend ohne Wärme.

      Der Mann aus Polen folgte ihm.

      »Hier«, sagte er und streckte ihm das Telegramm hin.

      Sein Gast winkte ab.

      Das Blumenbeet längs des Hauses war vom Unkraut überlagert; aber auch die Schlingblätter waren grün und streckten sich lichthungrig nach der Sonne. Warum ihn die Amerikaner gehängt haben? überlegte Martin. Wegen der Kristallnacht? Wegen Mißhandlung von Fremdarbeitern?

      Gleichviel. Dieser Tod ist abscheulich. Man kennt ihn nur, wenn man in der Zelle auf das Erschießungspeloton gewartet hat. Bei mir sind die Russen noch rechtzeitig gekommen. Ihn konnte nichts mehr retten. Bei ihm konnten keine Russen kommen. Es war kein Krieg mehr: Friede.

      Schluß. Aus. Tabula rasa. Eine klare Lösung. Erspart mir viel. Ihm vielleicht noch mehr: ein Leben im Zuchthaus; mit mir als Wärter. Schade um den hübschen Garten. Wenn die Polen jetzt nicht das Unkraut jäten, werden sie in diesem Jahr nicht mehr damit fertig …

      Martin ging in die Stadt zurück, sein Schritt wurde wieder fest. Er entlief dem eigenen Schatten, maß wieder tote Schußwinkel und suchte Deckungsmulden. Er merkte es und lachte über sich.

      Einen Moment lang sonnte sich sein Gesicht. Solange sein Blick blind war, spürte er das Prickeln auf der Haut. Der Frühling narrte ihn. Er spürte ihn in den Poren und in seinem Atem. Er wunderte sich, daß er nicht mit Landsberg haderte, das ihn um seinen Haß betrogen hatte. Vielleicht gefiel ihm auch jetzt der Tag, weil er wieder menschliche Regungen haben durfte.

      Wieder ging er über Trümmer und Gräben, durch die toten Straßen der Stadt, die aussahen wie ausgeblutete Adern. Er sah die jungen Mädchen an, die mit GIs in den Jeeps fuhren. Ihre bunten Kopftücher flatterten wie Wimpel der Lebenslust. Er dachte an die Fraternisierungsverbote, die der General erlassen hatte. Als ob Hannibal mit keiner Römerin geschlafen hätte und Cäsar mit keiner Ägypterin; die Kreuzritter nicht mit Sarazeninnen – und ich nicht mit Polinnen, Tschechinnen, Russinnen, Italienerinnen und Griechinnen. Du kannst den Tod befehlen, mon général, aber nicht das Leben reglementieren, überlegte er, Soldaten werden für das Abendland oder das Morgenland oder das Niemandsland, für den Kommunismus, den Faschismus, den Nationalismus, den Sozialismus, den Kapitalismus oder den Idiotismus sterben, aber vorher werden sie, wo auch immer, mit Mädchen, die bunte Kopftücher tragen, in Wagen sitzen.

      Martin stand Schlange beim Wohnungsamt; er brauchte eine Zuzugsgenehmigung, mußte aber, um sie zu erhalten, eine Arbeitsbescheinigung vorzeigen. Diese wiederum gab es nur gegen Quartiernachweis, an den auch die Ausgabe von Lebensmittelkarten gebunden war.

      Nach zwei Tagen erfuhr er, daß der Entlassungsschein die Zuzugsgenehmigung ersparte. Fluchend drehte er sich weiter auf dem Karussell der Behörden: Zimmereinweisung gab es nur gegen Arbeitsnachweis; Arbeitsbeschaffung nur gegen Wohnungsnachweis. Die Bürokratie war so machtlos wie mächtig. Aus Hilflosigkeit spielte sie Größenwahn.

      Beamte, die in den Ämtern geblieben СКАЧАТЬ