Die wilden Jahre. Will Berthold
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Название: Die wilden Jahre

Автор: Will Berthold

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788711727157

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СКАЧАТЬ neben dem anderen.«

      Felix sah zu Martin auf, ungläubig, betroffen, gebannt, fasziniert.

      »Im übrigen schaue ich nicht mehr nach hinten«, erklärte Martin, »sondern nach vorn. Mein Vater ist tot, und mit ihm ist unser Problem gestorben, und ich möchte nie mehr über diese Sache sprechen. Haben wir uns verstanden?«

      Felix lächelte dünn. Die Falten in seinem Gesicht wirkten wie die ersten Sprünge auf einer Eisfläche.

      »Es geht auch gar nicht um unsere Väter«, fuhr Martin fort, »sondern um uns. Allenfalls ist die Frage zu klären, ob ein Captain der amerikanischen Armee und ein Entlassener der deutschen Wehrmacht Freunde sein können. Kapiert?«

      Martin riß die Fenster auf.

      Von draußen strömte saubere, vom Regen gewaschene Luft in den Raum und nahm ihm die brackige Schwüle. Die Sonne brach durch die abziehenden Wolken. Der Tag wurde wieder licht; die Bäume im Garten glänzten im neuen Grün.

      Die beiden Freunde standen nebeneinander und betrachteten schweigend den Regenbogen in seinen phantastischen Farben, der wie eine Traumbrücke war, die sie tragen würde. Ihre Gesichter waren entspannt, ihre Hände ruhig.

      Das Gewitter hatte den Tag gesäubert.

      XIII

      Durch nichts ließ Martin in den nächsten Wochen erkennen, daß er am Anfang einer Karriere stand, die von der Boulevardpresse später als »ein märchenhafter Aufstieg ohne Beispiel« gefeiert werden sollte.

      Er gewöhnte sich an die wortreichen Tiraden der Frau Brenner, seiner Quartiergeberin; sie plädierte stets für ihren Mann, einen städtischen Oberinspektor, der fristlos aus dem Dienst entlassen worden war. Ihr Mann, so führte sie aus, hätte unter der braunen Bewegung gelitten und wäre seiner Familie zuliebe 1937 in die Partei eingetreten, lediglich, um Beiträge zu entrichten. Sei das ein Grund, ihn aus dem Amt zu entfernen?

      Martin verneinte.

      Es waren Gespräche, die an jeder Straßenecke, an jedem Schalter, auf jeder Anklagebank zu hören waren. Überall beteuerten Menschen ihre politische Unschuld, auf ihr schweres Schicksal verweisend; und das Tragische war, daß viele von ihnen recht hatten. Im Netz einer oberflächlichen, summarischen Säuberung blieben vorwiegend die kleinen Fische hängen, denn die Hechte lagen auf Grund oder Untergrund.

      Martin war nach Frankfurt zurückgekehrt, um seine Übersiedlung nach München vorzubereiten, wo ihm Felix eine Wohnung beschaffen wollte. Das gesamte Vermögen des alten Ritt unterstand der Property Control, der amerikanischen Vermögensverwaltung. Über einen befreundeten US-Major wollte Felix versuchen, zunächst wenigstens das persönliche Eigentum des Freundes freizubekommen.

      Bis dahin saß Martin untätig in Frankfurt herum, warf Rothauch, den lästigen Mitschüler, der Bescheinigungen für sein Spruchkammerverfahren sammelte, hinaus, schlief unter dem Bild Erwins, des Gefallenen, das mit Wachsblumen geschmückt war und ihm zulächelte. Erwin und Martin wurden Kameraden des Zufalls.

      Das Leben der Familie Brenner war streng geordnet. Zuerst kam der Kirchenbesuch. Der Oberinspektor war auch während des Dritten Reiches zur Kirche gegangen, aber was er damals verstohlen getan hatte, demonstrierte er jetzt.

      Nicht nur er. Auch andere, die früher dem Gottesdienst ferngeblieben waren, betonten jetzt ihr Christentum. Die Kirchentüren öffneten sich weit wie Scheunentore, in die die Ernte eingefahren wurde: mancherlei Fallobst war darunter, das bald von beflissenen Winzern zum Most der Macht vergoren werden sollte.

      Dieser Andrang verbitterte den städtischen Oberinspektor Brenner, weil die großzügigen Atteste, die recht bereitwillig ausgestellt wurden, die Bescheinigungen der Leute entwerteten, die, wie er, zur Religion gestanden hatten, zu deren Wesen es freilich wiederum gehörte, zu verzeihen.

      Den zweiten Rang nach dem Umgang mit der Kirche nahmen Brenners tägliche Gänge zu Verwandten, Bekannten, Untergebenen und Vorgesetzten ein, die ihm seine anständige Vergangenheit schriftlich bestätigen sollten.

      Zu dieser Zeit sammelten die Frauen Kleinholz und die Männer Persilscheine wie dieser Oberinspektor, der dicke Leitzordner damit füllte, da er annahm, vor der Spruchkammer wöge ein Kilogramm Papier schwerer als die einfache Wahrheit.

      An dritter Stelle des Alltags stand der Schulbesuch Guidos, der in die fünfte Klasse des Gymnasiums ging, frech und frisch, und zudem der Krösus der Familie war. Er hatte damit begonnen, deutsche Orden an amerikanische Souvenirjäger zu verkaufen, hatte daran auf dem Umweg über Zigaretten ein Fahrrad und einen Fußball verdient und den Schwarzhandel mit den Ehrenzeichen aufgegeben, als er merkte, daß er durch das im übrigen lästige Klavierspiel genausogut verdienen konnte. Er mußte täglich unter Aufsicht seiner Mutter eine Stunde üben, und wenn sie den Raum verließ, stellte er zwecks Abkürzung der lästigen Etüden die Uhr vor, weshalb bei Brenners immer die Stunde vorauseilte, obwohl sie doch sonst notorisch hinter der Zeit blieben.

      Guido hatte im amerikanischen Soldatensender einige Modeschlager aufgefischt und konnte sie jetzt ganz leidlich klimpern, wozu ihn Anny, die zweite Untermieterin der Familie, ermunterte, die hauptberuflich im Dienst der deutsch-amerikanischen Verständigung stand, was die bürgerliche Moral der Familie Brenner häufig durch amerikanische Konserven belastete.

      Anny, nach der Entnazifizierung des Hausherrn der wichtigste Gesprächsstoff der Familie und willkommene Abwechslung Martins, sah aus wie ein verblaßter Rauschgoldengel, der dringend renoviert werden mußte. Sie hatte kurze blonde Haare und ein kaum stillbares Verlangen nach Männern, dem sich Martin bislang mit Erfolg entzogen hatte, nicht aus Gründen der Moral oder um Frau Brenner gefällig zu sein, sondern weil er es nicht verstand, wie es ein Mann mit einem verblaßten Rauschgoldengel haben konnte. Aber die Burschen aus Übersee kamen in Scharen, und Anny mußte ihnen erst beibringen, mit ihrem Jeep am Hinterausgang des Hauses vorzufahren, weniger weil sie sich vor den Nachbarn genierte, sondern weil die GIs aus Texas und Alabama dicke Pakete mitbrachten, die zeitweilig in der Badewanne der Brenners eingelagert werden mußten.

      Dann machte es sich Anny, wie sie sagte, gemütlich, und Guido, der Sechzehnjährige, mußte sich an das Klavier setzen und You belong to my heart oder No can’t do herunterklimpern, obwohl Anny ziemlich viel mit sich tun ließ. Wenn aber Guido, dessen Musikalität mit Zigaretten und Schokolade honoriert wurde, Don’t fence me in spielte, schossen dem Rauschgoldengel die Tränen aus den Augen, denn Anny war eingesperrt gewesen, in einem Arbeitslager, wegen geselligen Umtriebs mit ausländischen Arbeitern, welches Delikt freilich mehr nymphomanisch als politisch bedingt gewesen war.

      Jedenfalls brachte sie einen gewaltigen Nachholbedarf mit; es führte häufig zu Schwierigkeiten im Parteienverkehr, wenn der eine Uniformierte in den Schrank kriechen mußte, während der andere seine Liebe gestand, der Dritte sich im Badezimmer aufhielt und ein Vierter schon im Anmarsch war. Zuletzt gewannen die olivgrünen Soldaten meist einträchtig, aber geschlagen, wieder das Freie.

      Dann jeweils begannen die Gewissensfragen der Frau Brenner, die einerseits ihre »politische« Untermieterin fürchtete und deshalb Geschenke nicht zurückweisen wollte, andererseits zu anständig war, um sich an dem Treiben »einer solchen« zu bereichern. Aber was hieß schon bereichern, wenn die ganze Familie Hunger hatte und auch der andere, anständige, wenn auch ebenfalls politische Untermieter Martin Ritt als alleinstehender Junggeselle einmal etwas Warmes im Magen haben sollte? Zumal sich seine Quartiergeberin längst überlegte, wie sie ihn in den Feldzug zur Rehabilitierung ihres Mannes einspannen könnte, was immerhin schwierig war, da der Verfolgte den Belasteten erst seit ein paar Wochen kannte.

      Aber СКАЧАТЬ